Die Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn am 4.08.2010 – der coole Yoghi in seinem neuen Zuhause

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Im Tierpark Hellabrunn hatte man in dem letzten Tagen mit aller Kraft daran gearbeitet, dass die Eröffnungsparty der Eisbärenanlage für die Presse, Sponsoren und geladene Gäste auch tatsächlich am 4. August stattfinden konnte – und nun wird man mit Hochdruck daran arbeiten, dass auch die Zoobesucher ein tolles Fest vor der neuen Anlage feiern können, wenn sie am Wochenende endgültig der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Mein Mann und ich haben uns sehr darüber gefreut, dass wir auch eingeladen worden sind, obwohl wir nur ganz normale Zoo- und Eisbärenfans sind.

Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn

Es war interessant dabei zu sein und ich habe einiges dabei gelernt. Einiges fand ich auf eine liebenswerte Art amüsant. So die Erkenntnis, dass für die stellvertretende Bürgermeisterin ihre Heimatstadt München schöner ist als Berlin, dass sie gerne in ihren Heimat Zoo geht und ihn sehr mag, so sehr, dass sie die neue Eisbärenanlage für die größte in Europa, wenn nicht der ganzen Welt hält. Was dann prompt auch bei einigen Zeitungen auftaucht – in der mit den vier großen Buchstaben als Tatsache, in einer Berliner Zeitung als Grund sich darüber lustig zu machen. Dabei wählte man ausgerechnet den Erlebniszoo in Hannover als Vergleichsgröße, benutzt dann aber die Gesamtgröße von Yukon Bay, wo ja nicht nur Eisbären, sondern auch noch Pinguine, Karibus und einige andere Tiere leben. Es wäre doch viel einfacher gewesen, die Eisbärenanlage in Orsa zu nennen, die ist mit 4 ha tatsächlich die größte in Europa und der Welt. Aber vielleicht ist man in Berlin ja gar nicht klüger als in München. 😉

Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn

Ich habe stolze Tierpfleger erlebt, die begeistert zugeschaut haben, wie ihr Yoghi, der endlich wieder zuhause ist, – die „coole Socke“ – ziemlich aufgeregt und sehr neugierig seine renovierte Wohnung in Besitz genommen und seine neuen Spielsachen getestet hat. Die Tierpfleger haben selbst bei der Planung der neuen Anlage mitbestimmen können. Besonders bei dem neuen Mutter-Kind-Haus, haben sie Einfluss genommen. Es ist nur für Giovanna bestimmt. Sie soll darin nicht nur mit Futter, sondern auch mit Spielzeug belohnt werden, damit sie sich darin wohl fühlt und Yoghi hat dort Besuchsverbot. Es soll nur ihr Reich sein und auch nicht nach einem männlichen Bären riechen, damit sie sich dort sicher und geborgen fühlt. Das ist wichtig, damit sie, wenn alles gut geht, dort einmal ihre Jungen zur Welt bringen und sie aufziehen wird. Und wer sollte die Eisbären besser kennen und wissen was sie brauchen, als die Menschen, die sich Tag für Tag um sie kümmern.

Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn

Yoghi hat allen Gästen eine tolle Vorstellung geboten und das ohne jede Generalprobe. Denn man ist so knapp mit allem fertig geworden, dass er nicht schon einmal vorher probeweise auf die Anlage gelassen werden konnte. Wir haben also miterlebt, wie er zum ersten Mal nach draußen durfte. Einiges scheint ihm bekannt vorgekommen sein, denn er ist genau an der Stelle hinunter zum Wasser gegangen, an der er auch üblicherweise herunter gelaufen ist, bevor in München umgebaut wurde.

Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn

Besonders interessiert war er aber an dem neuen Teil der Anlage, den er noch nicht kannte, an der Ecke mit den Holzspänen und dem neuen Tauchbecken, wo man ihm unter Wasser beim Tauchen zuschauen kann. Und ganz besonders neugierig hat ihn die Tür gemacht, die zu Giovannas neuem Zuhause führte. Er hat sie wohl gerochen. Jedenfalls hat er schon einmal kräftig angeklopft. Er weiß halt nicht, dass er da nicht hinein darf.

Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn

Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn

Uns hat die Verwandlung der Anlage gut gefallen, obwohl der Teil der bisher fertig ist, in etwa der alten Anlage entspricht und für die Eisbären noch keine wirkliche Verbesserung bedeutet. Sie sieht jetzt nur moderner und natürlicher aus und ist vor allem für das Auge der menschlichen Betrachter schöner. Doch das, was man von dem Tundrateil der Anlage sehen konnte, sah sehr gut aus und bedeutet eine deutliche Verbesserung für das Leben der beiden Bewohner. Um die Eisbärenanlage richtig beurteilen zu können, werden wir wohl noch einmal nach München fahren müssen, wenn sie ganz fertig gestellt ist.

Eröffnung der Eisbärenanlage im Tierpark Hellabrunn

Am Ende der Party wurde ein Teil der Dekoration wieder abgebaut, damit man weiter arbeiten konnte, sodass am Samstag alles für die zweite Eröffnungsparty optimal vorbereitet ist. Yoghi fand das dann auch sehr interessant und hätte vermutlich gerne mitgeholfen, dass Moos oben auf den Kunstfelsen zu entfernen. Er wirkte richtig ein wenig enttäuscht, als die Arbeiter oben wieder die Leiter heruntergeklettert waren.

Orang-Utan Jolie im Tierpark Hellabrunn

Wir sind dann noch den ganzen Nachmittag durch den Tierpark Hellabrunn spaziert, bis die Tierhäuser geschlossen wurden. Ich habe mich dabei verliebt. Nein nicht in Yoghi, den habe ich schon vor einem Jahr ins Herz geschlossen, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Diesmal habe ich mein Herz an Jolie verloren, ein Orang-Utan Mädchen, gerade erst ein Jahr alt. Ich habe ihr und ihrer liebenswerten Familie eine ganze Zeit beim Spielen zugeschaut. Ich freue mich schon auf unseren nächsten Besuch im Tierpark Hellabrunn und auf ein Wiedersehen mit Yoghi, Giovanna und auch mit der kleinen Jolie und all seinen anderen Bewohner.

Orang-Utan Isalie im Tierpark HellabrunnOrang-Utan Bruno im Tierpark Hellabrunn

Orang-Utan Jolie im Tierpark Hellabrunn Orang-Utan Jolie im Tierpark Hellabrunn


Vielen Dank an Frau Köhler, der wir diesen schönen Tag verdanken.

Auf der Homepage des Tierpark Hellabrunn gibt es Informationen zur alten und neuen Eisbärenanlage und den Eisbären:

http://www.tierpark-hellabrunn.de/index.php?id=118

Mehr Bilder von

der Eröffnung der Eisbärenanlage http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/72157624662037620/show/

und Jolie und ihren Familienmitgliedern http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/72157624662047990/show/

Belton House – Barone und königliche Verwicklungen

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Ein neuer schöner Urlaubstag begann mit blauem Himmel und Sonne, wir brachen früh auf, denn für diesen Tag hatten wir uns einiges vorgenommen. Es ging weiter Richtung Norden und wieder stand als erstes Ziel des Tages ein herrschaftliches Landhaus auf unserem Urlaubsprogramm. Diesmal mussten wir uns allerdings gezwungener Maßen auf einen Spaziergang durch die Gärten beschränken, denn das Innere des Hauses hätten wir erst um 14:00 besichtigen können und so lange wollten wir nicht warten.

Belton House

Der Parkplatz von Belton House liegt direkt neben einer großen Wiese, von der aus man einen guten Blick auf das Herrenhaus hat, das als das vollständigste Beispiel eines englischen Country Houses aus der Zeit Karl II. gilt. Also kletterten wir schnell aus dem Auto und bewunderten die prachtvolle Aussicht. Belton House wurde zwischen 1685 und 1688 von Sir John Brownlow und seiner Frau errichtet. Sie verfügten über einen großen Landbesitz in der Gegend und ein beachtliches Vermögen und hätten sich durchaus ein prachtvolles Barock Schloss leisten können, stattdessen entschieden sie sich für eine im Vergleich dazu bescheidenere Variante in einem Baustil, der sich zur Zeit der Restauration des Königtums speziell in England entwickelt hatte. Die symmetrische Südfassade des Hauses beeindruckt auch heute noch die Besucher mit ihrer zurückhaltenden Eleganz.

Belton House

Neben dem Haus entstand 1877 ein Gebäudeflügel, der das Haus mit dem bereits existierenden Verwaltungsgebäude des Landbesitzes verbindet. Durch ein Tor gelangt man zu den ehemaligen Ställen und dem Brauhaus. In diesen Gebäuden sind heute, der National Trust Laden und ein Restaurant untergebracht. Von hier aus ging es weiter zu den Gärten. Wir hatten vor vier Jahren schon einmal in Belton House besichtigt und freuten uns schon durch die Gärten und Park-anlagen zu spazieren.

Belton House

Als Richard Brownlow (1553-1638) als Sohn eines erfolgreichen Londoner Anwalts geboren wurde, saß Maria I., „die Katholische“, auf dem englischen Thron. Als er fünf Jahre alt war, wurde Elisabeth I. zur englischen Königin gekrönt. Richard trat in die Fußstapfen seines Vaters und studierte das Recht. Das war eine kluge Entscheidung, denn in der zweiten Hälfte des 16. Jh. nahm die Nachfrage nach Juristen ständig zu und so verdiente Richard Brownlow bald gut und er legte sein Geld klug an – hauptsächlich in Landbesitz. Besonders hatte es ihm das Landgut in Belton drei Kilometer nördlich von Grantham angetan. Nach längeren Verhandlungen gelang es ihm 1619, es endlich zu kaufen. Da hieß der englische König schon seit 16 Jahren Jakob I. und gehörte dem Haus Stuart an. Richard lebte nicht in Belton und besuchte seinen Besitz auch nur selten. Mit 72 Jahren konnte er am Ende seines für die damalige Zeit sehr langen Lebens noch erleben, wie Jabobs Sohn, Karl I., den Thron bestieg.

Belton House

1641 sollte dieser König die Söhne Richards, John (1594–1679), der Belton 1553 geerbt hatte, und seinen jüngeren Bruder, William, in den Ritterstand erheben. Da hatte sich Karl I. schon mit dem englischen Parlament angelegt und nur ein Jahr später begann der Bürgerkrieg in England, der für den König keinen guten Ausgang nahm. Das Leben der Brownlows wurde aber durch die politischen Wirren in England nur wenig beeinflusst. Sir John Brownlow, wie er sich jetzt nennen durfte, hatte die Familientradition beibehalten und war Anwalt geworden. Er lebte mit seiner Frau zurückgezogen und bescheiden auf dem Lande. Wie sein Vater kaufte er Land, er züchtete recht erfolgreich Schafe und vergrößerte sein ererbtes Vermögen. Karl I. wurde im Januar 1649 geköpft und Oliver Cromwell regierte als Lordprotektor England, Schottland und Irland. Sir John und seine Frau hatten andere Probleme, sie machten sich ernsthaft Gedanken darüber, wer sie einmal beerben sollte. Sie hatten keine Kinder und Sir John fasste den Plan seinen Besitz unter seinen Neffen aufzuteilen. Doch Sir John überlebte sie alle. Oliver Cromwell war bereits Geschichte und der Sohn des geköpften Königs, Karl II., hatte 1660 wieder den englischen Thron bestiegen, als Sir John Brownslow 1668 seine Großnichte Alice adoptierte, eine Tochter seiner Schwester, als deren Vater gestorben war. Schließlich gab es außer ihm nur noch zwei männliche Familienmitglieder, die den Namen Brownlow trugen, die beiden Enkel seines Bruders William, der ältere hieß wie er John, der jüngere wie sein Großvater William. In Sorge, dass die Familie aussterben könnte, nahm er den ältesten Großneffen unter seine Fittiche, sorgte für seine Ausbildung und verheiratete ihn 1676 mit seiner Adoptivtochter Alice, als die beiden Brautleute gerade 16 Jahre alt waren. Drei Jahre später starb er.

Belton House

Der zweite Sir John Brownlow (1659–1697) brach mit der Tradition des einfachen Landlebens. Er kaufte für sich und seine Frau ein neues Haus in London und gab sein Debut in der feinen Gesellschaft. Schnell fasste er den Entschluss, dass er einen seiner gesellschaftlichen Position angemessenen Landsitz benötigte. Er beauftragte vermutlich William Winde, einen angesagten Architekten dieser Zeit, einen Plan zu zeichnen, der sich eng am Beispiel von Clarendon House orientierte, das 1667 fertig gestellt worden war. Dieses große Londoner Stadthaus war eines der am meisten bewunderten Bauwerke seiner Zeit wegen „seiner eleganten Symmetrie und seinem selbstbewussten und vernünftigen Design“. Allerdings überdauerte Clarendon House nur wenige Jahre, 1683 wurde es bereits wieder abgerissen. Sein Erbauer Lord Clarendon war in Ungnade gefallen und hatte aus dem Land fliehen müssen. Ein Investor, der es gekauft hatte, errichtete auf dem Grundstück gleich mehrer Straßenzüge mit Stadthäusern. John und Alice Brownslow beauftragten einige der besten Handwerker der Zeit, die unter der Leitung von William Stanton 1685 damit begannen, Belton House zu bauen, in dem Jahr als Karl II. ohne legitimen Erbe starb und dessen Bruder Jakob II. König von England und Schottland wurde.

Clarendon House in London von William Skillman, http://en.wikipedia.org/wiki/File:ClarendonHouseSKILLMAN,_W._after_SPILBURGH_J.jpg

Das späte 17. Jh. war in England eine Zeit, in der sich nach der Restauration der Monarchie ein ganz neuer, eigener Stil in der Architektur und Kunst entwickelte. Die Royalisten kehrten aus dem Exil zurück, junge, wohlhabende Männer, die ihre Grand Tour durch Europa absolviert hatten, und mit neuen Ideen nach England kamen. Eine Reihe von Architekten wie Roger Pratt, der Clarendon House entworfen hatte, John Wenn und Sir Christopher Wren bauten neue große Bauwerke in einem von der Renaissance inspirierten Stil. Existierende Häuser wurden umgebaut und dem neuen Stil angepasst. Belton House ist ein Musterbeispiel dieses Stils, nach dessen Plan viele andere Country Häuser in England entstanden. Sein Grundriss hat die Form eines H, eine Form, die in England seit der Zeit Elisabeth I. meist für Herrenhäuser genutzt wurde. Neu war, dass es nicht nur die Tiefe eines Raumes hatte, sondern zwei Räume hintereinander lagen. Dadurch wurden die Häuser kompakter und benötigten kleinere Dachflächen, was die Baukosten senkte. Die Räume waren leichter zu heizen und zu beleuchten und, da sie mit einander verbunden waren, entstand mehr Privatsphäre für die Bewohner.

Belton House Belton House Belton House

Ein richtiges Herrenhaus braucht auch die richtige Kulisse. Das wusste auch der junge Sir John Brownlow und so begann er damit, die Landschaft rund um sein zukünftiges Domizil umzugestalten, als gerade die ersten Steine des Hauses gemauert wurden. 1685 ließ er nicht weniger als 21.400 Eschen und 9.500 Eichen anpflanzen. Hinzukamen 614 Obstbäume, 260 Zitronenbäumchen, 2000 Rosenstöcke und 100 Stachelbeerbüsche. Als sein Haus fertig war, lagen in seinem Norden, Süden und Osten kunstvolle Parterres, lange, mit Statuen geschmückte Wege, ein langes Wasserbecken – der Great Pond – flankiert von Anpflanzung von Bäumen, durch die Wege geometrische Muster zogen. 1690 erhielt er die Erlaubnis, ein Gebiet von vier km² mit einer Mauer einzuschließen und in dem Park eine Herde Damhirsche zu halten. Auch heute kann man noch einen Eindruck davon bekommen, wie die Gärten einmal ausgesehen haben. Immer noch liegen hinter dem Haus im Norden formal gestaltete Parterres mit Springbrunnen und Buchsbaumornamenten, auch wenn die heutigen Gärten im 19. und 20. Jh. entstanden sind. Der größte Teil ist als Landschaftspark gestaltet, durch den man lange Spaziergänge unternehmen kann.

Belton House

Anders als die meisten Herrenhäuser gab es in Belton neben dem zentralen Salon keine weiteren Prunkräume, die nur dann genutzt wurden, wenn hohe Gäste zu Besuch waren. Das hatte vermutlich seinen Grund darin, dass die Brownlows nur zum Landadel (der Gentry) und nicht zur Aristokratie gehörten und nicht damit gerechnet hatten, dass der englische König sie besuchte. Die wechselten in dieser Zeit ohnehin recht schnell. Als Belton House 1688 fertig gestellt wurde, arbeitete gerade eine Gruppe protestantischer Adliger daran, den König Jakob II. abzusetzen. Sie verhandelten mit Wilhelm III. von Oranien, dem Statthalter der Niederlande, dass er nach England überzusetzen und das Land von seinem katholischen König befreien solle. Im November landete Wilhelm in Torbay in Südwestengland und die Glorious Revolution begann. Die war ein Jahr später schon wieder beendet und Wilhelm wurde zusammen mit seiner Frau Mary, einer Tochter Jakob II., gekrönt.

Portrait König Wilhelm III. von Sir Godfrey Kneller(1646 – 1723, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:King_William_III_of_England,_(1650-1702).jpg

Am 29. Oktober 1695 geschah dann das, womit Sir John Brownlow nicht gerechnet hatte. Er durfte den neuen König, Wilhelm III., in Belton begrüßen. Dem König hat es trotz der fehlenden Repräsentationsräume in Belton gut gefallen. Er schlief im „besten“ Schlafzimmer des Hauses in ersten Stock direkt über dem Salon, von dem aus man über eine Treppe direkt zum großen Speisezimmer des Hauses gelangte. Zurück in London schickte der König seinem Gastgeber eine Einladung, um ihn „noch einmal zu ehren und ihm für seine Liebenswürdigkeit zu danken.“ Nach seinem Chronisten Abraham de la Pryme hatte der König in Belton soviel getrunken, dass er beschwippst war und am nächsten Tag, als sie in Lincoln waren, nichts außer einer Milchspeise essen konnte.

Belton House

1697 war Sir John Brownlow ein etwas übergewichtiger, selbstgefälliger Mann in den besten Jahren, der in seinem Leben all das gemacht hatte, was von einem wohlhabenden Landedelmann erwartet wurde. Er hatte sich ein angemessenes, großartiges neues Heim errichtet, hatte das Amt des High Sheriff des Lincolnshire innegehabt und war Mitglied des Parlaments für Grantham gewesen. Er stand eigentlich noch am Anfang eines gesellschaftlichen Aufstiegs. Er konnte durchaus damit rechnen, die Peerswürde verliehen zu bekommen. Er hatte eine glänzende Zukunft vor sich. Umso unverständlicher ist die Tatsache, dass er sich im Juli 1697 im Haus seines Onkels erschossen hat. Bis heute ist der Grund seines Selbstmordes unbekannt.

Seine Frau blieb bis zu ihrem Tod 1721 in Belton und sorgte dafür, dass ihre vier Töchter gute Partien machten. Die älteste Jane heiratete den zukünftigen Duke von Ankaster, ihre Schwester Alice den zukünftigen Baron Guilford und die dritte Tochter Elizabeth den zukünftigen Earl von Exeter. Die jüngste Tochter Eleanor vermählte sie 1712 mit dem Neffen ihres Mannes, dem Sohn seines jüngeren Bruders William. Und das hatte vermutlich u. a. den Grund, dass dieser nach dem Tod seines Vaters Belton geerbt hatte und dadurch 1702 der 3. Sir John Brownlow von Belton geworden war, im selben Jahr als Königin Anne den englischen Thron bestieg.

Belton House 1725 von Philippe Mercier mit Sir John Brownlow III (1690–1754), Lord Tyrconnel (links) und seiner Frau, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Belton_Tyreconnelfamily.jpg

Dieser Sir John Brownlow (1690–1754) hatte große Ambitionen. Er wollte gerne eine wichtige Rolle in der Politik spielen, doch ihm fehlten die Fähigkeiten dazu. Er hatte eine außerordentliche hohe Meinung von seiner eigenen Bedeutung – eine Ansicht die weder von seiner Familie, noch seinen Adelskollegen geteilt wurde. Ein Zeitgenosse, der es gut mit ihm meinte, schrieb über ihn, er habe „einen guten Geschmack und gut ausgewähltes Wissen“. Und dieser gute Geschmack und seine gute Bildung wurden seine wichtigste Hinterlassenschaft für Belton. Doch bevor er hier wirken konnte, hatte er schon einen großen Teil seines Erbes ausgegeben. Er lebte zunächst mit seiner Frau im Stadthaus in London und auf dem Landsitz Bruton in Somerset, den er von seinem Vater geerbt hatte. Eigentlich hatten er und seine Frau ein gutes Einkommen, wenn auch der Landbesitz seines Vaters mit Schulden belastet war und dieser es versäumt hatte, seine Hinterlassenschaft testamentarisch zu regeln. Aber der neue Sir John Brownlow konnte im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht gut mit Geld umgehen. Er hatte eine Neigung zu einem prahlerischen Lebensstil, der den Finanzen der Familie nicht gut tat. Das führte schließlich dazu, dass sie das Haus in London aufgeben und mit sechs Dienern und einem Hund, Brill, nach Bruton ziehen mussten. Als Eleanors Mutter 1721 starb, nahmen die beiden Belton in Besitz und begannen sofort damit ihren Landbesitz im Lincolnshire zu konsolidieren, indem sie Land zurück kauften, das Eleanors Schwestern geerbt hatten. Trotz dieser Bemühungen war das Landgut in Belton nur noch ein Schatten dessen, was es einmal zu Zeiten des ersten Sir Johns gewesen war. Das Einkommen, das die Familie damit erwirtschaftete, war auf die Hälfte dessen gesunken, was dieser einmal verdient hatte. Es reichte aber aus um das Paar in die Lage zu versetzen, ihrer Liebe zur Kunst nachzugehen. Seit 1714 hatte Großbritannien wieder einen neuen König, Georg I. aus dem Haus Hannover und der wurde bald – 1727 – von seinem Sohn, Georg II., abgelöst. Dieser hatte keine hohe Meinung von dem Baronet von Belton. Er fand, dass er ihm an Klugheit und Prinzipien mangele, und nannte ihn „eine Welpe, die niemals zweimal mit der gleichen Seite abstimmt“. Sir John Brownlow war befreundet mit Georgs Sohn, dem Prinz of Wales, Friedrich Ludwig von Hannover, der seinerseits keine gute Meinung von seinem Vater hatte. Er starb neun Jahre vor Georg II. und bestieg so nie den englischen Thron. Friedrich Ludwig inspirierte Sir John Brownlow, viele Künstler zu fördern, zu denen der Dichter Alexander Pope, der Bildhauer Henry Cheere und viele Maler gehörten, deren Portraits die Wände der königlichen Schlösser schmückten.

Belton House

Im Garten ließ er ein beheizbares Gewächshaus errichten, in dem Melonen angepflanzt wurden und man versuchte Ananas zu züchten. Er schuf die „Wildnis“ im Westen des Hauses mit pittoresken Ruinen und wilden Wasserfällen, die es heute noch gibt. Das große Becken wurde zugeschüttet und durch einen langen, breiten Weg ersetzt. Diese Veränderung war allerdings nicht planmäßig entstanden, sondern wurde durch einen Unfall verursacht. Im Mai 1751 hatte man versehentlich die Schleuse, über die das Wasser aus dem großen Becken abfloss, geschlossen. Das Becken brach und das Wasser überschwemmte einen großen Teil des Gartens, eine breite Spur der Zerstörung hinterlassend. Mauern wurden eingerissen und der gesamte Küchengarten mit seiner Ernte wurde zerstört.

Belton House

Als seine Frau Eleanor 1730 kinderlos starb, suchte Sir John Brownslow mit Eifer eine neue Frau, die ihm einen Erben schenken konnte. Doch zunächst holte er sich einen Korb. Er warb um Mary Delany, eine Künstlerin, deren Papiermosaike heute in vielen Museen zu bewundern sind. Doch auch sie hatte keine große Meinung von ihm, obwohl „er ein so gewaltiges Vermögen und einen Titel hatte und ein gutherziger Mensch war“ konnte sie „Geld ohne Wert“ nicht in Versuchung führen. Sie schrieb: „Er hatte einwandfrei den Charakter, sich närrisch zu verhalten und ich würde mich selbst für ein ganzes Empire nicht an einen solchen Charakter binden.“ 1732 fand er dann doch noch eine Frau, die ihn mehr zu schätzen wusste. Er heiratete – sehr zum Ärger Verwandtschaft, die seinen Besitz erben wollte – Elizabeth Cartwright, aber auch diese Ehe blieb kinderlos. So war es wieder ein Neffe der Belton House erben sollte.

Belton House

Doch zunächst erbte bei seinem Tod 1754 Haus und die Hälfte seines Vermögens Sir Johns Schwester, Anne, die auch gleich nach dem Tod ihres Bruders mit ihrer Familie dort hinzog und ihrem ältesten Sohn, Sir John Cust (1718-1770), ihr Haus in Grantham überließ. Dieser hatte mehr Erfolg in der Politik als sein Onkel, der die politische Karriere seines Neffen gefördert hatte. 1743 war er für Grantham ins Unterhaus gewählt worden und 1751 hatte er ein Amt am Hof des Königs erhalten. Seinen größten Erfolg konnte der Onkel allerdings nicht mehr erleben. 1761 wurde er zum Speaker of the House of Commons, zum Präsidenten des Unterhauses, gewählt. Ein Jahr früher war der König Georg II. gestorben und sein Enkel, der nächste Georg, war ihm auf dem Thron gefolgt. 1766 musste dann auch Anne Cust anerkennen, dass ihr Sohn einen Landsitz benötigte, der seiner gesellschaftlichen Stellung entsprach und überließ ihm – zum Ärger seiner Brüder und Schwestern – Belton House und zog wieder nach Grantham. Speaker Cust spielte mit dem Gedanken, sich aus der Politik zurückzuziehen und auf seinem Landgut das ruhige Leben eines Landedelmanns zu führen, aber er entschied sich dann doch dagegen und ließ sich 1768 erneut zum Speaker wählen.

Sir John Cust, 3. Baron Brownlow (1718-1770, http://en.wikipedia.org/wiki/File:SirJohnCust.jpg

Ausgerechnet in dem Jahr als es im Unterhaus besonders turbulent zuging. Der Whig Abgeordnete John Wilkes, der aufgrund seiner radikalen Ansichten, die er in seiner regierungskritischen Wochenzeitschrift „The North Briton“ geäußert hatte, 1763 Gefahr gelaufen war, verhaftet zu werden und sich dieser Verhaftung durch eine Flucht nach England entzogen hatte, war wieder nach England zurück gekehrt und erneut ins Unterhaus gewählt worden. Er war in Abwesenheit wegen skandalöser, pietätloser und obszöner Verleundung verurteilt worden, aber man hatte ihn zunächst ungeschoren gelassen. Nach seiner Wahl wurde er verhaftet und ins Gefängnis King’s Bench gebracht. Das brachte seine Anhänger auf den Plan, bis zu 15.000 Menschen demonstrierten vor seinem Gefängnis und forderten seine Freilassung. Da man Ausschreitungen befürchtete, lösten Truppen die Proteste auf. Dabei gingen sie nicht zimperlich vor, sie feuerten einfach in Menge – sieben Menschen starben bei dem Massaker auf dem St. George’s Field. Wilkes verzichtete schließlich auf seine parlamentarische Immunität und wurde zu zwei Jahren Haft und 1000 Pfund Strafe verurteilt, ein Urteil, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er hatte gehofft, begnadigt zu werden. Im Februar 1769 wurde er erneut aus dem Parlament ausgeschlossen, aber schon im gleichen Monat erneut gewählt. Der gleiche Vorgang wiederholte sich im März und April. Schließlich erklärte das Unterhaus, den unterlegenen Kandidaten zum Sieger der Wahl. Nachdem im April 1770 Wilkes seine Strafe abgesessen hatte, wurde er erneut ins Parlament gewählt und setzte sich dort u. a. für die Pressefreiheit ein. Speaker Cust hatte nicht viel Zeit in seinem Country House und dem Parkland rundherum etwas zu verändern, denn er starb 1770 mit 51 Jahren. Die Inschrift auf seinem Grabdenkmal schreibt seinen recht frühen Tod „den ungewöhnlichen Strapazen seines Amtes“ zu, die hervorgerufen wurden, „durch die außerordentliche Zunahme der nationalen Aufgaben.“

John Wilkes auf einem satirischen Stich von William Hogarth, http://en.wikipedia.org/wiki/File:William_Hogarth_-_John_Wilkes,_Esq.png

Sein Sohn, Sir Brownlow Cust (1744–1807), war derjenige der das Haus dem Geschmack des 18. Jh. anpasste und auch im Garten einige Veränderungen durchführte. Er hatte zweimal hintereinander recht wohlhabende Frauen geheiratet, die erste starb nach nur zwei Jahren Ehe, und konnte es sich so leisten, sein altmodisches Heim zu modernisieren. 1776 war er zum Baron ernannt worden und hatte damit das erreicht, was sich sein Großonkel so sehnlich gewünscht hatte. 1778 beauftragte also Lord Brownlow den bekannten Landschaftsarchitekten William Emmes einen Plan für die Umgestaltung seines Parks zu entwerfen. Von diesem Plan wurden allerdings nur einige Details umgesetzt. So entstand im Norden des Hauses ein Pleasure Ground – Rasenflächen mit einzelnen Bäumen – für den eine der formalen Parterres geopfert wurde und die formalen Anpflanzung aus dem 17. Jh. entlang des langen Weges, der das Wasserbecken ersetzt hatte, wurden ausgedünnt, um den Wald natürlicher zu gestalten.

Belton House

Der 2. Baron Brownlow wurde sein ältester Sohn, John (1779–1853), der 1815 von Georg III. zum Earl ernannt wurde. Wie viele junge Männer seiner Klasse, die in den Jahren direkt nach der französischen Revolution aufgewachsen waren, hatten die Ereignisse in Frankreich und die Aussicht auf Aufstände zuhause seinen Glauben an die Bedeutung der bestehenden sozialen Hierarchie und seine Ablehnung Reformen gegenüber bestärkt. Als man 1831 im Parlament begann Reformgesetze zu diskutieren, die ein Jahr später zu einer Neuordnung der Wahlbezirke in Großbritannien führte – kleine, ländliche Wahlbezirke mit nur wenigen Wahlberechtigten wurden aufgegeben und in den wachsenden Industriezentren in Städten wie Manchester und Birmingham wurden neue geschaffen – befürchtete er, dass Aufständische Belton angreifen könnten. Er stellte eine Miliz aus Mitgliedern seines Haushaltes auf, ließ sie drillen und teilte Wachen ein. Doch es fand nie ein Angriff statt.

Belton House

Wie sein Vater vor ihm ließ er Belton seinen Vorstellungen gemäß modernisieren und auch den Garten ließ er neu gestalten. So entstand 1810 der heutige Italienische Garten in dem Stil der Zeit, als das Haus gebaut wurde, mit einem Springbrunnen im Zentrum einer formalen Terrasse mit exakt beschnittenen Buchs- und Eibenskulpturen und Beeten mit bunten Blumen. In hohen Pflanzkübeln wuchsen bei unserem Besuch Fuchsien, deren rote Glöckchen leise im Wind schaukelten und ein Gärtner versorgte sie mit Wasser. Dahinter wurde um 1820 die Orangerie fertig gestellt, in der heute ein kleiner Dschungel aus exotischen Pflanzen mit leuchtenden Blüten und filigranen Farnwedeln die Besucher erfreut. Weiße Bänke neben einem leise plätschernden Brunnen luden uns zu einer Rast ein.

Belton House Belton House

Belton House Belton House

Diese grüne Oase hat einige Jahre nach ihrer Fertigstellung auch wieder königlicher Besuch genießen können. Die dritte Frau des ersten Earls, Emma Sophia Edgcumbe, die dieser 1828 geheiratet hatte, wurde zwei Jahre nach der Hochzeit Hofdame von Queen Adelaide, der Frau Wilhelm IV., der seinen Bruder, Georg IV., 1830 auf dem Thron abgelöst hatte. Zwischen den beiden Frauen entwickelte sich eine enge Beziehung, die auch nach dem Tod des Königs 1837 fortbestand. Nun sollte Königin Viktoria 64 Jahre über das Vereinigte Königreich und die zahlreichen Kolonien herrschen. Adelaide reiste als Witwe viel und kam 1841 zu einem längeren Aufenthalt nach Belton.

Belton House

Der nächste Erbe des Anwesens, John Egerton-Cust (1842–1867), konnte sich nur wenige Jahre an seinem Erbe erfreuen. Er starb mit 25 Jahren ohne einen Nachkommen. Sein Bruder, Adelbert (1844–1921), übernahm die Aufgabe Belton noch einmal umzugestalten. Er war ein sehr charismatischer, äußerst gutaussehender Mann, der eine Partnerin gewählt hatte, die nicht besser zu ihm hätte passen können. Seine Frau Adelaide war die Tochter des Earls of Shrewsbury und sie und ihre beiden Schwestern wurden 1893 als das „Salz der Erde“ beschrieben. Lord und Lady Brownlow gehörten zu einer idealistischen Gruppe von Aristokraten und Intellektuellen, die die „Souls“, die Seelen, genannt wurden und zu der auch einige bedeutende Politiker der Zeit gehörten. Sie trafen sich in den Salons ihrer Country Houses um abseits der oft sehr heftig geführten politischen Auseinandersetzungen am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in einer ruhigen Atmosphäre über politische Themen und soziale Probleme und deren Lösung zu diskutieren. Auf dem englischen Thron war 1901 Eduard VII. für nur neun Jahre seiner Mutter auf dem Thron gefolgt. Sein Sohn und Nachfolger, Georg V., hatte den Thron danach immerhin 26 Jahre inne. Obwohl die Brownlows meist in London oder auf ihrem Landsitz Ashbridge lebten, ließen sie in Belton, die wohl weitreichendsten Veränderungen durchführen, seit das Haus errichtet wurde. Ihnen verdanken wir es, dass Belton wieder den Stil der Zeit repräsentiert, in dem es ursprünglich errichtet wurde. Die Veränderungen am Äußeren des Hauses wurden wieder entfernt und auch im Innern wurden einige Räume wieder im Stil der Zeit Karl II. dekoriert. Hinter dem Haus wurde ein Holländischer Garten angelegt, der sich an einem alten Plan des Gartens aus dem Jahr 1717 orientierte. Auch heute noch schmücken Statuen und dekorative Urnen zwischen Kugeln aus gelben und grünen Eiben den zentralen Weg, vorbei an Parterres, die mit geometrischen Kiesmustern gestaltet sind und in denen heute Lavendel und Tagetes blühen.

Die Countess Brownlow (1879) von Frederic Leighton, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Leighton_Brownlow.jpg

Dahinter liegt der Landschaftspark. Ein Wasserlauf, von einem See ausgehend, durchzieht eine große leicht hüglige Rasenfläche. Gänse mit halbwüchsigen Jungen futterten eifrig Gras und zogen die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich, die langsam auf den geschwungenen Wegen und über das Gras spazierten. Zwischen Sträuchern und Bäumen hatten wir stets wechselnde Ansichten auf das Haus.
Als der 3. Earl Brownlow 1921 starb, verbrachte sein Cousin und Erbe, Adelbert Salusbury Cockayne Cust (1867–1927), gerade mit seiner Familie einen Urlaub in Südfrankreich und es dauerte einige Tage, bis es dem britischen Konsul in Frankreich gelang, ihn zu erreichen und über seine Erbschaft zu informieren. Der neue Baron Brownlow und seine Frau Maude hatten bisher ihren Lebendstandard aus seinem Armeesold finanziert und waren den Lebenstil nicht gewöhnt, der ihnen die Erbschaft versprach, auch wenn sie am Ende nicht so groß war, wie sie sie vielleicht erwartet hatten. Der Wert des Landbesitzes und die Erträge daraus waren dabei zu sinken, Belton war verpfändet und um den Zahlungsverpflichtungen, die durch die Erbschaft entstanden waren, nachkommen zu können, musste einiges verkauft und die Zahl der Bediensteten reduziert werden.

Belton House

Wir genossen unseren Spaziergang durch den Park und konnten uns danach im Untergeschoss des Hauses noch die Küche und einen Teil der Räume anschauen, wo einst die Angestellten für das Wohl ihrer Herrschaft sorgten, die in den Stockwerken darüber sich ihres Lebens erfreuten. Die Räume wurden gerade wieder hergerichtet und waren noch recht kahl, mit nur wenigen Möbeln. So brauchten wir etwas Phantasie, um uns vorzustellen, wie es einmal hier ausgesehen hat. Ein alter Küchenherd steht noch in der Küche, auf dem wohl manche Mahlzeit gekocht worden ist, als in den 1930 er Jahren in Belton eine Liebespaar zu Gast war, das in die Weltgeschichte eingegangen ist.

Belton House Belton House

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Als Peregrin Albert Cust 1927 Belton erbte, hatte sein Vater nicht nur die Grundschuld von Belton tilgen, sondern auch seine eigenen Zahlungs-verpflichtungen bezahlen können. Und noch einmal sollten das Haus und sein Besitzer eine wichtige Rolle in der britischen Geschichte spielen. Der 6. Baron Brownlow war in den 1930ern ein Kammerherr und enger Freund des Prince of Wales, Eduard. Er und seine Frau Kitty waren häufig Gäste in Fort Belevedere, dem Landsitz des späteren englischen Königs Eduard VIII. im Windsor Great Park, und der Prinz of Wales und Wallis Simpson weilten oft am Wochenende in Belton. Als Eduard 1936 König wurde, wurde Perry Brownlow einer seiner engsten Berater. So war er der erste Ansprechpartner der Unterstützer des neuen Königs, als das Gerücht die Runde machte, Eduard habe die Absicht, Mrs. Simpson zu heiraten. Sie versuchten ihn dazu zu bringen, Druck auf die geschiedene Amerikanerin auszuüben, den König und England zu verlassen. Doch Brownlow fürchtete, dass der König der geliebten Frau folgen würde, was die Abdankung, die alle verhindern wollten, nur beschleunigt hätte. Also versuchte er stattdessen Wallis Simpson zu überreden, nach Belton zu kommen. Dort wäre sie in der Nähe des Königs gewesen, hätte ihm moralische Unterstützung geben und ein übereiltes Handeln verhindern können. Doch es sollte anders kommen.

Belton House

Am 16. November 1936 hatte Eduard VIII. den britischen Premierminister Stanley Baldwin offiziell davon in Kenntnis gesetzt, dass er Wallis Simpson heiraten wolle. Die britische Presse verhielt sich zunächst ruhig – etwas man sich heutzutage kaum noch vorstellen kann – erst am 3. Dezember 1936 wurde in Krise in der Presse gelüftet. Der Premierminister verlautbarte, dass die Regierung die Heirat des Königs mit der geschiedenen Amerikanerin nicht billigen würde. Der König zog sich nach Fort Belverdere zurück und Wallis Simpson und Perry Brownlow reisten nicht nach Belton, sondern nach Cannes. Perry Brownlow überzeugte Wallis, auf den König zu verzichten. Am 7. Dezember 1936 beschloss man, eine Erklärung abzugeben, dass sie den König aufgeben wollte. Perry Brownlow beriet Wallis beim Wortlaut und las die Erklärung der wartenden Presse vor. Doch die endgültige Entscheidung lag beim König. Eduard wollte nicht auf die Liebe seines Lebens verzichten. Er dankte am 10. Dezember 1936 ab. Für Perry Brownlow war diese Entscheidung das Ende seiner Karriere am Hofe. Er lehnte die Abdankung des Königs ab und weigerte sich an der Hochzeit vom Herzog von Windsor, wie Eduard nun genannt wurde, mit seiner Herzogin teilzunehmen. Etwas was ihm Eduard und Wallis nie verzeihen sollten. Und auch der neue König Georg VI. und seine Frau Elizabeth dankten ihm sein Verhalten nicht. Der Baron Brownlow erfuhr aus den Court Circular, den Hofnachrichten, dass er als Kammerherr des Königs ersetzt worden war. Als er telefonisch im Buckingham Palace nachfragte, wie es zu dieser Meldung gekommen sei, teilte man ihm kurz mit, dass man seinen Rücktritt akzeptiert habe. Sein Name sollte nie mehr wieder in den Hofnachrichten auftauchen. Als Perry im Juli 1978 mit 79 Jahren starb, war Georg VI. auch schon wieder Geschichte und seine Tochter Elizabeth II. war schon 26 Jahre die englische Königin. Er vererbte Belton House an seinem Sohn Edward, der in dem turbulenten Jahr 1936 geboren wurde. Der musste bald erkennen, dass er den Familienbesitz nicht erhalten konnte, obwohl das Haus in den 1960 er Jahren restauriert worden war. Er übergab es 1984 dem National Trust, der seitdem dafür sorgt, dass es für die vielen Besucher, die es jedes Jahr besuchen, in altem Glanz erstrahlt.

Belton House

Damit die Besucher sich länger in Belton House aufhalten und auch eine längere Anreise nicht scheuen, hat in den ehemaligen Ställen ein schönes Restaurant errichtet. Wir setzten uns an einen Tisch draußen im Hof und genossen in der Sonne einen leckeren Imbiss, bevor wir uns auf den Weg zu unserem nächsten Tagesziel machten – einem Ziel, das uns von einem ganz anderen Kapitel der britischen Geschichte erzählen sollte.

Belton House

Die Informationen habe ich hier gefunden:

im Führer des National Trust „Belton House“ von Adrian Tinniswood

und :
http://www.nationaltrust.org.uk/main/w-beltonhouse

http://en.wikipedia.org/wiki/Belton_House
http://en.wikipedia.org/wiki/Clarendon_House
http://en.wikipedia.org/wiki/John_Wilkes
http://www.bbc.co.uk/dna/h2g2/A424072
http://en.wikipedia.org/wiki/Peregrine_Cust,_6th_Baron_Brownlow
http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/2701463.stm
http://www.bbc.co.uk/archive/edward_viii/
http://en.wikipedia.org/wiki/Edward_VIII_abdication_crisis
http://de.wikipedia.org/wiki/Abdankung_Eduards_VIII.

Mehr Bilder von unserem Besuch in Belton House:
http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/72157626208881154/show/

Houghton Mill – Wasserkraft aus dem 17. Jh.

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Wir rollten auf kleinen Straßen unserem nächsten Etappenziel des Tages entgegen. Es war nicht weit und wir hatten keine Eile. So genossen wir während der Fahrt das schöne Wetter und die grüne, flache Landschaft. Bald konnten wir unser Auto wieder auf einem Parkplatz abstellen, um nun wirklich eine Wassermühle besichtigen zu können. Direkt daneben entdeckten wir auch einen schönen Campingplatz am Ufer des Great Ouse, den wir uns für unseren nächsten Urlaub im Osten Englands vorgemerkt haben.

Houhton Mill

Die Houghton Mill ist die einzige funktionierende Wassermühle, die an dem Great Ouse übrig geblieben sind. Früher säumten zahlreiche Mühlen den viertlängsten Fluss Englands. Er ist rund 240 Kilometer lang und der wichtigste Wasserweg East Anglias. Die heutigen Mühlengebäude stammen vermutlich aus dem 17. Jh., sie wurden in 19. Jh. verändert und erweitert. Direkt vor der Mühle liegt ein kleines Haus, in dem man die Eintrittskarten kaufen kann und wir unseren Mitgliedsausweis vorzeigten, denn auch diese Mühle gehört dem National Trust. Stühle und Tische standen draußen am Flussufer und zahlreiche Gäste saßen in der Sonne und verspeisten ihren Mittagsimbiss, den sie im kleinen Museumsrestaurant erstanden hatten. Sofort hatten wir Lust uns dazuzugesellen und bei einer Tasse Kaffee eine Pause einzulegen. Gleichzeitig waren wir aber auch recht neugierig, was uns im Innern der Mühle erwarten würde.

Houhton Mill

Seit dem Jahr 974 gab es an diesem Ort immer eine Mühle. Damals legte man bereits das Sumpfland am Ufer des Flusses trocken und machte es urbar. Das Wasser, das, wenn es über die Ufer trat, eine Gefahr darstellte, wurde immer mehr als eine Energie Quelle entdeckt, Mühlen entstanden entlang der Flüsse überall in England, so auch am Great Ouse. Die Flüsse wurden für den Transport genutzt, sie füllten Wassergräben um Häuser gegen Angriffe zu schützen und sie halfen fruchtbare Äcker zu schaffen. Wassermühlen sind die ältesten vom Menschen genutzten Maschinen, die nicht durch Muskelkraft angetrieben wurden. Die ersten Mahlmühlen, die mit Wasserkraft angetrieben wurden, gab es im 3. Jh. v. Chr. in China. Auch in Ägypten, Persien und Griechenland gab es schon in der Antike Wassermühlen. Die erste beurkundete Wassermühle in Großbritannien entstand im 8. Jh.. 300 Jahre später, 1086, waren im Domesday Book 5.624 Wassermühlen aufgelistet. Die Wasserkraft war bis zur Einführung der Dampfmaschine während der Industriellen Revolution die Haupt-energiequelle. Allein in England gab es Ende des 17. Jh. rund 20.000 arbeitende Wassermühlen.

Houhton Mill

Ursprünglich lag die Mühle 650 m weiter flussabwärts. Sie wurde nach einem Brand im 17. Jh. an der heutigen Stelle neu errichtet. Im Mittelalter gehörten Dorf und Mühle einer großen Benediktiner Abtei in Ramsey, rund 16 Kilometer von Houghton entfernt. Alle Dorfbewohner arbeiteten für die Abtei, die meisten auf den Feldern und in den Ställen. In der Mühle wurde das Getreide der Abtei gemahlen, um es zu verkaufen oder in der Abtei als Nahrungsmittel der Mönche zu nutzen. Die Dorfbewohner mussten ihr Getreide ebenfalls in der Mühle der Abtei mahlen lassen, unter Androhung von empfindlichen Geldstrafen, wenn sie eine andere Mühle nutzten. Die Abtei behielt dann als Lohn für die Nutzung der Mühle einen festgesetzten Anteil des Mehls, normalerweise ein Siebzehntel, das sogenannte Mahlgeld (multure).

Houhton Mill

Um 1500 kam zu Streitigkeiten zwischen der Abtei und dem Dorf, als die Wasser-zuführung zur Mühle durch Ablagerungen gehemmt wurde und der Abt den Fluss stauen und umleiten ließ, um die Mühle mit ausreichendem Wasser zu versorgen. Als Folge wurde das Dorf überflutet. Daraufhin zerstörten die aufgebrachten Dorfbewohner „mit großer Gewalt und Macht“ die Stautore der Mühle. 15 Jahre später erhielten sie die Erlaubnis bei einer Flut, die Schleusentore zu öffnen und jede Absperrung des Flusses zu entfernen, die seinen natürlichen Lauf behinderte.

Houhton Mill

Aber es gab noch andere Gründe, die für Streit zwischen den Dorfbewohnern und der Abtei sorgten. Chaucers erzählte in seinen Canterbury Tales von unehrlichen Müllern, die ihre Kunden beim Mahlgeld betrogen, indem sie beim Prüfen der Qualität des Korns sich einen Teil des Mehls stahlen. Trotz des Verbotes versuchten die Dorfbewohner das Mahlgeld zu vermeiden, indem sie ihr Korn selber mahlten oder es zu einer Mühle brachten, die eine geringere Bezahlung forderte. 1310 musste Richard Plombe aus Houghton zur Strafe sechs Pence bezahlen, weil er sein Korn in der falschen Mühle hatte mahlen lassen. Das war eine harte Strafe, weil der normale Tageslohn nur ein oder zwei Pence betrug.

Houhton Mill

Nach der Auflösung der Klöster durch Heinrich VIII. im 16. Jh. gelangte die Mühle in den Besitz des Königs. 1625 verkaufte Karl I. Houghton Mill an Robert Bernard und 1651 wurde sie Teil des Brampton Park Gutes. Sie blieb mehr als 250 Jahre im Besitz dieser Familie. Erst 1918 wurde sie verkauft.

Houhton Mill

Neugierig begannen wir die Besichtigung der Mühle. Man kann bis ins obere Stockwerk hinauf klettern und sich die riesigen Zahnräder anschauen, die die Bewegungen der Wasserräder auf die Mahlsteine übertragen. Die Mühle ist voll funktionsfähig und auch heute noch wird hier regelmäßig Mehl gemahlen. Jeden Sonntag finden Vorführungen statt. Man kann das Mehl von der Mühle kaufen. Stolz weist man in Houghton daraufhin, dass das Getreide von der Wimpole Home Farm stammt und das Mehl ohne künstliches Bleichen hergestellt und nicht durch zusätzliche Maßnahmen noch feiner gemahlen wird, wie es bei industriell hergestelltem Mehl häufig der Fall ist. Dabei werden wertvolle Inhaltsstoffe zerstört. In Houghton wird Vollkorn Mehl hergestellt. Große Tafeln auf den verschiedenen Stockwerken informieren über die Geschichte der Mühle und ihre Müller.

Houhton Mill

Wir kletterten zunächst in den zweiten Stock, den sogenannten Sichterboden. Früher wurde hier das Getreide gelagert. Auf jedem Stockwerk gab es Freiwillige des National Trust, die den Besuchern erklärten, wie hier früher Getreide gemahlen wurde. Ganz oben war ein besonders junger Mann, ein Schüler, der in seiner Freizeit sehr fachkundig erklärte, welche Arbeiten in der Mühle einst erledigt werden mussten.

Foto: Southdevonian, Potto Brown (1797–1871), http://en.wikipedia.org/wiki/File:PottoBrownstatue.JPG

Von 1797 an arbeiteten vier Generationen der Brown Familie für einen Zeitraum von beinahe 100 Jahren in der Houghton Mill als Müller. Während dieses Zeitraumes wurde die Mühle ständig vergrößert, ihre Produktivität wuchs und der Wohlstand der Menschen, die sie betrieben. Viele Arbeitsplätze für die Bewohner des Dorfes entstanden. 1797 wurde William Brown der Müller in Houghton. Im selben Jahr war sein Sohn Potto geboren worden, der 1822 zusammen mit einem Partner, Joseph Goodman, seinem Vater als Müller nachfolgte. Unter der Leitung der beiden Männer machte die Mühle große wirtschaftliche Fortschritte. Potto musste den Besitzern der Mühle eine jährliche Miete von £325 bezahlen, dies war ein geringer Betrag im Vergleich zu den Einnahmen, die er und sein Partner hatten. Von 1852 an betrieben Potto und seine beiden Söhne Bateman und George die Mühle gemeinsam. Ihr Wohlstand wuchs, so konnten sie 1854 in St. Ives und 1862 in Godmanchester weitere Mühlen errichten, die mit einer Dampfmaschine betrieben wurden. Die Browns führten die neueste Mühlentechnologie aus Frankreich ein und konnten sich vor Gericht erfolgreich dagegen wehren, eine Gebühr bezahlen zu müssen, weil ihr Belüftungssystem der Mahlsteine angeblich Copyright verletzt hätte. 1862 zog sich Potto aus dem Betrieb zurück und überließ seinen Söhnen die Arbeit. Er lebte bis zu seinem Tod 1871 im Müllerhaus. Potto war ein sehr angesehener Bürger des Dorfes, dessen unter- nehmerischer Erfolg bewundert wurde. Er kümmerte sich auch um die Dorfgemeinschaft und ließ um 1830 in Houghton eine neue Schule errichten und um 1840 eine Kapelle und eine Wasserpumpe auf dem Dorfplatz bauen. Er stellte den Dorfbewohner Schrebergärten zur Verfügung und unterstützte aktiv die Abstinenzbewegung, die den totalen Verzicht auf Alkohol propagierte, und setzte sich für religiöse Toleranz ein.

Houhton Mill

Mitte des 19. Jh. war eine Mühle kein angenehmer Arbeitsplatz. Es ist bei so einer Besichtigung heute gar nicht so leicht, sich das vorzu- stellen. Denn nun ist die große Mühle auf einer kleinen Insel im Fluss ein recht idyllischer Ort. Man kann durch die Fenster hinaus auf den Fluss blicken, den Anglern zuschauen, Enten und Schwäne beobachten. Dazu hatten die 18 Arbeiter, die um 1850 in der Mühle schuften mussten keine Zeit. Sie waren zwischen 15 und 59 Jahre alt und bekamen um die 10 Schilling Lohn in einer Woche (das sind 50 Pence). Ihre Arbeit begann morgens um fünf und endete um 7 Uhr am Abend. Die Arbeiter hatten dann 12 Stunden mit zwei Stunden Pause gearbeitet. Es war staubig, laut und recht dunkel in der Mühle. Denn nur wenig Licht kam durch die Fenster ins Innere des Mühlengebäudes. Die riesigen Zahnräder waren ständig in Bewegung, die Mühlsteine zerrieben die Getreidekörner, die Luft war voller Mehlstaub. Müller erkrankten früher oft an Asthma, das durch den Mehlstaub hervorgerufen wurde. Deshalb führte Potto Brown sein Belüftungssystem ein, dadurch wurde der Mehlstaub in der Luft reduziert und seine Arbeiter blieben gesund.

Houhton Mill

Der letzte Müller der Houghton Mill hieß Arthur Chopping. Er lebte im Müllerhaus neben der Mühle mit seiner Frau, seinen zehn Töchtern und seinem Sohn von 1915 bis 1930. Der dreizehnköpfigen Familie standen drei Schlafzimmer zur Verfügung. Man kann sich leicht vorstellen, dass es oft recht turbulent im Zuhause des Müllers zuging.

Houhton Mill

1928 wurde der Betrieb der Mühle eingestellt und in der Folgezeit wurden immer wieder die Gebäude beschädigt. Schließlich gründete 1933 eine Gruppe von Ortsansässigen das Houghton Mill Restoration Committee mit dem Ziel die Mühle für die Nachwelt zu erhalten. Sie sammelten Geld und ließen erste Reparaturmaßnahmen durchführen. 1934 wurde eine Jugendherberge in der Mühle eingerichtet. Als der Mietvertrag mit der Jugendherbergsorganisation 1988 endete, machte der National Trust die Mühle für die Öffentlichkeit zugänglich.

Houhton Mill

Viel von der Technik im Innern der Mühle blieb erhalten. Und so konnten wir uns mit Hilfe der Informationstafeln die Arbeitsabläufe in einer Getreidemühle gut vorstellen. Auch die Bauweise der Wasserräder wurde anschaulich mit Bildern vorgestellt. In der Mitte des 19. Jh. wurde die Mühle mit zehn Paaren von Mühlsteinen betrieben, die mit drei unabhängigen Wasserrädern angetrieben wurden. Heute wird das Mehl mit einem Paar von Mühlsteinen gemahlen, die von einem Wasserrad angetrieben werden, das 1999 wieder eingesetzt wurde.

Abbildung von Daniel M. Short, unterschlächtiges Wasserrad, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Undershot_water_wheel_schematic.svg

Je nach der Fließgeschwindigkeit der Flüsse, die die Wasserräder antreiben, werden unterschlächtige oder oberschlächtige Wasserräder genutzt. Bei unterschlächtigen Wasserrädern fließt das Wasser unter dem Rad in einer Führung, dem sogenannten Kropf durch, die verhindert, dass das Wasser unterhalb und seitlich der Schaufeln abfließt, ohne das Rad anzutreiben. Das Wasser trifft auf die Schaufeln des Rades und treibt so das Rad an. Sie werden bei langsam fließenden, flachen Gewässern verwendet. Mit ihnen kann man einen Wirkungsgrad von bis zu 70 % erreichen.

Abbildung von Daniel M. Short, oberschlächtiges Wasserrad, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Overshot_water_wheel_schematic.svg

Beim oberschlächtigen Wasserrad strömt das Wasser durch eine Rinne oder ein Rohr von oben in die wasserdichten Zellen des Rades. Man nennt diese Räder deshalb auch Zellenräder. Das Rad wird durch die Gewichtskraft des aufgenommenen Wassers und durch seine kinetische Energie in Bewegung versetzt. Solche Wasserräder werden an schnell fließenden Flüssen in bergigem Gebiet genutzt. Sie arbeiten etwas effektiver und erreichen Wirkungsgrade von bis zu 80%.

Abbildung von Daniel M. Short, mittelschlächtiges Wasserrad, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Breastshot_water_wheel_schematic.png

In Houghton wurden mittelschlächtige Wasserräder genutzt. Bei ihnen trifft das Wasser etwa auf der Höhe der Nabe des Rades auf die Zellen oder Schaufeln. (Beide Bauweisen sind möglich.) Sie sind ähnlich wie oberschlächtige Räder gebaut, drehen aber in die entgegen gesetzte Richtung. Moderne mittel-schlächtige Wasserräder können einen Wirkungsgrad von 85 % erreichen, damit kommen sie nahe an den Wirkungsgrad von Turbinen heran.

Houhton Mill

Das Wasserrad dreht die Hauptwelle mit dem Kammrad, deren senkrechte Bewegung durch ein Winkelgetriebegetriebe schließlich in eine waagerechte Position umgeleitet und auf den Mahlgang übertragen wird. Als wir uns die Zahnräder in der Mühle anschauten konnten wir feststellen, dass immer wieder Zähne aus Eisen auf Zähne aus Holz treffen. Diese Kombination wurde gewählt, weil so der Lärm reduziert wurde und keine Funken entstehen konnten, die die Mühle hätten in Brand setzen können.

Houhton Mill

Die Säcke mit dem Getreide, die an der Mühle angeliefert wurden, wurden mit einer Winde, die an dem hervorragenden Giebel der Mühle angebracht war, nach oben auf den Sichterboden der Mühle transportiert. Dort wurde das Getreide gereinigt und gelagert. Von dort fiel es durch rechteckige Öffnungen im Boden über Rutschen, in das darunterliegende Stockwerk, den Steinboden, wo sich der Mahlgang befand. Der Mahlgang besteht aus zwei aufeinander liegenden Mühlsteinen, von denen sich nur der oberste dreht. Man nennt ihn deshalb auch Läuferstein. Das Getreide fiel dann zunächst in einen Trichter und gelangte dann durch das Steinauge des Läufersteins zwischen die Mahlflächen und kam als Mehl, Grieß oder Kleie wieder heraus. Kleie sind die nicht verdaulichen Teile des Getreides, Grieß die nur grobgemahlenen Getreidekörner, die erneut in den Malgang geschickt werden müssen. Kleie und Gries wurden im Mehlbeutel, einem feinmaschigen Sieb, im Mehlkasten vom Mehl getrennt. Das Mehl gelangte direkt in einen unter dem Mehlkasten befestigten Sack, der im Erdgeschoss der Mühle in Empfang genommen werden konnte, wenn er voll war.

Houhton Mill

Die Besichtigung, die uns viel Freude gemacht hatte, beendeten wir mit einem kurzen Spaziergang, den Fluss entlang. Doch dann ging es zügig weiter, denn unser nächstes Tagesziel lockte uns ganz besonders.

Die Informationen habe ich hier gefunden:

Im Kurzführer „Houghton Mill“ des National Trust

http://www.nationaltrust.org.uk/main/w-vh/w-visits/w-findaplace/w-houghtonmill.htm
http://en.wikipedia.org/wiki/Houghton_Mill
http://en.wikipedia.org/wiki/River_Great_Ouse
http://de.wikipedia.org/wiki/Wasserm%C3%BChle
http://www.planet-wissen.de/kultur_medien/architektur/muehlen/index.jsp
http://de.wikipedia.org/wiki/Oberschl%C3%A4chtiges_Wasserrad#Oberschl.C3.A4chtiges_Wasserrad
http://www.deutsche-muehlen.de/
http://en.wikipedia.org/wiki/Mill_machinery
http://en.wikipedia.org/wiki/Potto_Brown

Mehr Bilder von der Houghton Mill

Anglesey Abbey – das Refugium eines Gentleman

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Der nächste Urlaubsmorgen begann mit blauem Himmel, auf dem nur wenige Wolken entlang zogen, ein verheißungsvoller Start in den Tag. Wir packten unsere sieben Sachen und brachen auf, um weiter nach Norden zu fahren – allerdings nicht auf geradem Weg, schließlich geht es uns bei unseren Urlaubsreisen nicht darum an ein Ziel zu gelangen, sondern darum unser Urlaubsland zu „erfahren“. So lag unser erster Stopp an diesem Mittwoch auch nicht weit von Cambridge entfernt.

Anglesey Abbey

Wenn man in England eine Sehenswürdigkeit besucht, in deren Namen „Abbey“ auftaucht, landet man meist in einer Klosterruine oder einem Herrenhaus, das durch den Umbau eines Klosters entstanden ist. Anglesey Abbey ist ein solches Haus, dessen Ursprünge im 12. Jh. liegen. Es sind allerdings nur wenige Überreste der ehemaligen Klostergebäude übriggeblieben. Uns erwartete ein mittelalterlich anmutendes Haus mit viel Komfort im Innern, das in mitten eines 45 Hektar großen Landschaftsparks mit Themengärten liegt, der im 20. Jh. entstanden ist und sich am Stil der großen Gärten und Parkanlagen des 18. Jh. orientiert. Bereits der Weg hin zu dem Haus über gepflegte Wege vorbei an Rasenflächen, auf denen hohe alte Nadelbäumen stehen, überzeugte uns, das wir eine gute Wahl mit diesem Urlaubsziel getroffen hatten. Anglesey Abbey ist wirklich eine Reise wert.

Anglesey Abbey

1135 gründete Heinrich I. in Anglesey ein Hospital. So nannte man im Mittelalter Unterkünfte für Pilger, die oft auch als Armenhäuser dienten. Der Begriff „Hospital“ leitet sich vom lateinischen Wort „hospes“ ab, was „Gast“ oder „Fremder“ bedeutet. In einem Hospital kümmerten sich meist Mönche und Nonnen, um die Besucher und pflegten dort auch Kranke. So entwickelten sich aus diesen Gasthäusern schließlich die ersten Krankenhäuser. Das Hospital St. Mary in Anglesey wurde im frühen 13. Jh. von einem Master Lawrence in eine Augustiner Priorie umgewandelt. Der Augustiner Orden entstand im 13. Jh. als Zusammenschluss loser, nur wenig organisierter Eremitengruppen. Ähnlich wie die Franziskaner und Dominikaner orientierten sich die Augustiner an den Idealen der „evangelischen“ – d. h. dem Evangelium gemäßen – „Armut“ und der „apostolischen Brüderlichkeit“, wie sie in der Urkirche nach dem Beispiel der Apostel ausgeübt wurde. Sie waren also ein Bettelorden. Priestern und Laienbrüder waren gleichberechtigt, sie hatten bei den Kapiteln, den Versammlungen, das gleiche Stimmrecht und im Prinzip Zugang zu allen Ämtern. Die Regeln, die das Leben der Augustinerbrüder regelten, waren weniger streng als die der Franziskaner. So durften Augustiner auch in Grenzen einen Privatbesitz haben. Dies führte dazu, dass der Augustinerorden in England schnell Fuß fasste. Angelsey war eine von rund fünfzig neuen Gemeinschaften, die überall in England entstanden. Sie waren meist klein und folgten kontemplativ dem religiösen Kreislauf, der ihren Tagesablauf bestimmte. Eine Chronik berichtet, dass als Master Lawrence 1236 starb, die Kirche und der Kreuzgang sowie Refektorium und Dormitorium der Mönche und die Wohnung des Priors beinahe vollständig errichtet worden waren „auf seine eigenen Kosten und durch seine eigene schicklichen Sorge und Fleiߓ. Genau genommen gab es also in Angelsey nie eine Abtei, sondern immer nur eine Priorie. Erst viel später, als hier schon lange keine Mönche mehr lebten, wurde aus der „Anglesey Priory“ eine Abbey. In der kleinen Gemeinschaft lebten nie mehr als 50 Mönche, die man wegen ihrer schwarzen Kutten auch „Schwarzer Kannoniker“ nannte.

Anglesey Abbey Anglesey Abbey Anglesey Abbey

Trotz seiner Abgelegenheit profitierte das Augustiner Kloster davon, dass es zu der wohlhabenden Diözese von Ely gehörte. So gab es immer wieder großzügige Stifter, die die Mönche unterstützten. Dazu gehörte u. a. auch Elizabeth de Clare (1295-1360), die Gründerin des Clare Colleges in Cambridge. Ihr Wappen ist in einem der Türstöcke eingemeißelt. Doch das Klosterleben fand 1536 ein abruptes Ende, als Heinrich VIII damit begann die Klöster aufzulösen. Das Kloster geriet in die Hände eines Anwalts, John Hyde, der die Dächer entfernen ließ, inklusive dem Dach der Kirche, um die Materialien beim Bau seines neuen Hauses Madingley Hall in Cambridge zu verwenden. Für Anglesey bedeutete dieses Recycling, dass die Klostergebäude, Wind und Wetter ausgesetzt, langsam verfielen.

Anglesey Abbey

So ist es kein Wundern, dass heute kaum etwas von den mittelalterlichen Ursprüngen, des Hauses erhalten geblieben ist. Dennoch hatten wir, als wir vor dem Haus standen, den Eindruck an einem Platz mit einer langen Geschichte zu sein. Steinköpfe an Türstöcken, dicke alte Holztüren mit Metallbeschlägen schienen aus der Zeit zu stammen, als in Anglesey noch Mönche lebten. Doch die meisten dieser Dinge sind erst in späterer Zeit hierhin gelangt und wir verdanken es den späteren Besitzern, des Hauses und des Anwesens, das man auch heute noch die Geschichte des Hauses mit allen Sinnen wahrnehmen kann.

Anglesey Abbey

1596 erwarb die Fowkes Familie den Besitz. Sie sind verantwortlich dafür, dass 1609 aus dem ehemaligen Kloster ein Wohnhaus wurde. Die Gartenfront mit den Fenstern mit schmalen vertikalen Unterteilungen stammt aus dieser Zeit. Spätestens als wir hier standen, hatte ich mich in das Haus verliebt. Umgeben von grünen Rasenflächen, berankt mit Rosen in zartem Rosa und kräftigen Rot, liegt es scheinbar unberührt vom Lauf der Zeit. Wir spazierten zunächst durch die Gärten rund um das Haus. Hohe Hecken formen grüne Gartenzimmer, die mit antiken Statuen geschmückt sind, die der letzte Besitzer im 20. Jh. gesammelt hat. Blumenbeete setzten farbliche Akzente. Viele Bänke luden zur Rast zwischen duftenden Blüten ein. Ein guter Platz um im Führer nachzulesen, wie die Geschichte des Hauses weiterging.

Anglesey Abbey Anglesey Abbey

Anglesey Abbey Anglesey Abbey

1625 kaufte Thomas Hobson, ein Transportunternehmer aus Cambridge, Haus und Besitz. Er war als Kurier für die Post zwischen London und Cambridge zuständig und transportierte auf stabilen Karren Güter von und in die englische Hauptstadt. So war er ein reicher Mann geworden. Genau wie die heutigen Schwertransporte machte man ihn auch damals für Straßenschäden verantwortlich. Seine Pferde waren in einem Stall in der Nähe des St. Catherine’s College untergebracht und wenn er sie nicht für sein Transportunternehmen benötigte, verlieh er sie an Studenten und Professoren der Universität Cambridge. Hobson stellte bald fest, dass die am häufigsten ausgeliehenen Pferde, genau die waren, die besonders schnell waren. Das wird niemanden verwundern, doch genau dies führte dazu, dass die Tiere oft erschöpft und überarbeitet waren. Um seine Pferde zu schützen führte er ein striktes Rotationssystem ein. Der Kunde musste das Pferd nehmen, das am nächsten zur Tür stand. Er hatte keine Wahlmöglichkeit. Noch heute spricht man in Großbritannien in einer Situation, wo man im Grunde keine Wahl hat, davon vor „Hobson’s choice“ zu stehen.

Thomas Hobson (1544-1631), http://en.wikipedia.org/wiki/File:ThomasHobson.jpg

Bei seinem Tod 1630 hinterließ er einen Teil seines Vermögens für die Gründung eines Armenhauses und die Verbesserung der Wasserversorgung von Cambridge. Anglesey erbte sein Schwiegersohn, Thomas Parker, dessen Familie es für den Rest des Jahrhunderts besaß. Danach ging es durch verschiedene Hände. Ein bekannter Besitzer war Sir George Downing (1685-1749), dessen Großvater die Downing Street in London ihren Namen verdankt. Mit nur 15 Jahren wurde er gegen seinen Willen mit seiner 13 Jahre alten Kusine verheiratet. Die beiden versuchten vergeblich ihre Ehe annullieren zu lassen. So wundert es nicht, dass die Ehe kinderlos blieb. Auch sein Erbe und Cousin, Sir Jacob Downing, starb ohne Nachkommen. Dies führte nach dem Tod zu einem fünfzig Jahre andauernden Rechtsstreit, wer nun Anglesey und den restlichen Besitz erben sollte, denn Sir George hatte in seinem Testament festgelegt, dass sein Besitz, sollte die Linie der Downings aussterben zur Gründung eines Colleges in Cambridge verwendet werden sollte. Eine Bestimmung mit der die Witwe seines Cousins nicht einverstanden war. Am Ende verlor sie den Prozess und Downing College wurde gegründet. Angelsey wurde verkauft. In dieser Zeit dienten die übriggebliebenen mittelalterlichen Gewölbe des Hauses als Hühnerstall. Erst rund 100 Jahre später, sollte das Haus wieder aus seinem Dornröschenschlaf aufwachen.

Anglesey Abbey

1848 kaufte der Vikar der benachbarten Gemeinde von Bottisham, John Hailstone, Anglesey. Er verpasste seinem Besitz vermutlich den Namen „Anglesey Abbey“. Obwohl er sich für die Geschichte des Hauses interessierte und am Erhalt der Bausubstanz interessiert war, ließ er „zu seinem großen Bedauern“ Teile der noch vorhandenen mittelalterlichen Bausubstanz abreißen um Platz für neue Ställe zu schaffen und ließ auch einige Veränderungen an den später entstandenen Gebäuden vornehmen. Bis 1888 verblieb der Besitz in seiner Familie, bis er an einen weiteren Geistlichen, James Clark verkauft wurde, der bis 1912 in Anglesey lebte und dort viele Garten Partys für seine zahlreichen Cousins veranstaltete.

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Ihr heutiges Aussehen verdanken Haus und Parkanlagen dem Mann, der 1926 Anglesey Abbey zusammen mit seinem Bruder erwarb: Huttleston Broughton, der 1. Lord Fairhaven. Als sie es kauften, sahen er in dem Anwesen zunächst nur eine Basis von der aus er, Rebhühner jagen, seine Pferde auf der nahegelegenen Rennbahn in Newmarket starten lassen und das Familiengestüt in Great Barton überwachen konnte. Doch der Ort nahm ihn gefangen und sollte die nächsten vier Jahrzehnte sein Leben bestimmen. Er ließ einen der großen Gärten des 20. Jh. gestalten und Anglesey vergrößern und verschönern, um einen angemessenen Rahmen für seine hervorragende, abwechslungsreiche Kunstsammlung zu schaffen.

Anglesey Abbey

Wie gut ihm das gelungen ist, konnten wir uns bei unserer Besichtigungstour durch das Haus überzeugen. Altes und Neues ist auf harmonische Weise mit einander verbunden. Die wenigen mittelalterlichen Überreste sind effektvoll in Szene gesetzt und mit neuen Räumen verbunden, die historische Elemente aufgreifen. Gleichzeitig hat das Haus genug modernen Komfort, dass wir uns sofort vorstellen konnten, hier zu leben. Allerdings müsste man dann über ein ähnliches Vermögen verfügen wie Lord Fairhaven. Er hatte das Glück in eine reiche Familie hineingeboren zu werden. Wie der Name, den er – auf Rat seiner Mutter – für seinen Adelstitel gewählt hat, verrät, dass seine Ursprünge im Osten der USA lagen.

Anglesey Abbey

Lord Fairhavens Großvater war Henry Huddleston Rogers. Er begann seinen wirtschaftlichen Aufstieg als Verkäufer von Petroleum in Fairhaven im Massachusetts. 1861 verließ er sein Zuhause um sein Glück auf den Erdölfeldern Pennsylvanias zu machen, wo man das „Schwarze Gold“ vor zwei Jahre entdeckt hatte. In seinem ersten Jahr verdiente er 30.000 Dollar. 1874 verkaufte er seine Ölfelder an John D. Rockefellers Standard Oil, die die Erdölindustrie zu dominieren begannen, blieb aber als Direktor in der Firma und wurde 1890 ihr Vizepräsident. Der „Höllenhund“ Rogers war ein ratsloser, erfolgreicher Magnat, der auch zahlreiche Anteile von Eisenbahn- und Minengesellschaften besaß. Als er 1909 starb hatte er ein Vermögen von 100 Millionen Dollar angehäuft. Im Privatleben war er im Gegensatz dazu warmherzig und humorvoll. Er war ein großzügiger Wohltäter für seine Heimatstadt, der er eine Bücherei, eine Rathaus, eine Kirche und eine Schule spendete. Sich selbst baute er dort ein riesiges hochherrschaftliches Haus. Er war mit dem Schriftsteller Mark Twain befreundet und rettete ihn 1894 vor dem Bankrott. 1895 lernte seine kürzlich verwitwete Tochter Cara, Urban Broughton kennen, einen jungen Englischen Ingenieur, sie verliebte sich in ihn und sie heirateten im November desselben Jahres.

Anglesey Abbey

Der Vater von Lord Fairhaven, Urban Broughton, hatte die ersten Erfahrungen als Ingenieur beim Bau der Hafenbecken von Felixstone gemacht von 1883-1885. 1887 war er in die USA gegangen um beim boomenden Eisbahnbau Kariere zu machen. Die machte er dann auch, wobei er zusätzlich für die Bergbauindustrie und im Finanzmanagement arbeitete. Als er Cara traf, arbeitete er daran das Abwassersystem Fairhavens zu verbessern. 1896 wurde sein erster Sohn, Huttleston geboren, 1900 kam der zweite Sohn Felix zur Welt. Bis 1912 blieben die Broughtons in den USA. Dann kehrten sie nach Großbritannien zurück und Huttlestone wurde auf die Harrow School geschickt, eine der bekanntesten englischen Privatschulen, deren prominentester Absolvent Winston Churchill ist. Später absolvierte der die Militärakademie Sandhurst und 1916 mitten im I. Weltkrieg trat er den Dienst in den Life Guards an. Bis 1924 blieb er in diesem Regiment. Als er und sein Bruder Anglesey kauften, trafen sie die Vereinbarung, dass derjenige von ihnen, der als erster heiraten würde, seinen Anteil an dem Besitz dem anderen verkaufen sollte. Henry heiratete 1932 und so wurde Lord Fairhaven der alleinige Besitzer. Den Titel hatte er 1929 zusammen mit seiner Mutter erhalten. Ursprünglich sollte der Titel seinem Vater verliehen werden, doch der starb bevor es geschehen war.

Anglesey Abbey

Von 1926 – 1927 begannen Huttleston Brougthon und sein Bruder Henry damit wesentliche Umbauten in Anglesey durchführen zu lassen, die sie sorgfältig in einem Fotoalbum mit vorher und nachher Bildern dokumentierten. An der Südfront ließen sie wieder die Mansarden- fenster einsetzen, die Hailstone hatte entfernen lassen. Die Mittelalterliche Krypta wurde in ein Speisezimmer umgewandelt, in dem eine Viktorianische Veranda, die vor ihr gelegen hatte, an das Ost Ende des Hauptkorridors verlegt wurde. Dieser wurde zur langen Galerie, die mit einem Rippengewölbe und einer Steinwendeltreppe am anderen Ende verschönert wurde. Im Speisezimmer wurde der Viktorianische Kamin durch einen ersetzt, der einen mehr mittelalterlichen Eindruck machte. Im Erdgeschoss des Südflügels wurden zwei Räume zusam- mengelegt um ein größeres, gemütliches Wohnzimmer zu schaffen. Der benachbarte Raum wurde ebenfalls umgestaltet. Er erhielt eine Wandvertäfelung aus Eiche aus dem frühen 17. Jh. und wurde deshalb Oak Room getauft, eine im gleichen Stil gestaltete Stuckdecke vervollständigte den Raum im Old English Stil. Eigentlich waren solche Räume in den 1920er Jahren aus der Mode gekommen, doch so stellte der Raum die perfekte Kulisse für die Lord Fairhavens Kunstsammlung dar. 1937-1938 ließ Lord Fairhaven den Dienstbotenflügel renovieren und vergrößern. Der neue Gebäudeteil beherbergte im ersten Stock seine neue Bibliothek. 1939 – 1940 wurde das Haus im Norden des Speisezimmers vergrößert um Platz für eine großzügige Eingangshalle und ein Treppenhaus zu schaffen.

Anglesey Abbey Anglesey Abbey Anglesey Abbey

Obwohl wir schon einige Häuser in Großbritannien besichtigt hatten, deren wertvolle Ausstattung uns beeindruckt hatte, habe ich selten eine Besichtigung so genossen, wie die in Anglesey Abbey. Das Haus vermittelt eine harmonische, friedliche Atmosphäre. Man spürt, dass der Hausherr sich hier wohlgefühlt hat und es ihm Freude machte jedes Detail seines Zuhauses zu gestalten. Die exquisiten Kunstgegen- stände – Gemälde, Uhren und Skulpturen – vermitteln nicht den Eindruck, dass hier jemand mit seinem Wohlstand angeben wollte, sondern tragen jedes für sich zu dem einladenden, eleganten und trotzdem gemütlichen Gesamteindruck des Hauses bei. Ich hätte große Lust gehabt mich auf eins der Sofas vor dem Kamin in der Bibliothek zu setzen und in den Büchern zu lesen.

Anglesey Abbey

Als letzte große Umbaumaßnahme ließ Lord Fairhaven schließlich im Norden des Hauses einen neuen doppelstöckigen Anbau errichten, der sich harmonisch an den Stil der alten Gebäude anschließt. Er ist über eine Gebäudebrücke mit dem Haus verbunden und enthält einen der Gemälde aus Lord Fairhavens sehenswerter Sammlung. Im ersten Stock kann man ausschließlich Ansichten von Windsor Castle bewundern, im Erdgeschoss sind die schönsten Bilder von alten Meistern untergebracht.

Anglesey Abbey

Während wir das Haus besichtigten konnten wir uns mit Hilfe unseres Führers, den wir am Eingang gekauft hatten, vorstellen, wie der Alltag in Anglesey ausgesehen hat, als Lord Fairhaven hier lebte. Er hatte genug Geld um im 20. Jh. das Leben eines Gentlemans des 19, Jh. zu führen und seine Angestellten halfen ihm dabei, dies mit Stil zu tun. Dabei begann der Tag für die Hausmädchen früh am Morgen um 6:30. Sie begannen damit die wichtigsten Räume sauber zu machen. Der Hall Boy, der von Rang her niedrigste und jüngste Bedienstete eines Haushaltes, hatte ihnen dann schon die Holzscheite gebracht, die gebraucht wurde, um die Kaminfeuer anzuzünden. Im Wohnzimmer, dem Oak Room und dem Speisezimmer brannte den ganzen Winter über ein Feuer. Eine Zentralheizung sorgte zusätzlich dafür, dass es im ganzen Haus angenehm warm war und ein eigener Stromgenerator versorgte die elektrische Beleuchtung mit Strom.

Anglesey Abbey

Ein Diener brachte dann ein Tablett mit einer Tasse Tee, eine Zeitung und den Speisenplan des Tages hinauf zu Lord Fairhaven ins Schlafzimmer. Er bereitete ihm ein Bad vor und während sein Herr badete, legte er einen der 50 Anzüge für ihn bereit. Es gab Schuhe für jede Gelegenheit und sie wurden so selten getragen, dass sie alle wie neu aussahen. Zu jeder Jahreszeit trug Huttleston Broughton eine Nelke im Knopfloch – eine farbige den Tag über, eine weiße am Abend. Das Frühstück nahm er im Speisezimmer ein, dann beschäftigte er sich mit seiner Korrespondenz in der Bücherei und übermittelte den Angestellten seine Anweisungen über die Diener, Gerald Munday. Einmal in der Woche aß er mit seinem Gutsverwalter zu Mittag. Das Personal hatte den Nachmittag oft zur freien Verfügung, denn, da es der Haushalt eines Junggesellen war, war der leicht zu führen. Die meiste Zeit des Jahres lebte der Lord in Angelsey, gelegentlich fuhr er nach London, um neue Exponate für seine Sammlung zu erstehen. Dann wohnte er meist bei seiner Mutter, in deren elegantem Haus in Maifair. Außerdem hatte er ein Ferienhaus an der See in Aldeburgh. Diese Reisen unternahm er in einem mitternachtsblauen Rolls-Royce, den sein Chauffeur, in einer blauen Uniform mit silbernen Knöpfen chauffierte. Er legte großen Wert auf Pünktlichkeit, aber auch darauf, dass der Wagen nie schneller als höchsten 100 km/h fuhr. Eine weitere Aufgabe seines Chauffeur Grimes war es, jeden Abend in Cambridge die Abendzeitung zu holen.

Anglesey Abbey

Lord Fairhaven zog sich immer zum Abendessen um, er hasste es, alleine zu essen, und lud deshalb oft Gäste ein. So war er meist von einem kleinen Kreis enger Freunde umgeben, wozu Akademiker aus Cambridge, Trainer von der Rennbahn in Newmarket, lokale Geistliche und Offiziere gehörten. Die Speisen die serviert wurden – alles typisch englische Kost – waren von bester Qualität und wurden von seinem Chefkoch Allen zubereitet und von dem Butler, gekleidet im Frack mit weißer Krawatte, serviert. Lord Fairhaven mochte besonders pikante Gerichte und trank dazu Weißwein oder Champagner. Zum Abschluss des Abendessens gab es dann einen Whiskey mit Soda. Nach dem Abendessen zogen sich Gastgeber und seine Gäste in den Oak Room zurück. Um neun Uhr wurde die Unterhaltung stets unterbrochen, wenn der Butler ein Radio auf einem Silbertablett hereinbrachte, so dass man den Nachrichten der BBC lauschen konnte.

Anglesey Abbey Anglesey Abbey Anglesey Abbey

Von klein auf war Huttleston Brougthon in einer Umgebung aufgewachsen, in denen Kunst zum Alltag gehörte. Als Kind hatte er im ersten Jahrzehnt des 20. Jh. zusammen mit seinem Vater die luxuriösen Häuser der Vanderbilts und Rockefellers voll von erlesenen Gemälden und wertvollen Kunstobjekten. Seine Mutter hatte sein Elternhaus in Mayfair in einem ähnlichen feudalen Stil eingerichtet. Lord Fairhaven begann seine Kunstsammlung zunächst recht konservativ. Er kaufte Gemälde auf denen Sportereignisse oder militärische Motive dargestellt waren, die sein Hobby – die Pferderennen – und seine militärische Laufbahn bei den Life Guards widerspiegelten. Zwischen 1930 und 1950, als der Kunstmarkt eher schwach war, gab er große Summen bei den Händlern in London und den Antiquitätenläden in Cambridge aus. Sein Neffe erzählt, dass die Händler feuchte Hände bekamen, wenn seine beiden Onkel den Laden betraten. Sie halfen, dass einige Läden die schwierigen Zeiten überstanden. Im Laufe der Zeit gewann Lord Fairhaven als Sammler an Sicherheit, doch er behielt Zeit seines Lebens einen konservativen Geschmack. Er kaufte vor allem Gemälde und Kunstgegenstände aus der Tudor Zeit und der Viktorianischen Periode, zeigte aber auch Interesse an Skulpturen aus Deutschland und französischen Tapisserien. Er war ein großzügiger Mäzen, der nicht nur Anglesey mit all seinen wertvollen Kunstgegenständen dem National Trust hinterließ, sondern auch 1948 den Fairhaven Fund gründete, um das Fitzwilliam Museum in die Lage zu versetzen traditionelle Landschaftsgemälde zu erwerben, die er so liebte.

Anglesey Abbey Anglesey Abbey

Anglesey Abbey Anglesey Abbey

Nachdem wir uns das Haus angesehen hatten, machten wir noch einen Spaziergang hinüber zu der Wassermühle „Lode Mill“ aus dem 18. Jh., die am Rande des Parkes von Anglesey Abbey liegt. Sie wurde 1982 von der Cambridgeshire Wind and Watermill Society restauriert und ist wieder voll funktionsfähig. Leider war sie aber bei unserem Besuch geschlossen. Der Spaziergang vorbei an einem Wasserlauf, auf dem gelbe Teichrosen blühten zur Mühle hin und der Weg zurück zum Auto durch einen lichten Wald und vorbei an Beeten mit immer grünen Pflanzen waren ein schöner Abschluss unseres Besuches in Anglesey Abbey, einem dessen Atmosphäre uns so gut gefallen hat, dass wir bestimmt wieder hier hin kommen werden, wenn wir auf einer Englandreise durch den Osten Englands fahren.

Der Mann, dem wir diesen schönen Vormittag verdankten, starb 1966. Er schrieb kurz vor seinem Tod: „Ich freue mich besonders, dass der National Trust die Abbey – drinnen und draußen –und die Gärten erhält, so wie sie zum Zeitpunkt meines Todes gestaltet sind. Meine Vorstellung und Hoffnung ist, dass in einer sich verändernden Welt das Haus, seine Möbel und die Gärten und ihre Gestaltung erhalten werden sollen, als Beispiel einer Zeit und Lebensart, die schnell Vergangenheit sein wird.“

Anglesey Abbey - Lode Mill

Die Informationen habe aus

dem Führer: „Anglesey Abbey“ des National Trust

und von

http://www.nationaltrust.org.uk/main/w-vh/w-visits/w-findaplace/w-angleseyabbeyandgardenandlodemill.htm
http://www.parksandgardens.ac.uk/index2.php?option=com_parksandgardens&task=site&id=100&preview=1&Itemid=
http://en.wikipedia.org/wiki/Anglesey_Abbey
http://de.wikipedia.org/wiki/Augustinerorden
http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hobson
http://en.wikipedia.org/wiki/Sir_George_Downing,_3rd_Baronet
http://en.wikipedia.org/wiki/Henry_H._Rogers
http://en.wikipedia.org/wiki/Urban_H._Broughton
http://en.wikipedia.org/wiki/Urban_Huttleston_Broughton,_1st_Baron_Fairhaven

Mehr Bilder von unseren Besuch in Anglesey Abbey gibt es hier:

Cambridge – Wissenschaftler, Schriftsteller und Kuhweiden am Fluss

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Wir fuhren wieder zurück nach Cambridge und da wir Lust auf einen Einkaufsbummel hatten, zog es uns zielstrebig in die Innenstadt. Von vergangenen Besuchen in der Universitätsstadt kannten wir uns ein bisschen aus und waren so zuversichtlich einen Parkplatz für unser hohes Auto zu finden. Und wir wurden nicht enttäuscht. Bald konnten wir das Wohnmobil am Straßenrand direkt neben dem Park abstellen, der entlang des Laufs des Cam verläuft. Grüne Wälle versperrten uns die Sicht auf den Fluss, doch wir konnten hinter ihnen ab und zu die hohen Stöcke entdecken, mit denen die charakteristischen flachen Boote über den Fluss gestakt werden. Auf der anderen Seite des Flusses lagen die Backs, die Gärten, und Parkkanlagen der Colleges. Noch immer findet man hinter den beeindruckenden Collegegebäuden grüne Wiesen und Weiden, auf denen weiße Parkrinder grasen.

Cambridge

Im 16 Jh. lagen hier die Weiden und Obstgärten der Colleges, die zum leiblichen Wohl der Studenten beitrugen. Hölzerne Brücken führten über den Fluss, der ein wichtiger Handelsweg zu einer Mühle an der Silver Street war. Im Laufe der Zeit wurden sie durch stabilere Konstruktionen ersetzt und entlang der Wege, die zu den Collegegebäuden führen, wurden Bäume gepflanzt. Auch heute noch kann man den Fluss auf diesen Brücken überqueren und am anderen Ufer über von alten Bäumen gesäumte Wege hinüber zu den Colleges gehen und durch den Landschaftspark des King’s College spazieren, der 1779 von Lancelot „Capability“ Brown (1716–1783) angelegt wurde. Doch diese waren uns versperrt. Vor den Brücken liegen bewachte schmiedeeiserne Tore, die nur von den Studenten und Professoren passiert werden durften. Manchmal ist es auch Normalsterblichen erlaubt, durch die Gärten und Parks der Colleges zu spazieren und auf vergangenen Besuchen sind wir auch schon auf diesem Weg zum Wahrzeichen der Stadt Cambridge, der Kapelle des King’s Colleges, gelangt, doch diesmal mussten wir auf einem längeren Weg dorthin laufen.

Cambridge

Vom Fluss aus hat man einen besonders eindrucksvollen Blick auf das 1440 von Heinrich VI. gegründete Kings College. Daneben liegt die hochgotische Kapelle des Colleges, eines der schönsten gotischen Bauwerke Englands. Sie verfügt über das größte Fächergewölbe der Welt im für die Hochgotik in England typischen Perpendicular Style. Die Kapelle wurde 1446 begonnen und erst 70 Jahre später fertig gestellt. König Heinrich VI. selbst soll ihre Ausmaße festgelegt haben. Er erlebte allerdings die Fertigstellung des Gebäudes nicht. Erst unter Heinrich VIII. wurde die Kapelle vollendet.

Cambridge

Francis Walsingham (1532–1590), der Begründer des englischen Geheimdienstes, der mehreren Attentate auf seine Königin Elisabeth I. verhinderte, studierte hier, genauso wie Sir Robert Walpole (1676–1745), der erste Premierminister Großbritanniens und John Maynard Keynes (1883–1946), der englischer Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler, dessen Theorien bis heute das ökonomische und politische Handeln beeinflussen. Auch der Mathematiker Alan Turing (1912–1954), einer der Urväter des Computers, absolvierte hier seine akademische Ausbildung. Für ihn war allerdings das King’s College nur zweite Wahl. Er hatte am Trinity College studieren wollen, doch da er keine Lust auf Geisteswissenschaften hatte und sich in erster Linie auf die Naturwissenschaften konzentrierte, fiel er während seiner Schulzeit mehrere Male durch die Prüfungen, was seinen Notendurchschnitt so verschlechterte, dass er sich mit einem College „zweiter Wahl“ begnügen musste.

Abbildungen: Francis Walsingham auf einem Gemälde von John de Critz, c.1587, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Walsingham.jpg&filetimestamp=20050720051354, John Maynard Keynes, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:John_Maynard_Keynes.jpg&filetimestamp=20091214040545, Alan Turing, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Turing_statue_Surrey.jpg&filetimestamp=20100604212218

Wenn man der Legende glauben darf, verdankt die Universität Cambridge ihre Entstehung einem anderen englischen König und seinem Streit mit der Kirche. Im Jahr 1209 sollen Studenten und Professoren der Universität Oxford zu Fuß die rund 100 Kilometer von Oxford nach Cambridge gewandert sein, um in der kleinen Stadt eine neue Universität zu gründen. Einem solchen „Auszug“ verdanken einige Universitäten in Europa ihre Entstehung, u. a. die Universität Heidelberg, die 1386 entstand, als deutsche Studenten infolge des großen abendländischen Schismas zwischen Rom und Avignon ihre Stipendien für die Sorbonne verloren, und die Universität Leipzig, deren Studenten 1409 nach Streitigkeiten die Karls-Universität in Prag verlassen hatten.

Cambridge

Zu Beginn des 13. Jh. war das Leben der Studenten in Oxford alles andere als einfach, obwohl sie alle Geistliche waren kam es immer zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Städter und den Studenten. Als 1209 eine Frau von einem Studenten durch einen Unfall getötet wurde, entschied sich der Bürgermeister der Stadt hart durchzugreifen. Da der Verursacher des Unfalls bereits geflohen war, ließ er die Kameraden, die sich mit ihm eine Wohnung teilten, festnehmen und auf Drängen des Königs Johann Ohneland hängen. Der befand sich gerade mitten in einer Auseinandersetzung mit dem Papst Innozenz III.. Dieser hatte 1207 Stephen Langton zum Erzbischof von Canterbury berufen. Doch der König, der stattdessen seinen engen Berater und Jugendfreund John de Gray zum Erzbischof ernannt haben wollte, erkannte diese Ernennung nicht an. Diese Weigerung hatte Konsequenzen, der Papst verhängte 1208 ein Interdikt gegen England und exkommunizierte den König im November 1209. Nun war das in dieser Zeit kein ungewöhnlicher Vorfall, auch der deutsche Kaiser Otto IV. und der Graf von Toulouse Raimund VI. waren exkommuniziert worden. Ein großer Teil der Bischöfe verließ England, aber auch das konnte den englischen König nicht erschrecken, konnte er doch so ihre Ländereien beschlagnahmen und die Einkünfte daraus für sich beanspruchen. Es passte Johann Ohneland also gut in den Kram gegen Männer der Kirche vorzugehen.

König Johann von England, 1167-1216. aus dem Manuskript, De Rege Johanne, 1300-1400, http://en.wikipedia.org/wiki/File:King_John_from_De_Rege_Johanne.jpg

Dieses harte Vorgehen gegen Unschuldige hatte zur Folge, dass ein großer Teil der Studenten und Dozenten Oxford verließ und sich in Reading und Cambridge niederließ. Es gibt zeitgenössische Quellen, die von dreitausend Mitgliedern der Universität sprechen, die Oxford verlassen haben sollen. Doch diese Zahl scheint ein wenig übertrieben zu sein. Der Streit des Königs mit dem Papst wurde schließlich beigelegt, nachdem Innozenz III. den französischen König Philipp II. August um Hilfe gebeten hatte, gab Johann nach. 1213 konnte Stephen Langton endlich seine Diözese übernehmen, was letztendlich für Johann und die Geschichte Englands wichtige Folgen hatte, denn Langton war maßgeblich an der Entstehung der Magna Carta 1215 beteiligt.

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In Cambridge verlief das Zusammenleben der Studenten mit der Stadtbe-völkerung zunächst auch nicht harmonischer. Erst als die ersten Colleges gegründet wurden und Regeln aufgestellt wurden, ging es gesitteter zu. 1284 gründete der Bischof von Ely, der für Cambridge zuständig war, das erste College, Peterhouse, das heutzutage noch existiert. Es ist das kleinste der 31 Colleges, aus denen Universität heute besteht. Einer seiner berühmten Absolventen ist der englischer Mathematiker, Philosoph, Erfinder und Politischer Ökonom, Charles Babbage, der 1833 den Vorläufer der heutigen Computer, die mechanische Rechenmaschine Analytical Engine entwarf.

Cambridge

Im 18. Jh. war einer der Professoren von Peterhouse der englische Dichter Thomas Gray. Es war damals nicht ungewöhnlich, dass ein Feuer ausbrach und Gray war ein nervöser Mann, der große Angst davor hatte, einem Brand zum Opfer zu fallen. So befestigte er jeden Abend eine Strickleiter an seinem Fenster, um im Notfall bei einem Feuer in den Hof entkommen zu können. Eines Abends wurde er von einem großen Lärm und lauten Rufen: „Feuer! Feuer!“ geweckt. Nur mit einem Nachthemd bekleidet, kletterte er seine Strickleiter hinunter und landete in einem Fass mit kaltem Wasser, was einige Studenten dort hingestellt hatten, um ihrem Professor einen Streich zu spielen. Was mit den Übeltäter geschehen ist, habe ich nicht herausgefunden.

Cambridge

Die Colleges der Universität Cambridge sind unabhängige Institutionen, getrennt von der Universität. Sie entscheiden eigenständig, welche Studenten sie aufnehmen. Nur wer an einem College aufgenommen wird, kann an der Universität Cambridge studieren. In den Colleges wohnen die Studenten, können ihre Mahlzeiten einnehmen und Tutoren unterstützen sie bei ihrem Studium, in der Bibliothek finden sie die Bücher, die sie zum Lernen benötigen, in der Kapelle finden Gottesdienste für alle Religionen statt und es gibt auch eine Bar und Aufenthaltsräume, wo die Studenten einander kennen lernen und Freundschaften schließen können.

Cambridge

Unser Weg führte uns vorbei an den Backsteingebäuden des 1428 gegründeten Magdalenen College zu der Brücke, der Cambridge seinen Namen verdankt. Von dieser konnten wir hinunter auf den Fluss gucken und den Booten zuschauen, deren Insassen das schöne Wetter mit einer Bootsfahrt vorbei an der eindrucksvollen Kulisse genossen. Wir bogen in die Saint John’s Street ein und spazierten vorbei am Saint John’s College, das 1511 von Lady Margaret Beaufort gestiftet wurde. Sie war die Mutter von Heinrich VII. und eine der Schlüssel-figuren des Rosenkrieges. Sie war 1455 mit nur zwölf Jahren mit Edmund Tudor, 1. Earl of Richmond, einem Halbbruder, König Heinrich VI., vermählt worden. Ob die Ehe glücklich war, ist nicht überliefert. Sie war vor allem kurz, Endmund wurde kurz nach der Eheschließung von Anhängern der Familie York festgenommen und in Carmarthen Castle in Südwales eingesperrt, wo er 1456 an der Pest starb. Aber er hatte genug Zeit gehabt ein Kind zu zeugen. Seine junge Frau brachte am 28. Januar 1457 im Schloss ihres Schwagers Pembroke Castle den gemeinsamen Sohn Henry Tudor zur Welt. Ihrem unermütlichen Einsatz im Hintergrund war es zu verdanken, dass Henry während der Rosenkriege am Leben blieb, die Tochter Eduard IV. Elizabeth von York heiratete und schließlich als Heinrich VII. auf den englischen Thron stieg. Die Gründung des Saint John’s College hatte sie in ihrem Testament festgelegt. Margaret Beaufort starb 1509 mit 66 Jahren, kurz nach dem Tod ihres Sohnes.

Cambridge

Unter den bekannten Absolventen des Saint John College sind mir zwei recht gegensätzliche Schriftsteller aufgefallen. William Wordsworth (1770–1850), ist einer der führenden Vertreter der englischen Romantik, der zunächst Französische Revolution begeistert war, sich aber mit der Terrorherrschaft zunehmend von den Zielen der Revolution distanzierte und sich dem Konservatismus zu wandte. Seine romantischen Gedichte sind zu unrecht in Deutschland nur wenig bekannt. Der andere Schriftsteller hat da schon mehr internationale Aufmerksamkeit bekommen. Douglas Adams (1952–2001) wurde in Cambridge geboren und studierte von 1971 – 1974 am Saint John’s College. Während seines Studiums arbeitete er als Aushilfskraft, um sich seine ausgedehnten Anhalter-Reisen durch Europa zu finanzieren. Auf einer dieser Reisen ist auch die Idee zu seinem berühmtesten Werk entstanden: Per Anhalter durch die Galaxis.

Abbildungen: Portrait von William Wordsworth von William Shuter, http://en.wikipedia.org/wiki/File:William_Wordsworth_at_28_by_William_Shuter2.jpg, Foto von Douglas Adams von Michael Hughes, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Douglas_adams_portrait_cropped.jpg

Direkt neben an liegt das Trinity College, das von Lady Margrets Enkel Heinrich VIII. gegründet wurde. Es ist das größte College in Cambridge und seine Gründung im Dezember 1546 war eine der letzten Amtshandlungen des alternden Königs. Er starb im Januar des folgenden Jahres. Er vereinigte dazu zwei ältere Colleges – Michaelshouse und King’s Hall – und stiftete dem neuen College Ländereien und Einkünfte, die er vorher in Klöstern konfisziert hatte. Der quadratische Innenhof, der Great Court, besitzt 100 Meter lange Seiten und es war unter den adligen Studenten vergangener Zeiten eine beliebte Angewohnheit, nach einem opulenten Essen einmal um den Hof zu laufen, in der Zeit, die die Glocke im King Edward’s Tower benötigte, um zur Mitternacht die Zeit anzuzeigen. Auf der langen Liste ihrer berühmten Absolventen stehen so berühmte Namen wie der Philosoph Francis Bacon (15.61.–1626), der Mathematiker und Physiker Sir Isaac Newton (16.43.–1727) und der Begründer der modernen Geologie Adam Sedgwick (17.85.–1873).

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Am King’s College bogen wir zum Markplatz ab, wo wir Salat, Tomaten und Erdbeeren fürs Abendessen erstanden. Nun stand aber endlich der Schaufensterbummel an, schließlich hatten wir einen triftigen Grund für unsere Shoppingtour. Wir wollten einen USB Dongle erwerben, der uns einen recht preiswerten Zugang zum Internet ermöglichte. Wir hatten uns schon zuhause über ein Angebot von Vodafone informiert und fanden schnell in einem Laden in der Fußgängerzone, was wir haben wollten. Entlang der mehr oder weniger engen Straßen des Stadtzentrums findet man in alten und modernen Häusern, jede Menge kleine Geschäfte mit allem, was das Herz begehrt. Es ging recht lebhaft zu. Viele junge Leute waren unterwegs, zu Fuß und mit Fahrrädern, wie man es in einer Universitätsstadt auch erwartet. Die kleinen Cafés waren gut besucht viele Leute genossen die Sonne am Spätnachmittag mit einem Eis auf der Hand.

Cambridge Cambridge

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Bevor wir uns auf den Rückweg zum Auto machten, schauten wir uns noch in einem Waterstones Buchladen um. Es ist bei jedem England Urlaub ein besonderes Vergnügen für mich, mir ein paar Krimis der Autoren, die ich immer in einer deutschen Übersetzung lese, auf Englisch zu kaufen. Schließlich sind die englischen Bücher in Großbritannien viel preiswerter, als bei uns zuhause und es gibt auch immer viele Sonderangebote, bei denen man noch etwas sparen kann. Zurück ging es wieder an den altehrwürdigen Colleges vorbei. Mit einem letzten Blick auf die grüne Flussaue mit den weißen Kühe, kletterten wir ins Auto und rollten zurück zum Campingplatz, wo wir mit einem gesunden Salat und einem leckeren italienischen Rotwein unseren Urlaubstag ausklingen ließen. Ich war bei meiner Urlaubslektüre bei der „Verdammnis“ angekommen und schaute, während ich mehr und mehr von der verwickelten Geschichte gefangen genommen wurde nach draußen, ob ich unseren Frühstücksgast vielleicht wieder entdecken konnte, aber das Eichhörnchen ließ sich nicht mehr sehen.

Cambridge Cambridge Cambridge

Die Informationen habe ich hier gefunden:

http://en.wikipedia.org/wiki/The_Backs
http://de.wikipedia.org/wiki/King%E2%80%99s_College_(Cambridge)
http://cambridgeuniversity.us/
http://de.wikipedia.org/wiki/Auszug_(Universit%C3%A4tsgeschichte)
http://news.bbc.co.uk/local/oxford/low/people_and_places/history/newsid_8405000/8405640.stm
http://de.wikipedia.org/wiki/St_John%E2%80%99s_College_(Cambridge)
http://de.wikipedia.org/wiki/William_Wordsworth
http://william-wordsworth.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/Douglas_Adams
http://www.joh.cam.ac.uk/teaching_and_research/grants_prizes/prizes/
http://de.wikipedia.org/wiki/Margaret_Beaufort_(1443%E2%80%931509)
http://en.wikipedia.org/wiki/Trinity_College,_Cambridge

Mehr Bilder aus Cambridge:
http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/72157625628743166/with/5273518744/

Hamerton Zoo – Vögel, Affen und Raubkatzen mitten in den Feldern

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Nach Kunst und Technik stand an diesem Tag noch ein kleiner Zoo nördlich von Cambridge auf unserem Urlaubsprogramm, bevor wir weiter nach Norden fahren wollten. Wieder lag nur eine kurze Strecke zwischen der Mühle und dem kleinen Zoo. Und so stand unser Auto nach kurzer Zeit auf einem Parkplatz am Rand des Dorfes Hamerton umgeben von Feldern.

Bennett-Wallaby im Hamerton Zoo Park

Hamerton Zoo Park wurde 1990 gegründet. Die Basis der Tiersammlung bildete eine ursprünglich rein private Sammlung von exotischen Vögeln und Krallen-äffchen. Mittlerweile ist aus den kleinen Anfängen ein richtiger Zoo geworden, der auf rund 6 ha rund 500 Tiere aus 100 verschiedenen Arten zeigt. Viele Tiere sind im Laufe der Zeit dazu gekommen. Der Tierpark finanziert sich nur aus den Eintrittsgeldern, Tierpatenschaften und Spenden, er erhält keine öffentlichen Zuschüsse.

Jungfernkranich im Hamerton Zoo Park

Unser erster Eindruck war dann auch, dass hier vieles in Heimwerkerart selbst gebaut worden ist. Viele Gehege machten einen recht einfach gestalteten Eindruck. Einfache Holzlatten und Maschendraht wurden genutzt um recht schmucklose Gehege für die Lemuren und Krallenaffen zu bauen. Innen wird den Tieren allerdings viel Abwechslung mit Pflanzen und Klettergerüsten geboten. Die Büsche und Bäume sind teilweise so dicht gewachsen, dass man die kleinen Bewohner kaum entdecken konnte. Leider hält eine zusätzliche Absperrung die Zoobesucher von einigen Anlagen in einer recht großen Distanz zum Maschendrahtzaun, so war es oft unmöglich „zaunfreie“ Fotos zu machen, weshalb unsere Fotoausbeute im Verhältnis zu manch anderem Zoobesuch relativ gering war.

Kattas im Hamerton Zoo Park

Unser Rundgang begann gleich mit einem kleinen Highlight. Zwar schliefen die Binturongs in ihrem recht dunklen Innengehege, doch gegenüber gab es eine sehr nette Familie von Kattas, die gleich zwei niedliche Juntiere hatten. Es machte viel Spaß dem Gewusel in der Anlage zuzuschauen, das man leider nur ganz schlecht fotografieren konnte. Neben den Kattas konnten wir noch schlafende Rote und Schwarzweiße Varis beobachten. Außerdem werden in Hamerton Halsbandmakis gehalten, die sich aber leider nicht sehen ließen. Auch bei den Schwarzen Brüllaffen hatten wir nur wenig Glück, sie hatten sich in eine Ecke ihres Geheges zurückgezogen, in die man nur schlecht hinein sehen konnte.

Bennett-Wallaby im Hamerton Zoo Park

Das Gehege der Kattas steht am Rand der Anlage, die sich Rotnackenwallabys – eines davon war ein Albino mit einem ebenfalls weißen Jungtier – kleine Parmawallabys und Jungfernkraniche teilten. Der Besucherweg führt um diese großzügige Anlage herum. Auf der anderen Seite des Weges befinden sich die Gehege der Krallenaffen. Die Haltung der kleinen Affen stellt immer noch einen Schwerpunkt im Hamerton Zoo dar. Springtamarine, Lisztaffen, Zwergseiden-äffchen, die kleinsten Primaten der Welt, Weißkopf-Büschelaffe und Silber-äffchen kletterten munter durch ihre Anlagen. Die kleinen Krallenaffen bekommen in Hamerton regelmäßig Nachwuchs. Ihr Fortpflanzungssystem ist einzigartig unter den Säugetieren. Sie bringen meist Zwillinge zur Welt, die aus getrennt befruchteten Eiern stammen. Die Plazentamembranen der Embryonen wachsen jedoch zusammen, wobei es zu einem Zellaustausch kommt. Nur die schwarzen Kobolden ähnelnden Springtamarine stellen eine Ausnahme dar, sie bringen meist nur ein Jungtier zur Welt. Die Jungtiere sind bei der Geburt sehr groß, so muss eine Mutter mit Zwillingen noch einmal 25 Prozent ihres Körpergewichtes auf dem Rücken tragen. Doch sie wird von den anderen Familienmitgliedern unterstützt, auch die Männchen und die untergeordneten Weibchen beteiligen sich an der Aufzucht der Jungtiere. Auch hier stellen die Springtamarine eine Ausnahme dar, denn bei ihnen helfen die Väter erst, wenn ihr Nachwuchs drei Wochen alt ist.

Lisztaffe im Hamerton Zoo Park Springtamarin im Hamerton Zoo Park

Lisztaffe im Hamerton Zoo Park Lisztaffe im Hamerton Zoo Park

Hinter den Krallenäffchen kamen wir zu Volieren mit wunderschönen Eulen, von denen ich einige zum ersten Mal in einem Zoo gesehen habe. Malaienkäuze – ein Paar erwachsene Vögel und ein Jungtier in einer getrennten Voliere – schauten uns nachdenklich an. Nebenan schliefen Afrika-Waldkäuze. Besonders gut gefallen haben mir die Schreieulen, mit ihren hochstehenden Federohren. Sie kommen ausschließlich in Nord-, Zentral- und Südamerika vor.

Malaienkäuze im Hamerton Zoo Park Malaienkauz im Hamerton Zoo Park

im Hamerton Zoo Park Schreieule im Hamerton Zoo Park

Neuseeland-Kuckuckskäuze, die kleinste und häufigste Eulenart der australischen Region, hatten wir auch noch nie vorher zu Gesicht bekommen. Genauso wenig wie die Büscheleulen, die in den offenen Akazien-Savannen Afrikas leben. Vertrauter waren uns da schon die Bartkäuze, die uns aus ihrer großen Voliere heraus interessiert betrachteten. Und selbstverständlich gibt es im Hamerton Zoo auch Schneeeulen.

Büscheleule im Hamerton Zoo Park Neuseeland-Kuckuckskauz im Hamerton Zoo Park im Hamerton Zoo Park

Besonders viel Freude haben uns neben den Eulen noch ein Lachender Hans, der sich geduldig fotografieren ließ und ein Paar Kappengeier gemacht, die damit beschäftigt waren ihr Gefieder zu pflegen. Scheinbar jede Feder wurde durch den Schnabel gezogen und ordentlich an die richtige Stelle zurechtgezupft. Ab und zu unterbrachen sie die Gefiederpflege und schauten zu uns herüber. Es war ziemlich leer in dem kleinen Tierpark und so hatten wir die meisten Tiere für uns alleine.

Lachender Hans im Hamerton Zoo Prak

Der Park ist seit er entstanden ist ständig vergrößert worden und auch in Zukunft plant man neue Tieranlagen. So war man bei unserem Besuch dabei, neue Gehege für Ameisenbären, Otter, Pinselohrschweine und Capybaras zu bauen. Die Marabus, Störche und Kraniche ließen sich von den Aktivitäten in der Nähe ihrer Anlagen nicht stören.

Marabu im Hamerton Zoo Park

Auch die Mangusten und die Erdmännchen ließen sich nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Bei den Mangusten war Siesta angesagt, während bei den Erdmännchen natürlich ein Wachtposten abgestellt war, der den Rest der Gruppe, der sich in der Sonne aalte, im Notfall warnen konnte. Der Wachposten interessierte sich allerdings nicht für menschliche Betrachter, sondern suchte mehr am Himmel nach einer möglichen Gefahr von oben.

Erdmännchen im Hamerton Zoo Park

Die kleinen Raubkatzen des Zoos, Oncillas und Jaguarundis, zeigten sich wenig besucherfreundlich. Ein Jaguarundi schaute einmal ganz kurz vorbei, verzog sich dann aber wieder fix im grünen Dickicht seiner Anlage. Die Oncillas ließen sich gar nicht erst sehen. Da waren wir recht froh, dass die Weißhandgibbonfamilie des Parks, Lust hatte, uns ein wenig Unterhaltung zu bieten und eine kleine Gesangsvorstellung bot.

20100616 a (207)

Wir machten eine Kaffeepause im netten Zoorestaurant des Tierparks und spazierten dann zum zweiten Teil des Zoos, der durch sehr große, flache mit Gras bewachsene Anlagen bestimmt wird. Hier leben große Raubkatzen, Mähnenwölfe und Schabrackenschakale. Leider hatten wir hier auch bei einigen Tieren wenig Glück, weder die Mähnenwölfe noch die Schakale ließen sich sehen. Besonders stolz ist man in Hamerton auf die Geparden. Man beteiligt sich an den Bemühungen der europäischen Zoos Geparden zu züchten. Das ist gar nicht so einfach, da Gepardenweibchen sich nur mit Männchen paaren, die sie nicht kennen. In der freien Wildbahn leben männliche Geparden in Gruppen von zwei oder drei Tieren zusammen – meist sind es Wurfgeschwister – die Weibchen leben alleine und suchen nur zur Paarungszeit die Nähe eines Männchens. Nach der Paarung trennen sie sich sofort wieder. Deshalb hat man in Hamerton fünf Geparden Gehege errichtet und plant noch zwei weitere zu errichten. Teilweise liegen die Gehege weit auseinander, sodass die Raubkatzen sich nicht sehen können.

Gepard im Hamerton Zoo Park

Sieben Geparden wurden aus Zoos aus den Niederlanden, Belgien und der Tschechischen Republik geholt, mit denen nun hier gezüchtet werden soll. Es hat es auch schon Nachwuchs gegeben. Akea, eines der Tiere, die in Hamerton geboren wurden, hat im Oktober 2008 Schlagzeilen gemacht. Zu diesem Zeitpunkt lebten elf Geparden in Hamerton, darunter fünf, die hier geboren und mit der Hand aufgezogen wurden. Zu diesen gehörte Akea. Irgendwie ist es dem damals drei Jahre alten Geparden gelungen aus seiner Anlage zu entkommen und den Zoo zu verlassen. Er wanderte durch die den Zoo umgebenden Felder und gelangte schließlich in den Garten der Rookery Farm, wo ein neun Jahre alter Junge zusammen seinem Hund mit seinem Fahrrad spielte. Als der Junge die Raubkatze näher kommen sah, flüchtete er sich mit seinem Hund ins Haus und alarmierte seine Mutter. Durch das Fenster schauten sie zu, wie Akea den Sattel des Fahrrads zerlegte. Den herbeigerufenen Tierpflegern gelang es schließlich den Geparden in einen Schuppen der Farm zu locken und einzufangen. So ist am Ende Akeas Ausflug noch recht glimpflich abgelaufen. Die Tierpfleger betonten, dass keine wirkliche Gefahr bestanden hätte, da Akea an Menschen gewöhnt und so sanft wie ein Hund sei.

Gepard im Hamerton Zoo Park

Es konnte nicht festgestellt werden, wie Akea aus seinem Gehege entkommen konnte, das von einem fast drei Meter hohen Zaun umgeben und zusätzlich mit einem Elektrozaun gesichert war. Der Besitzer des Zoos vermutete, dass der Elektrozaun durch einen Defekt nicht funktionierte. Doch trotzdem ist es ungewöhnlich, dass der Gepard überhaupt versucht hatte, über den Zaun zu entkommen, da die Tiere von klein an lernen, dass die Berührung mit der elektrischen Absicherung unangenehm ist, und so den Zaun meiden. Nach Akeas Ausbruch wurden die Gehegezäune so modifiziert, dass eine Wiederholung des Vorfalls unmöglich sein soll.

Gepard im Hamerton Zoo Park

Drei Geparden Männchen unternahmen bei unserem Besuch einen Inspektions-rundgang durch ihre Anlage. Auf dem Rasenstreifen der zwischen der Zuschauer-absperrung und dem Gehegezaun graste ein Poitou-Esel völlig unbeeindruckt von den Raubkatzen auf der anderen Seite des Zaunes, die sich schon ein bisschen für das Zotteltier zu interessieren schienen, was sie allerdings nicht davon abhielt ihre Anlage genau zu überwachen.

Steppenfuchs im Hamerton Zoo Park

Nebenan gab zu unserer Freude Steppen- oder Korsakfüchse zu bewundern. Diese Tiere hatten wir noch nie gesehen. Ihr natürlicher Lebensraum liegt in Zentral- und Ostasien, von der unteren Wolga bis in die Mandschurei und nach Tibet. Sie bewohnen hauptsächlich Steppengebiete und Halbwüsten. Früher wurden sie wegen ihres besonders warmen und schönen Pelzes stark gejagt. Auf einer Messe der sibirischen Stadt Irbit wurden Ende des 19. Jh. im Jahr etwa 10.000 Korsakfuchsfelle gehandelt. Da Steppenfüchse Kulturlandschaften meiden, stellt die zunehmende Umwandlung vieler Steppengebiete in Ackerland eine ernste Bedrohung für ihn dar, so ist er in großen Teilen seines ursprünglichen Verbreitungsgebietes verschwunden.

Steppenfuchs im Hamerton Zoo Park

Obwohl Steppenfüchse in der Freiheit vor allem nachtaktiv sein sollen, kann man sie in Gefangenschaft auch am Tag recht aktiv beobachten. Und in dieser Hinsicht bildeten die Korsakfüchse in Hamerton keine Ausnahme. Der Zoo ist der einzige Zoo Englands, der die hübschen Tiere hält. Sie stammen ursprünglich aus den Zoos von Halle und Zürich und haben im Osten Englands schon ein paar Mal Nachwuchs bekommen. Auch bei unserem Besuch konnten wir quirlige Jungtiere beobachten, die mit ihren Eltern spielten. Ein richtiges kleines Rudel tobte durch die schöne Anlage, die mit hohem Gras bewachsen war und in der Baumstämme lagen, unter denen sich die Tiere verstecken konnten und über die die Jungtiere kletterten. Auch in der Wildnis sind Steppenfüchse sozialer als andere Fuchsarten. Sie bilden Baugemeinschaften und im Winter kleine Jagdrudel.

Steppenfuchs im Hamerton Zoo Park

Leider hatten die Servale, Mähnenwölfe und Schabrackenschakale im Gegensatz zu den Füchsen keine Lust sich fotografieren zu lassen. Sie ließen sich nicht sehen. Wir konnten uns nur ihre recht großen Anlagen anschauen. Gott sei Dank hatten die beiden Königstiger des Zoos ein Einsehen. Zumindest einer von ihnen. Blizzard, einer von 40 weißen Tiger, die im Zuchtbuch erfasst sind, der am 15. April 2000 im CERZA in der Normandie geboren wurde, hatte Lust am Gitter nachzuschauen, wer denn da gekommen war. Er hat seinen Namen von den Schülern einer Grundschule in der Nähe erhalten. Er lebt, seit er ein Jahr alt ist, als permanente Leihgabe in England, um hier mit Lady-Belle zu züchten. Die normal gefärbte Tigerin wurde am 1. Juli 1999 in einem deutschen Safaripark geboren und schon als Jungtier an einen belgischen Zirkus verkauft. Mit einem Dutzend anderer Tiger trat sie in den Vorstellungen des Zirkus auf. Seit September 2001 haben das Leben in engen Käfigen und die Reisen mit einem LKW für sie ein Ende, da es dem Zoobesitzer gelungen war, die notwendigen Mittel aufzubringen, um sie nach England zu holen. Bei unserem Besuch schlief sie– für meine Kamera zu nah – am Gitter.

Königstiger im Hamerton Zoo Park

Die Anlage der Tiger besteht aus zwei Teilen, einem großen Außengehege, dass allerdings sehr einfach gestaltet ist und ein paar „Möbel“ erhalten sollte, und einem Innengehege in einer ehemaligen Scheune, die durch Gitter gesichert ist – hier gibt es viel Platz für die Tiger. Durch einen Tunnel hinter der Anlage der Mähnenwölfe konnte man auch noch zu den Haustieranlagen des Tierparks gelangen, die bei unserem Besuch jedoch versperrt war, da ein Esel zur Welt gekommen war und Mutter und Kind nicht gestört werden sollten. So konnten wir die Esel, Alpakas und Schafe nur aus einer großen Entfernung anschauen. Es gibt dort auch Gehege mit Rentieren und Kamelen.

Im Hamerton Zoo Park

Wir blieben bevor wir den Zoo verließen noch einige Zeit an der Anlage der Steppenfüchse stehen und schauten den Jungtieren beim Spielen zu. Oben auf einem kleinen Holzhaus, lag eines der erwachsenen Tiere, genoss genau wie wir das schöne Wetter, beobachtete aber dabei genau das Treiben des Nachwuchses, um im Notfall für Ordnung zu sorgen.

Steppenfuchs im Hamerton Zoo Park

Wir mussten noch ein Stück fahren, bis wir in Greetham auf dem Rutland Caravan and Campingplatz ankamen. Trotz des abwechslungsreichen Urlaubstages hatten wir noch Lust auf einen Abendspaziergang und so brachen wir, nachdem wir unser Wohnmobil auf seinem Stellplatz abgestellt hatten und es uns ein bisschen gemütlich gemacht hatten, wieder über einen Fußweg durch die Felder, vorbei an einem Bauernhof zum nahegelegenen Ort auf. Der hohe spitze Kirchturm von Greetham wies uns den Weg. Beim Bummeln durch das kleine Dorf entdeckten einen Friedhof, dessen verwitterte Grabstein so schräg standen, dass man fürchten musste, dass sie bald umfielen, drei Pubs, deren kulinarisches Angebot uns aber nicht überzeugen konnte und zu unserer großen Überraschung in einem Vorgarten zwei Raubvögel eines Falkners, die so aussahen, als ob sie darauf warten würden, wann denn endlich die Flugvorführung starten sollte. Auf dem Bowling Green lagen die Kugeln verlassen da und warfen in der tief stehenden Sonne lange Schatten. Es wurde langsam Zeit zurück zum Auto zu gehen und das Abendessen zu kochen.

Greetham am Abend Greetham am Abend Greetham am Abend

Die Informationen habe ich hier gefunden:

http://www.hamertonzoopark.com/

http://www.peterboroughtoday.co.uk/news/environment/escaped_cheetah_akea_s_just_a_big_pussycat_1_118867
http://www.dailymail.co.uk/news/article-1081518/Hey-Mum-theres-cheetah-garden-Escaped-big-cat-savages-year-olds-bike.html
http://www.zoos-uk.com/Attractions/HamertonZooPark.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Gepard
http://tierdoku.com/index.php?title=Steppenfuchs
http://www.iucnredlist.org/apps/redlist/details/23051/0
http://de.wikipedia.org/wiki/Steppenfuchs
http://news.bbc.co.uk/local/cambridgeshire/hi/people_and_places/nature/newsid_9304000/9304502.stm

Mehr Bilder von den Affen und Raubtieren, von den Steppenfüchsen und
von den Vögeln und anderen Tieren des Hamerton Zoo Parks und
vom Abend in Greetham

Wimpole Home Farm – Musterbauernhof und Arche

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Esel in der Wimpole Hall Farm

Vor dem Eingang zu der Wimpole Home Farm empfingen uns zwei Esel, die auf einer grünen Weide grasten – zwei hübsche Exemplare, die nicht nur wir zu gerne gestreichelt hätten, die sich aber nicht von ihrer „Arbeit“ als lebendige Rasenmäher ablenken ließen. Um sich auch den Bauernhof mit seinen Tieren ansehen zu dürfen, müssen auch Mitglieder des National Trusts die Hälfte des normalen Eintrittspreises bezahlen (£3.55), dies soll zur Finanzierung der Zucht der alten Haustierrassen beitragen. Eigentlich wollten wir ja gleich, nachdem wir am Eingang zum Bauernhof unsere Eintrittskarten vorgezeigt hatten, zu dem Restaurant gehen, um unseren Hunger zu stillen. Aber wir kamen nicht weit, denn direkt hinter dem Eingang in einem Gatter mitten in dem von Ställen und Schuppen umgebenen Hof wartete die erst kürzlich in Wimpole eingetroffene kleine Herde Schottische Hochlandrinder auf uns. Seit dem 21. Mai 2010 leben der Bulle Gille mit seinen drei Kühen und seinem am 6. April 2010 geborenen Sohn auf dem Museumsbauernhof. Das Bullenkalb schaute interessiert zu den Besuchern hinüber, die sich an seinem Anblick erfreuten. Seine Mutter war wohl der Ansicht, dass er geputzt werden müsse, wenn soviel Menschen zu Besuch gekommen waren. Es ging im Innern es Hofes und rund um die Farmgebäude nämlich recht lebhaft zu, einige Schulklassen hatten für einen Schulausflug die Home Farm als Ziel gewählt. Das zottelige Kalb ließ die Aufmerksamkeit seiner Mutter mehr oder weniger geduldig über sich ergehen. Schließlich hatte er genug von der mütterlichen Fürsorge und rannte ein Stück von ihr weg. Sein Fell putzen konnte er doch schon alleine. Er war ein einfach zu niedlicher Anblick, um einfach weiterzugehen.

Schottische Hochlandrinder in der Wimpole Hall Farm

Doch wir hatten ja Hunger und wollten auch unsere Füße ein bisschen schonen, also zogen wir weiter. Aber schon am nächsten Gatter blieben wir wieder stehen. Diesmal waren es vier orangefarbige Ferkel, die uns aufhielten. Es waren Tamworth Schweine. Die Rasse gehört zu den ältesten Schweinerassen, die in Großbritannien gezüchtet wurden. Schweine sind überhaupt die ältesten Nutztiere der Welt. Forscher in England stellten fest, dass die ersten Schweine in der Steinzeit in Europa auftauchten. Die Menschen nahmen sie auf ihren Wanderungen Richtung Europa als Nahrungsvorrat mit. Durchsetzen konnten sich diese eingeführten Schweine allerdings nicht. Die europäischen Bauern begannen vor etwa 8000 Jahren die einheimischen Wildschweine, von denen alle unsere heutigen Hausschweinerassen ursprünglich abstammen, zu domestizieren. Die Wildschweine suchten die Nähe der Menschen, weil sie das Nahrungsangebot in der Umgebung der Siedlungen der ersten Ackerbauern schätzten. Wie überall in Europa sahen bis zur Mitte 18. Jh. auch die Schweine in England nicht viel anders als Wildschweine aus. Sie verbrachten den Tag in den Wäldern und fraßen sich dort mit Eicheln und Bucheckern einen Speckmantel an. Die Tamworth Schweine stammen von diesen Wald-Schweinen ab.

Tamworth Ferkel in der Wimpole Hall Farm

Eines der Ferkel schaute neugierig zu uns hinauf und zeigte und seinen langen Rüssel und demonstrierte, dass es einmal mit seinen recht langen Beinen durchaus eine Karriere als „Rennschwein“ machen könnte. Die modernen Schweine sind ein Ergebnis der industriellen Revolution und kommen wie die Dampfmaschine aus England. Anfang des 19. Jh. benötigten die Arbeiter der neuen Fabriken Nahrung, die traditionelle Haltung der Schweine in den Wäldern ging aber immer mehr zurück, da viele Wälder abgeholzt wurden. Deshalb wurden die Schweine am Rande der Industriegebiete nun in Ställen gehalten und man importierte Schweine aus Ostasien und Neapel und kreuzte sie mit den heimischen Hausschweinen, um schnell wachsende Schweine mit einem hohen Speckanteil zu erhalten. Die Schweine aus China hatten kürzere Rüssel und waren rundlicher und so entstand das Aussehen der heutigen Hausschweine. Die lange Schnauze und die höheren Beine der Tamworth Rasse sind ein Indiz dafür, dass es bei ihr kaum exotische Einkreuzungen gegeben hat, was auch durch DNA Tests bestätigt wurde. Auch an der Geschichte der deutschen Schweinezucht sind Tamworth Schweine beteiligt. Bei der Zucht des rot gefärbten Husumer Protestschweins, das mit seinen breiten weißem Querstreifen und dem Ansatz eines weißen Längsstreifens Ähnlichkeit mit der dänischen Flagge, dem Dannebrog hat, waren ihre Gene mit für die rote Farbe der verantwortlich. So haben sie indirekt an einer Protestdemonstration teilgenommen. Die Husumer Vettern der Tamworth Schweine wurden von den in Nordfriesland lebenden Dänen gezüchtet, denen es Anfang des 20. Jh. verboten war, den Dannebrog zu hissen.

Tamworth Ferkel in der Wimpole Hall Farm

In dem kleinen, gemütlich eingerichteten Selbstbedienungsrestaurant war es ruhig, die Schulklassen stillten alle ihren Hunger auf dem Picknickplatz, neben dem ein Spielplatz mit einem Labyrinth aus Strohballen lockte, daran schienen sie mehr Interesse zu haben, als an den Tieren des Bauernhofes. Wir suchten uns zwei leckere dicke Sandwichs mit Käse aus der Region und hausgemachten Chutney aus Zwiebeln und Äpfeln aus und ein Glas frisch gemachter Zitronenlimonade, sodass wir uns wie bei einem Picknick in Viktorianischen Zeiten fühlen konnten. Während sich unsere Bäuche füllten und die Füße langsam erholten, stöberten wir im am Empfang erstanden Reisführer über Wimpole, um mehr über die Geschichte der Home Farm zu erfahren.

Philip Yorke, 3. Earl of Hardwicke (1757-1834), http://en.wikipedia.org/wiki/File:3rdEarlOfHardwicke.jpg

Als der 2. Earl of Hardwicke 1790 starb hinterließ er sein Haus und seinen Titel seinem Neffen, der wie Onkel und Großvater Philip hieß. Er war der älteste Sohn von Philip Yorkes Bruder Charles. Auf einer Reise durch Italien 1779 begegnete er dem jungen Architekten John Soane (1753 – 1837), der sie ein Stück auf ihrer Tour zu den Überbleibseln der Antike nach Pompeji, zum Vesuv und nach Paestum begleitete und dessen Förderer der 3. Earl of Hardwicke wurde. So ist es kein Wunder das der dritte Philip Yorke, dem das Herrenhaus in Wimpole gehörte, seinen mittlerweile berühmt gewordenen Protegé damit beauftragte, das Innere seines Landschlosses neu zu gestalten. Doch die größte Veränderung auf dem Besitz schufen der neue Besitzer und sein Architekt durch die Errichtung der Home Farm.

Wimpole Home Farm

Im Laufe des 18. Jh. war in Großbritannien ein großes öffentliches Interesse für landwirtschaftlichen Fortschritt entstanden. Die Verdienste der verbesserten Landwirtschaft – die bessere Verwendung des Bodens, neue Nutzpflanzen und Werkzeuge, experimentelle Züchtungen und ein verbessertes Zuschnitt der Bauerhöfe – wurden heiß diskutiert. Bücher über neue landwirtschaftliche Methoden waren sehr populär und die neuen experimentellen Farmen in Norfolk und Leicestershire zogen viele begeisterte Besucher aus ganz Europa an. Die Pioniere der landwirtschaftlichen Revolution waren die großen Landbesitzer – Männer wie Philip Yorke, 3. Earl of Hardwicke – die die Notwendigkeit erkannten, dass Farmen mehr Nahrung effizienter produzieren mussten, um den Bedürfnissen der schnell wachsenden Bevölkerung gerecht zu werden.

Wimpole Hall Farm

Zu Beginn der Georgianischen Periode hatte sich die Landwirtschaft in England kaum seit dem Mittelalter verändert. Die Felder wurden nach dem Prinzip der Dreifelderwirtschaft bewirtschaftet, bei der in jedem dritten Jahr die Felder brachlagen. Die Methoden und Werkzeuge waren primitiv. Jede Arbeit – von der Aussaat bis zur Ernte – musste mit der Hand ausgeführt werden. Das größte Problem, das sich den Bauern stellte, war, womit sie ihre Tiere im Winter füttern sollten. Ihre Erträge an Heu, Hafer und Stroh reichten nur für wenige Tiere, der Rest musste geschlachtet werden. Das Fleisch wurde mit Salz haltbar gemacht, um im Winter gegessen zu werden, oder auf dem Markt verkauft. Nachdem sich der Viscount Townshend (1674 – 1738), ein führender Politiker der Whig Partei, 1730 nicht ganz freiwillig aus der Politik zurückgezogen hatte, konzentrierte er sich darauf, die landwirtschaftlichen Erträge seiner Güter in Norfolk zu verbessern. Er führte das Vierfeldersystem in England ein – es wurde abwechselnd Weizen, Gerste, Rüben und Klee angebaut – das zuerst in der Region Waasland in Ostflandern im 16. Jh. erprobt worden war. Durch den Anbauwechsel wurde die Qualität der Böden verbessert, die Anfälligkeit gegen Krankheiten reduziert und durch den Wegfall des Brachliegens im dritten Jahr wurde die Produktivität erhöht. Dies sorgte zusammen mit der Einführung der weißen Futterrübe in England, was Charles Townshend den – wohl nicht freundlich gemeinten – Spitznamen „Turnip Townshend“ („Rüben Townshend) einbrachte, dafür, dass mehr Futter für die Viehwirtschaft zur Verfügung stand. So konnte die „Landwirtschaftliche Revolution“ des 18. Jh. in England beginnen. Überall im Land entstanden Modell Farmen, die Townshend Methoden anwendeten. Selbst König Georg III. nutzte seine Erkenntnisse auf seinen drei Bauernhöfen und nannte einen davon „Norfolk Farm“.

Wimpole Home Farm

In der feinen Gesellschaft wurde es modern Interesse am Landleben zu zeigen. Maler zogen mit ihren Staffeleien auf die Felder, Picknicks auf dem Land waren populär und die Damen der Gesellschaft fanden Gefallen an einfachen Kleider, die inspiriert von den Nymphen und Schäferinnen aus alten Zeiten waren. Das Universal Magazin schrieb im März 1786: „Von allen Vergnügungen oder Beschäftigungen, mit denen sich ein Country Gentlemen beschäftigt, ist die Beaufsichtigung der Bewirtschaftung eines Bauernhofes mit Intelligenz eine der nützlichsten für die Gesellschaft genauso wie für das Individuum, das sich ihr zuwendet.“

Schottisches Hochlandrind in der Wimpole Hall Farm

Die Vorgänger des 3. Earl hatten sich wenig um die Modernisierung der Landwirtschaft gekümmert, doch er stürzte sich gerade zu mit Feuereifer auf die Aufgabe, bald auch auf Wimpole die neuesten landwirtschaftlichen Methoden anzuwenden. Er beauftragte 1790 Soane eine Muster Farm zu entwerfen, die allen neuen Erkenntnissen Rechnung tragen und die Arbeitsabläufe auf dem Bauernhof so effizient wie möglich gestalten sollte. Der Bau des Bauernhofes begann im Mai 1794, die früheren Farmgebäude wurden abgerissen und neue Ställe, Gatter, Schuppen und Scheunen entstanden rund um einen zentralen Hof, wo Heu und Stroh gelagert werden konnte und der Misthaufen seinen Platz fand. Im Januar 1795 wurden die letzten Arbeiten erledigt, das Dach der großen Scheune wurde mit Stroh gedeckt. Es gab Ställe für Rinder, Schweine und die Arbeitspferde, Hirschgehege, einen Wagenschuppen und zwei Schlachthäuser, eines für die Schlachtung der Nutztiere, eines für das Wild. In der Scheune wurde das Getreide gelagert und gedroschen. Heute beherbergt sie eine interessante Ausstellung über die Geschichte der Home Farm und der Landwirtschaft und Viehzucht im England des 18. und 19. Jh. Ein Wohnhaus und eine kleine Molkerei wurden im 19. Jh. hinzugefügt. Der Bauernhof wurde nicht vor den Augen der vornehmen Besucher des Landgutes versteckt, sondern die Gebäude waren so gestaltet, dass sie sowohl den praktischen Bedürfnissen des Arbeitsauflaufs auf effiziente Art genügten als auch den ästhetischen Ansprüchen der Gäste. Er lag in der Nähe des Herrenhauses, sodass dieses schnell mit den frischen Nahrungsmitteln aus der Home Farm beliefert werden konnte.

Schaf in der Wimpole Hall Farm Schaf in der Wimpole Hall Farm

Schaf in der Wimpole Hall Farm Schafe in der Wimpole Home Farm

Wir schauten nach unserer Ruhepause nach, welche Tiere sich da so alles auf den Weiden rund um den Bauernhof tummelten. Auf einer saftig grünen Wiese graste eine „bunte“ Schafherde. Kleine schwarze und dunkelbraune Schafe mit gebogen Hörnern, deren Rasse auf Englisch „Hebridian“ heißt und die zu den Nordischen Kurzschwanzschafen gehören, viel größere weiße Leicester Longwool mit zotteligen, besonders langhaarigem Fell, Portland Lämmer mit heller Wolle, deren Hörner sich schon zu biegen begannen, Manx Loaghtan, mit hellbraunem, honigfarbenen Fell, dunkleren Gesichtern und bis zu vier Hörnern auf dem Kopf, Whitefaced Woodland Schafe mit mehrfach gebogenen Hörnern und Norfolk Horn Schafe mit schwarzen Gesichtern teilten sich die große Weide.

Bagot Ziegen in der Wimpole Home Farm

Gegenüber testeten Bagot Ziegen ihre Kräfte aneinander. Die Bagots sind eine der ältesten Ziegenrassen Englands. Man glaubt, dass sie von zurückkehrenden Kreuzfahrern auf die britische Insel gebracht worden sind, als Geschenk für den englischen König. Die Ziegen wurden dann in den königlichen Parks gehalten. Sie sollen Nachkommen der Schwarzhals Ziegen sein, die in der Schweiz im Rhonetal gehalten wurden. Neuere Untersuchungen der DNA der Ziegen lassen allerdings vermuten, dass die Ziegen aus Portugal stammen und mit John of Gaunt (1340 – 1399), dem Onkel Richard II., mit dem Schiff nach England gereist sind, als er von einer Schlacht aus Kastilien zurückkehrte, wo er vergeblich versucht hatte, seinen Anspruch auf den kastilischen Thron durchzusetzen. König Richard II. (1367 -1400) soll die Ziegen 1387 John Bagot geschenkt haben, dem Besitzer von Blithfield in Staffordshire, nachdem er auf seinem Gut an einer besonders erfolgreichen Jagd teilgenommen hatte. Vielleicht wollte der König die Tiere aber auch nur loswerden, weil sie beträchtlichen Schaden auf seinem Parkland verursacht haben müssen. Über 600 Jahre lang lebten nun Bagot Ziegen halb wild in Blithfield, sie wurden das Maskottchen der Bagot Familie und zwei Bagot Ziegen schmücken ihr Familienwappen.

Bagot Ziege in der Wimpole Home Farm

Die hübschen schwarz-weißen Tiere haben es in der modernen Landwirtschaft nicht leicht. Sie geben nur wenig Milch und haben eine niedrige Reproduktionsrate, weshalb sie auf modernen Farmen nur noch selten gehalten werden. Man findet sie nur noch in Zoos und Haustierparks oder als dekorative Ergänzung normaler Ziegenherden auf Bauernhöfen. Ihr Bestand ist gefährdet, da es im Vereinigten Königreich nur noch etwa 100-200 züchtende weibliche Bagot Ziegen gibt. In Wimpole haben die Ziegen am 9. Mai 2010 dafür gesorgt, dass die Rasse nicht ausstirbt. Darüber sollten sich auch die Mitglieder der Bagot Familie freuen, denn eine Legende besagt, dass auch die Familie ausstirbt, wenn es keine Bagot Ziegen mehr gibt.

Irish Moiled Kalb Sally in der Wimpole Home Farm

Auf der Weide neben an lag ein Kälbchen im Schatten eines kleinen Schuppens. Die kleine Sally wurde am 4. Mai geboren. Ihre Mutter war eine junge unerfahrene Kuh, die Probleme ihr Kalb aufzuziehen. Deshalb hat man sich in Wimpole entschlossen, Sally von ihr zu trennen und mit der Hand aufzuziehen. Sie erhält die Milch, die bei den Melkvorführungen gemolken werden.

Irish Moiled Kalb Sally in der Wimpole Home Farm

Sally ist ein Irish Moiled Rind, eine sehr alte Rinderrasse aus Irland. Ihre charakteristischen Schädel hat man in Begräbnisstätten gefunden, die um 500 n. Chr. datiert wurden. Dieser Schädelform verdanken sie auch ihren Namen. Das Wort Moiled kommt von dem irischen Wort „Moal“, was „kleiner Hügel“ bedeutet und sich auf die Form des Kopfes zwischen den Ohren der Tiere bezieht. Sie wurden viele Jahre auf kleinen Farmen in Nordirland gehalten, weil sie deren Bedürfnisse perfekt erfüllten. Es sind Zweinutzungsrinder, sie geben ausreichend Milch und man nutzt auch ihr schmackhaftes Fleisch. Sie sind widerstandfähig und geben sich auch mit mageren Weiden zufrieden. Doch 1949 schlug die Bürokratie zu. Ein Landwirtschaftsgesetz forderte, dass nur noch dann ein Bulle gehalten werden durfte, wenn Aufzeichnungen über die Milchleistung seiner Mutter vorhanden waren. In den meisten kleinen Farmen gab es aber keine solchen Aufzeichnungen und man verzichtete daraufhin auf die Zucht der Tiere. Also brach die Anzahl der Tiere dramatisch ein. 1970 gab es nur noch 30 Kühe und zwei Bullen in zwei Zuchtherden. 1926 war bereits eine Züchtergesellschaft gegründet worden, deren Mitgliederzahl aber zusammen mit der Zahl der Tiere abnahm. Sie wurde 1982 erneuert und man begann mit gemeinsamen Bemühungen, die Rasse vor dem Aussterben zu bewahren. Heute gibt es wieder rund 450 züchtende Kühe in Großbritannien, trotzdem ist der Bestand immer noch gefährdet.

Englisches Parkrind in der Wimpole Home Farm

Neben Sally grasten noch ein etwas älteres Irish Moiled Kalb mit wuscheligem Fell, ein Shetland und ein White Park Rind auf der Weide. Die White Park Rinder sind besonders hübsch. Sie sind ganz weiß, bis auf ihre schwarze Schnauze und die schwarzen Ohren. Auch diese Rasse hat eine lange Geschichte. Die ersten Quelle, die von den weißen Rindern erzählt, ist die irische Sage „Táin Bó Cúailnge“, der Rinderraub von Cooley, in der von weißen Rindern erzählt wird, die besonders für die Zucht geeignet seien. Die Kelten verehrten die „Weißlinge“ – eine Farbvariante der Aurochsen – als heilige Tiere. Da man von Beginn an bemüht war, solche besondere Tiere zu erhalten, wurde sie nicht mit anderen Rassen gekreuzt und sie gelten deshalb als direkte Nachfahren der Aurochsen. Vom 13. Jh. ab gab es Herden mit weißen Rindern auf vielen Gütern in England, die auf eingefriedeten Weiden lebten und sich nur untereinander fortpflanzten. Jahrhunderte lang waren die Tiere sehr beliebt und einige der ursprünglichen Herden existierten bis ins 20. Jh. Trotzdem schien 1970 die über 2000 Jahre alte Geschichte dieser Rinderrasse zu Ende zu gehen, denn im 1926 gegründeten Herdbuch waren nur noch 65 Kühe registriert. Doch der Bestand der wunderschönen Tiere hat sich erholt. Heute gibt es in Großbritannien wieder 750 Zuchtkühe in 80 aktiven Herden. Insgesamt sind über 3500 Tiere registriert. In Deutschland gibt es eine Herde White Park Rinder in der Arche Warder in Schleswig Holstein, einem Haustierpark der auf die Haltung alter Haustierrassen spezialisiert ist.

Laufente auf der Wimpole Home Farm

Leider gab es nur wenig Federvieh anzuschauen, weil man gerade dabei war den Bestand umzustellen. Man will in der Zukunft in erster Linie Hühner halten, die Eier legen, um diese im National Trust laden zu verkaufen, wo man auch das Fleisch der geschlachteten Tiere von der Home Farm kaufen kann. Denn sie ist ein richtiger kleiner Biobauernhof. Auch der Schweinestall wurde gerade umgebaut, um mehr Tiere halten zu können. Dabei werden sowohl historische Aspekte berücksichtigt, um den Eindruck der Home Farm mit ihren Gebäuden aus dem 18. und 19. Jh. zu erhalten, als auch darauf geachtet, dass die Tiere nach den Prinzipien der alternativen Landwirtschaft aufgezogen werden können.

Jersey Kuh Agel in der Wimpole Home Farm

Auf dem Weg zurück zu dem Innenhof neben der großen Scheune, kamen wir an einem offenen Kuhstall vorbei, wo die Jersey Kuh „Angel“ lag. Sie kam am 25. März 2010 auf die Home Farm. Jersey-Rinder sind die kleinsten heimischen Hausrinder. Wie der Name verrät, stammen sie ursprünglich von der britischen Kanalinsel Jersey und wurden dort über Jahrhunderte ohne Beeinflussung durch andere Rassen gezüchtet. Hinter dem zentralen Hof liegen Kuhställe mit Longhorn, Shetland und Gloucester Rindern. Besonders die Longhorns mit ihren riesigen Hörnern fielen uns ins Auge. Sie sind ein lebendiges Beispiel für die Zuchtmethoden des 18. Jh. in England und passen deshalb besonders gut in diese Model Farm aus dieser Zeit.

Longhorn in der Wimpole Home Farm

Ihr Züchter, der englische Landwirt Robert Bakewell (1725 – 1795), gilt als der Vater der modernen Tierzucht. Noch bevor Mendel (1822 – 1884) und Darwin (1809 – 1882) geboren wurden, entwickelte er die Grundprinzipien der selektiven Zucht. Dabei orientierte er sich an der älteren Zucht von Vollblutpferden. Er hielt anders als es zu dieser Zeit üblich war, weibliche und männliche Tiere von einander getrennt und ließ nur Paarungen von Tieren zu, die die gewünschten Eigenschaften hatten. Dabei kreuzte er keinen verschiedenen Tierrassen, sondern züchtete stets nur mit einer Rasse. Das wohl einflussreichste Zuchtprogramm Blakewells war das mit Lincoln Longwool Schafen. Es entstand eine neue Rasse die Dishley Leicester, die schnell heranwuchsen und sich leicht mästen ließen. Sie dienten in erster Linie der Fleischproduktion, wobei im 18 Jh. ein besonders fettes Fleisch erwünscht war. Die von Bakewell gezüchteten Schafe wurden in die ganze Welt exportiert und bildeten die Grundlage vieler neuer Schafrassen. Auch wenn Bakewells neue Schafrasse heute ausgestorben ist, weil man im Laufe der Zeit andere Anforderungen an das Fleisch der Tiere und ihre Wolle stellte, sind ihre Gene doch in den meisten modernen Schafrassen vertreten.

Portrait von Robert Bakewell (1725 – 1795) von John Boultbee (1753 – 1812), in Leicester Museum, England, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Robert_Bakewell,_by_John_Boultbee.jpg

Auch in der Rinderzucht war es Bakewells Ziel, Tiere für die Fleischproduktion zu züchten, die schnell heranreiften und möglichst groß und kräftig waren. Das war zu seiner Zeit ungewöhnlich, da Rinder damals drei Aufgaben erfüllen sollten, die Kühe sollten Milch geben, man nutzte ihr Fleisch und brauchte Ochsen um den Pflug oder einen Karren zu ziehen. Er wählte die Longhorn Rasse, weil sie am besten für die Fleischproduktion geeignet schien. Welche Fortschritte er mit seiner Zucht erreichte, kann man erkennen, wenn man das Schlachtgewicht eines Rindes, dass auf dem Smithfield Markt in London Anfang des 18. Jh. verkauft wurde, mit dem eines Tieres Ende des 18. Jh. vergleicht. 1710 wog ein Rind im Durchschnitt 168 kg. 1795 hatte sich das Gewicht auf 363 kg mehr als verdoppelt. Die Longhorns wurden allerdings bald wieder „unmodern“, da die Rinderhalter und Metzger Tiere mit kürzeren Hörnern bevorzugten. Doch seit der Mitte des 20. Jh. wurde die Rasse vor dem Aussterben gerettet. Die Form ihrer Hörner, die ihre Haltung in der professionellen Rinderzucht verhindert, macht sie andererseits zu beliebten Rindern für die Haltung in Parks, weil sie einen imposanten Anblick bieten.

Longhorn in der Wimpole Home Farm

Robert Bakewell war der erste eines neuen Typs von Züchtern die sich mehr auf die Zucht als auf die Landwirtschaft im Allgemeinen konzentrierten. Sein Ziel war es seine gezüchteten Nutztiere zu verkaufen oder an andere Bauern zu verleihen, um deren Herden zu verbessern. Er widmete sein ganzes Leben der Zucht. Die Wände seines Salons waren mit den Skeletten seiner berühmtesten Tiere dekoriert und er stellte andere Teile von ihnen in Salzwasser eingelegt aus. Kein Wunder, dass er unverheiratet blieb.

Irish Moiled Rind in der Wimpole Home Farm

Heute gibt es nicht mehr die Vielfalt der Nutztierrassen, die Männer wie Robert Bakewell halfen seit dem 18. Jh. zu züchten, auch viele alte lokale Nutztierrassen sind schon ausgestorben oder es besteht die Gefahr, dass es geschieht. Seit dem II. Weltkrieg haben sich moderne Bauern auf eine intensive Landwirtschaft und eine enge Auswahl an Tierrassen konzentriert. Der Rare Breeds Survival Trust (RSBT) unterstützt in Großbritannien die Erhaltung von seltenen Hausstierrassen. Die Home Farm in Wimpole ist heute ein vom RBST anerkanntes Zentrum für seltene Nutztierrassen, viele von ihnen waren üblich, in der Zeit als die Farm gebaut wurde. In Deutschland kümmert sich die GEH, die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen, um das Überleben von Skudde, Thüringer Waldziege, den bunten Bentheimer Schweinen, dem Glanvieh und ihrer Vettern. Es gibt viele Gründe sich für die Erhaltung alter Haustierrassen einzusetzen. Sie sind möglicherweise Träger wertvoller, bisher nicht erkannter oder unbeachteter Eigenschaften. Vor allem aber dokumentieren sie eine der größten Kulturleistungen der Menschheit.

Frettchen in der Wimpole Home Farm

Es gab noch eine Menge kleiner Vierbeiner zu entdecken. Kaninchen und Frettchen waren in recht großen Käfigen aus Maschendraht, in denen die Tiere Platz hatten herumzulaufen, in einer Scheune untergebracht. Wir schauten uns die Molkerei an, die recht feudal ausgestattet war, mit hellen Kacheln an den Wänden und Arbeitsflächen aus Marmor, um Lady Hardwicke und ihren Gästen einen angemessenen Rahmen zu bieten, wenn sie in ländlicher Umgebung ein Glas Milch trinken wollten. Informationstafeln erzählten, dass die Arbeit für die Mägde, die die Kühe melken und Sahne, Butter und Käse aus der Milch machen mussten, trotz des schönen Arbeitsplatzes weniger romantisch war. Es gab noch Kaltblutpferde zu entdecken, in deren Ställen auch ein paar Zwergziegen untergebracht worden waren. Und natürlich schauten wir auch noch einmal bei dem kleinen Hochlandbullen und den niedlichen Ferkeln vorbei. Sowohl Schweine wie Rind hatten sich gemütlich hingelegt und schliefen.

Anglo Nubische Ziege in der Wimpole Home Farm

Als wir uns auf den Weg Richtung Haus machen, um uns zum Schluss unseres Besuch Wimpole Hall auch noch von innen anzuschauen, entdeckten wir auf der Weide gegenüber von den Eseln noch zwei Anglo Nubische Ziegen, die ich glatt für Schafe gehalten hätte, wenn es keine Informationstafel gegeben hätte. Ihre Vorfahren sind die Jamnapari Ziegen aus Indien, die im 19. Jh. als lebende Milchversorger auf Passagierschiffen zwischen Indien und England mitgenommen wurde. In Großbritannien wurden sie mit lokalen Rassen und der aus Ägypten stammenden Zaraibi Ziege gekreuzt. Typisch für die Rasse sind die Hängeohren.

Wimpole Hall Landschaftspark

Wir gingen vorbei an Viehweiden, auf denen ganz normale, moderne Kühe weideten, die zu den Farmen gehören, die auf dem Landgut liegen, hinüber zum Haus und traten ein. Als erstes gelangten wir in die Eingangshalle mit ionischen Säulen, Mosaik Fußboden und Gemälden an ockerfarbenen Wänden. Vom benachbarten Vorzimmer aus konnten wir einen ersten Blick in den Gelben Salon werfen, den schönsten und prachtvollsten Raum des Hauses, in dem Lord und Lady Hardwicke ihre Gäste in einem angemessenen Rahmen empfangen konnten. Der Architekt Soane ließ den großen, repräsentativen Raum regelrecht mitten in das Haus hineinbauen. Er verdankt seinen Namen der goldgelben Seide, mit der seine Wände bespannt sind. Der Salon hat einen T-förmigen Grundriss, an dessen schmalen Ende große Fenster einen Blick auf die Gartenterrasse und den Landschaftspark im Norden des Hauses erlauben. Die gesamte Höhe des Hauses wird genutzt. Den „Längsbalken des Ts“ überspannt ein Tonnengewölbe, dem im Dachgeschoss einige Schlafzimmer zum Opfer fielen, deren Fenster und Kamine über dem Gewölbe erhalten geblieben sind. Der „Querbalken“ des Grundrisses wir in der Mitte von einem zylinderförmigen Oberlicht erhellt, das von einer Kuppel gekrönt wird. Rechts und links davon liegen – dem Querschiff einer Kirch gleich – zwei halbrunde Räume mit halbkugelförmig gewölbten Decken, die mit Stuckornamenten verziert sind. Das Design des Raumes mit vergoldeten Stuckfriesen und Türstöcken erinnert an die Loggia der Villa Madama in Rom, die in der Mitte des 18. Jh. von Raphael errichtet wurde und die Soame zusammen mit dem 3. Earl of Hardwicke auf dessen Italientour besuchte.

Wimpole Hall - Gelber Salon

An der Wand gegenüber der Fensterseite hängt über einem silberfarbenen Kamin ein großer Spiegel, flankiert von Familienporträts und überspannt von einer Lünette mit einem Gemälde, in dem Cherubin den „Triumph der Musik“ feiern. Die Gesichter der kleinen Engel sind Porträts der Großneffen und Großnichten des 3. Earls. Als Philip Yorke 1834 starb, hatte die Familie einige Schicksalsschläge hinnehmen müssen, seine beiden Söhne früh waren gestorben und auch die beiden nächsten Anwärter auf den Titel und das Landgut lebten nicht mehr. So erbte Charles Philip Yorke, der Sohn seines Halbbruders, Wimpole. Mit dem 4. Earl und seinem jüngeren Bruder Henry Yorke, der auch das Landgut in die Rectory zog, wurde es lebendig. Charles Philip Yorke hatte vier Söhne und drei Töchter und sein Bruder hatte sechs Kinder. Das Gemälde in der Lunette ist eine schöne Erinnerung an die lebhafte Kinderschar.

Wimpole Hall - Gelber Salon

Der 4. Earl hatte durch Protektion von Sir Robert Peel, der zu Zeiten der Königin Viktoria von 1834-1835 und von 1841-1846 britischer Premierminister war und als Begründer der Konservativen Partei gilt, ein Amt am Hof erhalten. So war Charles Philip Yorke schnell der Ansicht, dass er sein Landschloss vergrößern und verschönern musste, damit es seiner gesellschaftlichen Position entsprach. Er beauftragte den Architekten Henry Edward Kendall mit den Umbauarbeiten. Das Haus erhielt eine neue repräsentative Eingangspforte und er fügte an jedem Ende der Hauptfront zwei neue Flügel mit Türmen an jeder Ecke hinzu, die das ohnehin schon lange Gebäude um noch einmal rund 400 m verlängerten. Im Westen wurde die Orangerie durch Gewächshaus mit einem Turm ersetzt, im Osten eine große symmetrische Küche und ein Service Block erricht und die Stallgebäude wurden gebaut, in denen heute der Empfang von Wimpole Hall untergebracht ist. Im Innern des Hauses wurde viele Stuckdecken geschaffen oder verschönert. So war alles bereit als Queen Viktoria zusammen mit Prinz Albert im Oktober 1843 Wimpole Hall besuchte. Es muss ein ziemlich chaotischer Besuch gewesen sein, denn am Abend fehlte Lady Williamson, die Lady Harwickes Gesang am Klavier begleiten sollte, worauf diese sich weigerte zu singen. So mussten die Gäste auf die musikalische Unterhaltung verzichten. Stattdessen saßen oder standen sie herum und hörten König Viktoria beim recht steifen Smalltalk zu. Am nächsten Morgen tauchte die Königin dann unerwartet in der Kapelle des Hauses auf, um an einem Gottesdienst teilzunehmen, fand dort aber nur Dienstboten vor. Den Beziehungen zum Hof hat die Episode nicht geschadet, in der Folgezeit war der Prinz of Wales ein häufiger Gast im Haus der Yorkes.

Charles Yorke, 4. Earl of Hardwicke (1799-1873), http://en.wikipedia.org/wiki/File:4thEarlOfHardwicke.jpg

So ist es auch kein Wunder, dass der nächste Earl of Hardwicke, der älteste Sohn von Charles Philip Yorke, zum Freundeskreis des Thronfolgers gehörte. Er trug den gleichen Namen wie sein Vater wurde aber oft Champagner Charlie genannt. Er erbte Wimpole 1873 und schaffte es innerhalb von 15 Jahren, u. a. mit einem geradezu legendären Pech bei Pferdewetten, Schulden in Höhe von £ 300.000 anzusammeln. So blieb ihm nichts anderes übrig als Wimpole, das er nur selten mit seinem Besuch beehrt hatte, zu verkaufen. Doch niemand wollte genug dafür bezahlen, obwohl das Interesse bei der Verkaufsauktion groß war. Nachdem das Haus drei Jahre leer gestanden hatte, übernahm der Vorsitzende der Bank, die der größte Geldgeber des verschuldeten 5. Earls of Hardwicke war, Lord Robartes, das Country House. Er nutzte das Haus allerdings nur kurze Zeit, da er bald den Familienlandsitz in Cornwall, Lanhydrock, erbte. Wimpole wurde für Jagdpartys und Familienferien genutzt. Oft wurde das Haus abgeschlossen und lag da wie ein Geist der Vergangenheit. Schließlich wurde es vermietet und die letzten Mieter waren 1936 George und Elsie Bambridge. Elsie Bambridge war die einzige überlebende Tochter von Rudyard Kipling, dem Autor des Dschungelbuches. Dessen Erbe machte es Elsie möglich 1938 Wimpole zu kaufen, und das Haus verdankt sein Überleben den Bambridges, die sich zur Lebensaufgabe machte, Wimpole seinen alten Glanz wiederzugeben.

Wimpole Hall

Von den Veränderungen, die in der Viktorianischen Zeit durchgeführt wurden, ist bis auf die Stallgebäude am Eingang kaum noch etwas zu sehen. Dafür konnten wir aber im Innern des Hauses viel vom Stil und dem Geschmack von Elsie Bambridge entdecken. Der von ihr eingerichtete Süd Salon ist mit Möbeln aus dem 18. Jh. und mit bequemen Sesseln und Sofas mit rosafarbenen Bezug ausgestattet und lud, wenn man es gedurft hätte, ein sich hinzusetzen und durch den durch die großen Fenster hineinfallenden Sonnenschein zu genießen.

Wimpole Hall

Eine Gruppe von Schulkindern wurde von einem Butler durch das Haus geführt, der im Stil gekleidet war, der zur Zeit Königin Viktorias modern war. Auch die Kinder trugen Hauben und Schürzen, wie sie Kinder in dieser Zeit getragen hätten. Sie setzten sich in der langen Galerie artig auf den Parkettboden und lauschten den Erklärungen ihres Führers. Wir bewunderten die Bücher in den Regalen der Bibliothek und des zusätzlichen Bücherzimmers, staunten über die lange Tafel im Speisezimmer, überlegten beim Anblick des Staatsbettes im Schlafzimmer des Lordkanzlers, ob wir in diesem keine Albträume bekommen hätten, und entdeckten im Dienstbotentrakt des Hauses, dass der Butler ein recht großzügiges Zimmer bewohnte. Ein Anzug hing an seinem Kleiderschrank, als ob er gleich hereinkommen würde, um ihn anzuziehen und mit der Arbeit zu beginnen.

Wimpole Hall

In einer kleinen Ausstellung wurde auf Tafeln noch einmal die Geschichte des Hauses dargestellt. 1976 starb Elsie Bambridge und hinterließ das Haus mit seinem Inhalt dem National Trust. Ihr Mann war bereits 1943 gestorben und sie hatte sich nach seinem Tod ganz dem Haus gewidmet. Einen großen Teil der Innenausstattung, die wir uns anschauen konnten, hat sie gekauft, um dem Haus wieder so aussehen zu lassen, wie es in den Zeiten der Yorkes ausgesehen hatte. Sie lebte sehr zurückgezogen und verteidigte ihren Besitz eifersüchtig gegen alle Eindringlinge. Heute dürfen hier alle Menschen im Parkland wandern und wer den Eintritt bezahlt hat, kann sich Gärten, Farm und Haus anschauen und sich in vergangene Zeiten zurückversetzen. Bevor wir wieder in unser Auto stiegen musste ich natürlich noch im National Trust Laden stöbern und entdeckte dabei eine ganz besonderes „Ausstellungsstück“, das allerdings nicht zum Verkauf stand. Für uns war es ein schöner Tag, angefüllt mit neuen Erkenntnissen und Eindrücken. Hierhin müssen wir unbedingt noch einmal zurückkehren.

Wimpole Hall - Ställe

Die Informationen habe ich hier gefunden:

in der Publikation des National Trust: „Wimpole Hall“, 1991

über die Schweine:
http://www.rbst.org.uk/watch-list/pigs/tamworth
http://www.tamworthbreedersclub.co.uk/10.html
http://www.welt.de/kultur/article5603306/Schweine-koennen-mehr-als-nur-Grippe-und-Braten.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Schweinezucht
http://de.wikipedia.org/wiki/Husumer_Protestschwein

über die Schafe:
http://www.rbst.org.uk/watch-list/sheep

über die Ziegen:
http://www.rbst.org.uk/watch-list/goats/bagot
http://baggetthistory.com/bagot_goat.html
http://www.herz-fuer-tiere.de/ratgeber-tier/bauernhoftiere/ziegen/ziegenrassen/anglo-nubische-ziege.html
http://en.wikipedia.org/wiki/Anglo-Nubian

über die Rinder:
http://www.rbst.org.uk/watch-list/cattle/irishmoiled
http://en.wikipedia.org/wiki/Irish_Moiled

Klicke, um auf White%20Park%20Cattle.pdf zuzugreifen

http://www.whiteparkcattlesociety.ltd.uk/p/history.html
http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=4725
http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%A1in_B%C3%B3_Cuailnge
http://de.wikipedia.org/wiki/Jersey-Rind

von der Landwirtschaftliche Revolution:
http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Townshend,_2._Viscount_Townshend
http://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Bakewell_(agriculturalist)
http://www.bbc.co.uk/history/historic_figures/bakewell_robert.shtml

Mehr Bilder von der Home Farm und von Wimpole Hall

Wimpole Hall – Barocker Glanz und politische Verwicklungen

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Als wir am nächsten Morgen aufwachten, schien die Sonne und Wolken zogen am Himmel. Ein schöner Sommertag begann, warm, aber nicht zu heiß, genau das richtige Wetter für einen unterhaltsamen Urlaubstag. Wir mussten uns an diesem Morgen nicht beeilen, denn unser Ziel lag nur wenige Kilometer westlich von Cambridge und hatte erst ab 10:30 geöffnet. So hatten wir viel Zeit für ein gemütliches Frühstück, bei dem wir einen ganz besonderen Gast hatten.

Grauhörnchen im Cambridgeshire

Ein Eichhörnchen hatte sich unserem mobilen Zuhause genähert und freute sich sichtlich über das trockene Brot, dass wir hinauswarfen. Eigentlich hätten wir ja ein schlechtes Gewissen haben müssen, denn die ursprünglich in Nordamerika beheimateten Grauhörnchen verdrängen in England die einheimischen roten Eichhörnchen und werden auch für Schäden in Eichen- und Buchenwäldern verantwortlich gemacht. Immer wieder werden Programme initiiert, die die Anzahl der grauen Einwanderer aus Amerika reduzieren sollen. Auch der britische Thronfolger Prinz Charles würde gerne den Grauhörnchen den Garaus machen. In Schottland, wo in den Wäldern noch rote Eichhörnchen leben, werden die Grauhörnchen gezielt gejagt. Man versucht auf einem 25 Kilometer breiten, von der Ost- bis zur Westküste reichenden Streifen alle Grauhörnchen zu töten und sie so wenigstens von Schottland fernzuhalten. In England haben die Grauen längst gewonnen. Seit 1889 die ersten 350 Grauhörnchen in der Grafschaft Bedfordshire ausgewildert wurden, hat sich ihre Zahl auf über drei Millionen Exemplare erhöht – manche Quellen sprechen von bis zu 10 Millionen Grauhörnchen, während es nur noch knapp 160.000 rote Eichhörnchen in Großbritannien gibt. Vor allem in den Parks der Städte gibt es jede Menge Grauhörnchen und man sollte sie also nicht füttern.

Grauhörnchen im Cambridgeshire

Aber wir konnten dem Charme unseres kleinen Gastes nicht widerstehen. Wenn ich ehrlich bin, gefallen mir die etwas größeren grauen Einwanderer genauso gut wie ihre roten einheimischen Vettern. Mancher Wissenschaftler in England sieht die Verdrängung der roten Eichhörnchen auch als nicht so dramatisch an. Sie empfehlen den Tierfreunden zu akzeptieren, dass die Grauen den Kampf für sich entschieden hätten. Wir schauten dem possierlichen Tier eine ganze Zeit zu, bevor wir uns auf den Weg machten. Wir rollten langsam durch die flache Landschaft in der Umgebung von Cambridge vorbei an Feldern und Weiden, folgten schließlich der langen gewundenen Zufahrt durch den Park und konnten bald unser Auto neben den ehemaligen Ställen von Wimpole Hall abstellen.

Wimpole Hall - Ställe

Wimpole Hall ist das größte Landschloss im Cambridgeshire und eines der schönsten im Osten Englands. Es ist umgeben von 12 km² Park und Farmland, das dem National Trust gehört. Neben dem im 17. Jh. errichteten Schloss kann man sich die Gärten anschauen, lange Wanderungen durch Landschaftspark unternehmen und dabei die Spuren entdecken, die verschiedene Landschaftsarchitekten im Laufe der Jahrhunderte hinterlassen haben. Es gibt einem Bauernhof aus dem 18. Jh., die Wimpole Home Farm, wo seltene, alte Haustierrassen gehalten werden, eine Kirche, die 1749 gebaut wurde, und die im 19. Jh. aus roten Ziegelsteinen errichteten Ställe, wo wir im Ticket Office unseren provisorischen Mitgliedausweis vorzeigten, um die Eintrittskarten zu erhalten. Die Stallgebäude gruppieren sich um einen Hof, in ihnen sind heute eine Secondhand Bücherei und der National Trust Laden und ein kleines Restaurant untergebracht.

Wimpole Hall - Kirche

Obwohl man das Herrenhaus erst am Nachmittag besichtigen konnte, schlenderten wir zunächst hinüber zum Haus – wir waren neugierig, wie es aussah – und genossen die Aussicht auf die idyllische Landschaft. Der Weg führte vorbei an der Kirche, die schon immer ein Teil des Besitzes war. Als die heutige Kirche im 18. Jh. errichtet wurde, wurde der mittelalterliche Vorgängerbau zerstört. Es ist eine Gemeindekirche, die von den Menschen der Umgebung besucht wurde und neben der sie ihre Toten beerdigten.

Wimpole Hall - Südallee

Vor der Südfront von Wimpole Hall konnten wir hinunter auf die weite, leicht hügelige Landschaft schauen. Kühe grasten unter alten Bäumen auf saftig grünen Weiden. Auf den Wiesen wogte helles Gras im Wind, das darauf wartete bald gemäht zu werden. Schnurgerade auf das Haus zu verläuft eine etwa 15 Meter breite und vier Kilometer lange Allee, die früher von einer Doppelreihe von Ulmen begrenzt war. Sie wurde zwischen 1720 und 1725 von Charles Bridgeman, einem berühmten englischen Landschaftsarchitekten, angelegt. Leider fielen die 250 Jahre alten Bäume in den 1970er Jahren einem Ulmensterben zum Opfer. Der National Trust ersetzte die Ulmen seit 1976 durch Linden. Obwohl seitdem schon mehr als 30 Jahre vergangen sind, wird es noch einige Zeit dauern, bis die Bäume ausgewachsen sind und die Allee wieder den geschlossenen Eindruck macht, den sie für mehr als zwei Jahrhunderte lang den Besuchern bot.

Wimpole Hall

Die roten Backsteine der symmetrischen Südfront des Hauses leuchteten in der Sonne. Was wir da erblickten, ist das Werk des Architekten Henry Flitcroft, der das Haus 1742 im Stil des Palladianismus, einen klassizistisch geprägten Baustil, der sich am Werk des Architekten Andrea Palladio aus dem 16. Jh. orientierte, umgestaltete. Sein Auftrageber war Philip Yorke, 1. Earl of Hardwicke, der das Haus, das er gerade erworben hatte, seinem persönlichen Geschmack anpassen ließ. Gebaut wurde Wimpole Hall rund 100 Jahre früher. 1640 begann Sir Thomas Chicheley mit der Errichtung des hohen zentralen Gebäudes.

Wimpole Hall Landschaftspark

Doch die Geschichte von Wimpole ist viel älter. Als Sir Thomas 1616 Wimpole erbte, war es bereits seit über 200 Jahren im Besitz seiner Familie. Ein berühmter Vorfahr, der Erzbischof von Canterbury Henry Chichele (1364 – 1443), hatte es 1428 gekauft. Er begann seine diplomatische Karriere im Dienste der Kirche und des Königs im Juli 1405 mit einer Mission bei dem neuen Papst Innozenz VII. mit dem Ziel das Schisma der katholischen Kirche zu beenden. Zwischen 1378 bis 1417 gab es zwei – für einen kurzen Zeitraum sogar drei – Päpste, ein Papst residierte in Rom, ein Gegenpapst in Avignon. Als Innozenz 1406 starb und in Rom ein neuer Papst gewählt wurde, Gregor XII., war Chichele wiederum Mitglied der Gesandtschaft, die sich mit dem neuen Papst traf, um einen erneuten Versuch zur Lösung der Spaltung zu starten, und er nutzte diese Mission, um seinen gesellschaftlichen Aufstieg zu fördern. In der Folge wurde er zum Bischof von St. David’s im Pembrokeshire geweiht. 1414 wurde er Erzbischof von Canterbury und damit der wichtigste kirchliche Würdenträger in England. Er arbeitete weiter als Diplomat für den König Heinrich V.. Der König beauftragte ihn persönlich die Verhandlungen über die Übergabe der Stadt Rouen nach der Belagerung der Stadt vom Juli 1418 bis zum Januar 1419 zu führen und er war einer der Diplomaten, die den Vertrag von Troyes aushandelten, in dem u. a. die Heirat von Heinrich V. mit Katharina von Valois, der Tochter des französischen Königs Karl VI., vereinbart wurde. Er wurde am 21.Mai 1420 unterschrieben, Heinrich V. wurde dadurch zum Regenten und Thronfolger in Frankreich, was sich der Sohn Karl VI., der später als Karl VII. zusammen mit der Jungfrau von Orleans gegen den Sohn Heinrich V. kämpfen sollte, nicht gefallen ließ. Er bildete eine Gegenregierung südlich der Loire. Henry Chichele krönte die neue englische Königin am 20. Februar 1421 in Westminster und taufte im Dezember desselben Jahres ihren Sohn, den zukünftigen König Heinrich VI.

Henry Chichely, Erzbischof von Canterbury, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Henry_Chichely,_Archbishop_of_Canterbury.jpg

Wimpole vererbte er seinem Neffen, der auch Henry hieß, seinen Nachnamen aber Chicheley schrieb. Die Mitglieder der Familie, denen der Besitz in den folgenden Jahren gehörte, hatten alle eine gemeinsame Leidenschaft: Sie sammelten Land. Im Zentrum des angewachsenen Landbesitzes der Familie Chicheley stand 1638 ein mittelalterliches von einem Wassergraben eingeschlossenes Haus, das vielleicht so ähnlich ausgesehen hat wie Ightham Mote, umgeben von einem 81 Hektar großen Wildpark. Sir Thomas Chicherley ließ das Haus abreißen, um Platz für sein neues repräsentatives Heim zu schaffen.

Sir Thomas Chicheley, http://en.wikipedia.org/wiki/File:SirThomasChicheley.jpg

Es war nicht unbedingt ein günstiger Zeitpunkt mit dem Bau eines neues Hauses zu beginnen, denn unruhige Zeiten standen für England im Allgemeinen und für Sir Thomas im Besonderen bevor. Er wurde 1640 als Mitglied für Cambridge in das Lange Parlament gewählt, das seinen Namen erhielt, weil es aus Sicht der Royalisten nie legal aufgelöst wurde und so 20 Jahre lang seine Legitimität behielt. Als überzeugter Royalist stellte sich Chicheley, als 1642 der Bürgerkrieg zwischen dem Parlament und dem König ausbrach, an die Seite Karl I. und zog mit dem Hof und der royalistischen Armee nach Oxford. Er verlor daraufhin seinen Sitz im Parlament. Seine Königstreue musste er nach dem Sieg von Cromwell teuer bezahlen, wenn er auch im Gegensatz zu seinem König seinen Kopf auf den Schultern behielt. Er musste eine hohe Summe als Strafe bezahlen und lebte in Misskredit, allerdings nicht in Armut, denn 1654 heiratete er die verwitwete Lady Anne Savile.

Wimpole Hall

Diese war 1644, als parlamentarische Truppen Sheffield Castle in Yorkshire angriffen, zur Heldin der Royalisten geworden. Ihr erster Mann, Sir William Savile, war gerade gestorben und sie lebte zusammen mit ihren Kindern in der Burg, die sie nicht bereit war aufzugeben, obwohl sie hoch schwanger war. Weil das Kind jeden Augenblick zur Welt kommen konnte, hatte man eine Hebamme herbeigerufen, die die parlamentarischen Soldaten aber nicht in die Burg ließen. Wütend wollte Lady Savile lieber sterben, als die Burg diesen Barbaren zu übergeben, und half bei der Verteidigung der Burg, so gut sie konnte. Schließlich konnten ihre eigenen Soldaten sie überzeugten, dass sie keine andere Wahl hatte, als zu kapitulieren. Einen Tag nach der Kapitulation wurde das Kind geboren. Selbst ihre Gegner waren so beeindruckt von ihrem Mut, dass sie ihre Freiheit und die ihrer Kinder garantierten und ihnen freien Abzug gewährten. Sie war ihnen allerdings nicht dankbar und nutzte ihre Freiheit für die royalistische Sache, indem sie als Spion für die Krone arbeitete.

Wimpole Hall Landschaftspark

Ihr Reichtum hat es vermutlich Chicheley ermöglicht, weiter Land aufzukaufen und den Bau von Wimpole Hall fortzusetzen. Das Haus wurde Ende der 1650er Jahre fertig gestellt. Es war ein Herrenhaus in einem neuen avantgardistischen Stil und Zeitgenossen lobten es als eines der komfortabelsten in England. Doch für Sir Thomas schien es zu weit abseits zu liegen. Er hatte, nachdem Karl II. 1660 den englischen Thron wieder bestiegen hatte, Karriere gemacht. 1661 wurde er erneut Mitglied des Parlamentes für Cambridge, 1670 wurde er geadelt, Mitglied des Kronrates und Inspekteur der Artillerie. Er lebte in seinem Haus im Covent Garden in London im großen Stil. Samuel Pepys, dessen berühmte Tagebücher ein lebendiges Bild über den Alltag im London im ausgehenden 17. Jh. vermitteln, schrieb über Chicheleys Speisen: „… alle auf französische Art und Weise, und äußerst vornehm serviert von seinen Dienern und sehr zivilisiert …“ Seine Freizeit verbrachte er als einer der besten Spieler Englands beim Tennisspiel. Karl II. soll sich nach einem Tennisspiel mit ihm gewogen haben, um festzustellen, wie viel Gewicht er verloren hatte.

Wimpole Hall

1686 wurde Chicheley Leiter der Grocers’ Company von London für ein Jahr, einer Kaufmanns Gilde, die sich auch soziale und wohltätige Aufgaben übernahm, aber die Kosten seines aufwändigen Lebensstils forderten ihren Tribut. Im selben Jahr war er gezwungen Wimpole für £51.000 zu verkaufen, es war bereits mit Hypotheken belastet. Der Käufer war auch ein Mitglied der Grocers’ Company, Sir John Cutler. Der war eine schillernde Figur der Stadt London in der Zeit nach der Restauration und einer der Wohltäter der Company. Seine einzige Tochter Elizabeth hatte 1689 ohne Zustimmung des Vaters einen Fremden geheiratet, Charles Robartes, der erst kürzlich zum 2. Earl of Radnor ernannt worden war und der einer der wichtigsten Unterstützer des neuen Königs William III. war. Erst auf seinem Sterbebett 1693 vergab Cutler seiner Tochter und übertrug ihr viel von seinem wertvollen Besitz u. a. Wimpole. Aber innerhalb von vier Jahren starb auch Elizabeth und Wimpole Hall ging in den Besitz ihres Mannes über. Radnor nutzte Elizabeths Vermögen um Wimpole zu einem der großen Häuser der Zeit von Willhelm III. und Maria zu machen. Er ließ im Westen des Hauses eine Orangerie bauen und im Osten einen Flügel für die Bediensteten und rechtwinklig zur Gebäudefront neue Stallungen. Außerdem ließ er neue formale Gartenanlagen errichten und ließ auf dem restlichen Teil seines Besitzes Bäume pflanzen und Gebäude abreißen, die in seinen Augen das Landschaftsbild störten.

Wimpole Hall im Cambridgeshire England von Jan Kip and Leonard Knyff, frühes 18 Jh., http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wimpole_Kip_and_Knyff_edited.jpg

Doch auch er kam in finanzielle Schwierigkeiten, die Belastungen, die durch den Ausbau von Wimpole entstanden waren, waren einfach zu groß. Er musste mehrere Hypotheken aufnehmen und geriet unter zunehmenden Druck seiner Geldgeber. So musste er schließlich 1710 Wimpole verkaufen. Der Käufer war John Holles, 1. Duke of Newcastle, der aber nur wenig Zeit hatte sich an seiner Erwerbung zu erfreuen. Er starb im folgenden Jahr bei einem Reitunfall. Er hinterließ seiner einzigen Tochter Henrietta Cavendish Holles Wimpole Hall, mit der die vielleicht glanzvollste Zeit des Landschlosses begann.

Wimpole Hall - Holländische Terrasse

Wir gingen um das Haus herum und landeten in einem formalen Barockgarten, dem sogenannten Holländischen Garten, der allerdings nach 1980 angelegt wurde. Gerade rechtwinklig zu einander verlaufende Wege unterteilen die Terrasse im Norden des Hauses in Rechtecke. Auf grünem Rasen bildeten niedrige Buchsbaumhecken, in denen frisch gepflanzte Blumen ordentlich in Reih und Glied gepflanzt waren, geometrische Muster. Hinter einem niedrigen schmiedeeisernen Gitter liegt der von dem wohl bekanntesten englischen Landschaftsarchitekten entworfenen Landschaftspark. Lancelot „Capability“ Brown gestaltete von der Mitte der 1760 er Jahre zehn Jahre lang den nördlichen Park von Wimpole um und vergrößerte ihn. Ein Folly wurde 1774 auf einem Hügel errichtet – eine „Narretei“, deren einzige Zweck es war, als Kulisse zu dienen – ein gotischer Turm, der genau in der Verlängerung der mittleren Achse des Hauses liegt.

Wimpole Hall - Gothic Tower

Von der Gartenterrasse aus sahen wir die beiden Seitenflügel, die Edward Lord Harley, der Ehemann von Henrietta Cavendish Holles, von 1713 an errichten ließ. Eines der beiden Gebäude verdankt seine Entstehung seiner Sammlerleiden-schaft und der seines Vaters. Die beiden Männer liebten Bücher und hatten davon so viele gekauft, dass eine normale Bibliothek nicht ausgereicht hätte, um sie alle unterzubringen. Damit das Herrenhaus weiterhin seinen symmetrischen Grundriss behielt, fügte der Architekt, James Gibbs, an der gegenüberliegenden Seite einen zweiten Flügel hinzu, der eine Kapelle enthielt.

Wimpole Hall

Am 31. August 1713 fand im Salon von Wimpole Hall die Hochzeit von Henrietta und Edward statt. Es waren nur wenige Gäste zugegen und es gab auch nur wenig Pomp. Das war umso erstaunlicher, da es zwei Jahre lang intensive Bemühung gegeben hatte, um diese beiden miteinander zu vermählen. Edwards Vater, war Robert Harley, 1. Earl of Oxford and Earl Mortimer, der 1710 zum Schatzkanzler (Chancellor of the Exchequer) und ein Jahr später von Königin Anne zum Lord High Treasurer ernannt worden war. Die Ehe seines Sohnes mit Henrietta muss ihm sehr am Herzen gelegen haben, denn der andere große Politiker dieser Tage und Lord Oxfords Rivale, Bolingbroke, schrieb ihm in einem Brief: „Wir sind uns einig, dass Sie sich eingesetzt haben, zumindest in unseren Augen, als ob Sie eine Geliebte für sich selbst gewonnen hätten, statt einer Frau für Ihren Sohn.“

Edward Harley, 2. Earl of Oxford, http://en.wikipedia.org/wiki/File:EdwardHarley.jpg

Die politischen Gegner Robert Harleys zögerten nicht seine Abwesenheit von London dazu zu benutzen, um Maßnahmen in die Wege zu leiten, mit dem Ziel den Tory Oligarchie der Regierungszeit Königin Annes zu beenden. Und die Intriganten hatten ein leichtes Spiel, denn Lord Oxford bot genügend Angriffsfläche. Ein Zeitgenossen schrieb über ihn: „ Sein größter Fehler war seine Eitelkeit. Man konnte sich nie auf seine Freundschaft verlassen, wenn sie seine anderen Pläne behinderte, wenngleich er dadurch einen neuen Feind erhielt.“ Als die kränkelnde, kinderlose Königin dem Tode nahe war und die Aussichten auf einen König aus dem Haus Hannover stiegen, handelten seine Gegner offener. Im Juli 1714 wurde er aus seinem Amt als Lord High Treasurer geworfen und nachdem die Königin im August 1714 gestorben und der neue König Georg I. gekrönt worden war, wurde er im Juli 1715 des Hochverrats angeklagt und im Tower gefangen gesetzt. Nach zwei Jahren konnte er sein Gefängnis wieder verlassen und durfte auch seinen Sitz Oberhaus wieder einnehmen. Er zeigte aber von da ab nur noch wenig Interesse an der Politik. Die Zeiten hatten sich zu seinen Ungunsten geändert. Der neue König aus dem Hause Hannover suchte sich seine politischen Berater bei den Whigs.

Wimpole Hall

Wimpole, das zu einem nationalen Zentrum der triumphierenden Tories hatte werden sollen, verkörperte nun den Trotz der Tories. Robert Harley starb 1724 und sein Sohn erbte den Titel und die Bücher seines Vaters. Der 2. Earl of Oxford hatte schon vor der Hochzeit mit Henrietta Pläne gehabt, Wimpole zu einem Zentrum von Kunst und Wissen zu machen. Das Haus sollte der Platz werden, wo die umfangreiche Buch- und Kunstsammlung der Harleys untergebracht werden sollte. Zunächst wurden fünf Räume in den vorhandenen Gebäuden umgestaltetet, um die Sammlung aufzunehmen. Doch die Zahl der Bücher wuchs ständig und bald reichte der Platz nicht mehr aus, sodass schließlich das neue Gebäude errichtet wurde, das auch heute noch eine Bibliothek enthält. Und nicht nur die beiden Flügel wurden neu errichtet, auch im Innern wurde das Haus neu dekoriert mit erlesenen Bildern und Kunstgegenständen aus Lord Harleys Sammlung geschmückt und die Gärten und der Landschaftspark wurden neu gestaltet, Charles Bridgeman pflanzte seine lange Südallee. Als Politiker war Robert Harley als Tory jegliche Einflussmöglichkeit genommen, aber er unternahm auch keinen Versuch daran etwas zu ändern. Er suchte Zuflucht vor der politischen und finanziellen Realität in Wimpole bei seiner Sammlung und dem prachtvollen Rahmen, den er für sie geschaffen hatte. Und er suchte Zuflucht beim Alkohol. Eine Kombination, die sich als fatal erweisen sollte. Das Vermögen seiner Frau reichte nicht aus, um den kostspieligen Lebensstil zu finanzieren und es erging ihm wie seinen Vorgängern, die Wimpole Hall gebaut und verändert hatten. Er musste das Haus im November 1739 verkaufen. Lord Harley starb nur zwei Jahre später und seine Witwe verkaufte seine Buchsammlung, die aus 50.000 Büchern, 41.000 Drucken und 350.000 Broschüren bestand, für £15.000.

Wimpole Hall - Kitchen Garden

Unser Weg führte uns über einen geschwungen Weg durch den Pleasure Ground, den Lustgarten, des Anwesens vom Haus weg. Etwa 400 Meter vom Haus entfernt liegt der von einer Backsteinmauer umgebene Küchengarten. Er ist im Innern durch eine weitere Backsteinmauer in zwei Teile geteilt. Im ersten Teil wachsen noch recht junge Obstbäume und Sträucher mit Beeren. Er wird seit den 1990er Jahren restauriert.

Wimpole Hall - Kitchen Garden Wimpole Hall - Kitchen Garden

Wimpole Hall - Kitchen Garden Wimpole Hall - Kitchen Garden

Im zweiten Teil erwarteten uns bunte Blumen und grünes Gemüse. Phantasievolle Vogelscheuchen, die bei einem Wettbewerb entstanden sind, bewachten die bunte Pracht. Ein Schäfer mit Haaren aus trockenen Blättern, ein Bauer mit roter Nase und Strohmähne, Mr. McGregor und Peter Rabbit aus der phantasievollen Geschichte „The Tale of Peter Rabbit“ (Die Geschichte von Peter Hase) von Beatrix Potter, die in Wimpole allerdings ganz friedlich miteinander auszukommen scheinen, und sogar Elisabeth I. standen zwischen Stauden mit bunten Blüten und vor grün berankten Mauern. Die Stirnseite des Küchengartens wird von einem langen Gewächshaus eingenommen. Es ist eine Rekonstruktion aus dem Jahr 2000 des zwischen 1790-1794 von Sir John Soane entworfenen Originalgewächshauses, das 1941 im II. Weltkrieg durch einen Bombe zerstört wurde. Drinnen wachsen heute Tomaten. Wir genossen unseren Spaziergang und hatten besonders viel Freude an dem Duft der zahlreichen Rosen und den dicken Blüten der Pfingstrosen.

Wimpole Hall - Kitchen Garden

Philip Yorke, der Wimpole Hall 1739 erworben hatte, war in mancherlei Hinsicht, das genaue Gegenteil des Vorbesitzers. Er erlebte einen eindrucksvollen gesellschaftlichen Aufstieg im Georgianische Zeitalter, u. a. auch deshalb, weil er der richtigen politischen Gruppierung angehörte, den Whigs. Er wurde 1690 in Dover als Sohn eines Staatsanwalts geboren und trat in die Fußstapfen seines Vaters. 1714, als die politische Katastrophe über die Harleys hereinbrach, wurde er als Anwalt bei Gericht zugelassen und seine Karriere begann. 1718 wurde er ins Parlament gewählt, 1720 zum zweiten Kronanwalt ernannt und geadelt. 1724 war er bereits Generalstaatsanwalt und wurde schließlich 1733 in das Amt des Lord Chief Justice of the King’s Bench berufen und war damit nach dem Lordkanzler der zweithöchste Richter in England und Wales, gleichzeitig wurde ihm vom König Georg II. die Baronswürde verliehen. 1737 wurde er schließlich Lordkanzler, ein Amt, das er 19 Jahre innehatte, was ihn zu einem der am längsten dienenden Lordkanzler machte. Man erzählte sich, dass Georg II. ihn am Hof nicht erkannte, als er sein Amt niedergelegt hatte, weil er Philip Yorke nie ohne Perücke und seine Amtsrobe gesehen hatte. 1954 wurde er schließlich zum 1. Earl of Hardwicke ernannt. Die Ansichten seiner Zeitgenossen über ihn gehen weit auseinander, je nach politischem Lager aus dem sie kamen. Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass er sehr darum bemüht war, die Position seiner Familie in der politischen und vornehmen Gesellschaft zu festigen. Es gab viele Berichte über seinen Geiz und sein Bestreben für seine Kinder Ehen mit Partnern aus wohlhabenden Familien zu arrangieren – mit dem Ziel, wie böse Zungen argwöhnten, dass deren Reichtum in der Familie der Yorkes landete. Die Korrespondenz der Familie entwirft allerdings ein anderes Bild, Philip Yorke und seine Frau hatten ihr ganzes Leben lang ein gutes und liebevolles Verhältnis zu ihren Kindern, bei dem Geld keine Rolle spielte.

Portrait of Philip Yorke, 1. Earl of Hardwicke, von Thomas Hudson (1701-1779), gemalt 1735, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Philip_Yorke,_1st_Earl_of_Hardwicke.jpg

Vermutlich hat aber der sorgfältige Umgang mit seinem Vermögen, den er auch an seine Nachkommen vererbt hat, dazu beigetragen, dass ihm das Schicksal seiner Vorgänger erspart blieb, Wimpole verkaufen zu müssen, weil er es sich nicht mehr leisten konnte. Auch er startete mit einer Umgestaltung seines Besitzes, denn Wimpole sollte das repräsentative und komfortable Heim für seine große Familie werden. Als er es erwarb, war das Äußere von Wimpole Hall eine bunte Mischung aus verschiedenen Stilen: das Chicheley Haus aus der Mitte des 17. Jh., die Orangerie, die der Earl of Radnor im Stil der ausgehenden Stuart Zeit errichten ließ und die beiden Flügel die Gibbs entworfen hatte. Philip Yorke beauftragte den Architekten Henry Flitcroft, um daraus ein harmonisches Ganzes zu machen, das Schloss, das man heute noch bewundern kann. Im Innern wurden die Wände der Kabinette Harleys eingerissen und so im Erdgeschoss eine lange Galerie für Lord Hardwickes berühmte Kunstsammlung mit historischen Portraits und Werken von Rubens, Holbein und Tizian geschaffen. Draußen wurden formale Elemente im Parkland entfernt und der Landschaftsgarten wurde natürlicher gestaltet. Yorke beauftragte damit den Sohn des Landschaftsarchitekten des Königs Robert Greening.

Wimpole Hall - Kitchen Garden

Am Ende seines Lebens konnte Philip Yorke mit viel Stolz auf das zurückblicken, was er im Leben erreicht hatte. Sein ältester Sohn, der wie er Philip hieß, war mit der Enkelin des Duke of Kent verheiratet, und der Großvater war besonders stolz auf seine beiden Enkeltöchter Amabel und Mary. Sein zweiter Sohn Charles folgte dem Beispiel des Vaters und wurde Kronanwalt. Auch die jüngeren Brüder waren erfolgreich. Joseph machte eine Karriere als Diplomat, James wurde Bischof von Ely und John ein Anwalt und Politiker. Seine Tochter Elisabeth war mit dem Seeheld Admiral Anson verheiratet, der die Welt umsegelte und dabei ein Vermögen ansammelte und das Nesthäkchen der Familie Margaret heiratete den wohlhabenden Gilbert Heathcote. Und er war stolz auf Wimpole Hall und was er daraus gemacht hatte. Er schrieb seinem Sohn Philip 1757 „Ich habe es für dich gemacht und ich hoffe, es dir zu deiner Freunde zu hinterlassen.“ Philip Yorke starb am 6. März 1764.

Wimpole Hall - Kitchen Garden

Sein Sohn Philip, der 2. Earl of Hardwicke, änderte wenig im und am Haus. Doch er sammelte Bücher und die Regale in der Bibliothek füllten sich wieder. Er und seine Frau Jemima hatten in Wrest Park, den Schloss der Großeltern seiner Frau, Lancelot „Capability“ Brown kennengelernt, den aufgehenden Star der Landschaftsarchitekten, und beauftragten ihn den Park zu gestalten. Brown verdankt seinen Spitznamen „Capability“ seiner Fähigkeit, die Möglichkeiten (eng. „capabilities“) zur Umgestaltung vorhandener alter Gartenanlagen in einen neuen von ihm vertretenen Stil zu entdecken. Jemima Yorke berichtete begeistert von einem Rundgang mit ihm durch den Park von Wimpole: „Herr Brown hat mich in einen solchen Märchen Kreis geführt und sein Zauberstab hat solche Landschaften vor den Augen entstehen lassen – nicht visionär, denn sie waren ja alle da, aber seine Berührung holte sie mit der gleichen Wirkung hervor wie der Stift eines Malers auf einer Leinwand – das ganze nachdem ich auf unebenem Untergrund zwei Stunden lang gehumpelt war zu Punkten, die ich nie zuvor gesehen hatte, ich kehre halb müde und halb fußlahm zurück …“

Wimpole Hall Landschaftspark

Uns ging es mittlerweile wie Jemima Yorke, wir waren ein bisschen müde und die Füße begannen weh zu tun. Es war langsam Zeit für eine Ruhepause, bevor unsere Füße nicht nur halb sondern ganz wund wurden. Und ein bisschen Hunger und Durst hatten wir auch. So konsultierten wir den Plan, den wir am Empfang bekommen hatten, und entschlossen uns im Restaurant der Home Farm etwas zu essen und uns ein bisschen auszuruhen. Was wir dort so alles gesehen haben und wie die Geschichte von Wimpole weiterging, werde ich in der Fortsetzung erzählen.

Die Informationen habe ich hier gefunden:

Über die Grauhörnchen:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,575042,00.html
http://www.stern.de/wissen/natur/grossbritannien-showdown-der-nager-568524.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Grauh%C3%B6rnchen

Zu Wimpole Hall:
in der Publikation des National Trust: „Wimpole Hall“, 1991

Wimpole – Gardening Tips, Advice and Product Reviews !


http://www.nationaltrust.org.uk/main/w-vh/w-visits/w-findaplace/w-wimpolehall.htm
http://www.jrank.org/gardening/pages/1787/Wimpole-Hall.html
http://www.parksandgardens.ac.uk/index2.php?option=com_parksandgardens&task=site&id=3529&preview=1&Itemid=
http://www.gardens-guide.com/gardenpages/_0413.htm
http://www.ngs.org.uk/gardens/gardenfinder/garden.aspx?id=8812
http://en.wikipedia.org/wiki/Wimpole_Hall

Über die Chicheleys:
http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Chicheley
http://en.wikipedia.org/wiki/Henry_Chichele
http://de.wikipedia.org/wiki/Worshipful_Company_of_Grocers
http://de.wikipedia.org/wiki/Livery_Company
http://de.wikipedia.org/wiki/Abendl%C3%A4ndisches_Schisma
http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Troyes
http://de.wikipedia.org/wiki/Langes_Parlament_(England)
http://en.wikisource.org/wiki/Savile,_George_(1633-1695)_(DNB00)
http://www.nottshistory.org.uk/white1875/rufford_p1.htm

Über die Harleys:
http://en.wikipedia.org/wiki/Edward_Harley,_2nd_Earl_of_Oxford_and_Earl_Mortimer
http://www.historylearningsite.co.uk/robert_harley.htm
http://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Harley,_1st_Earl_of_Oxford_and_Earl_Mortimer

Über die Yorkes:
http://en.wikipedia.org/wiki/Philip_Yorke,_1st_Earl_of_Hardwicke
http://en.wikipedia.org/wiki/Philip_Yorke,_2nd_Earl_of_Hardwicke

Mehr Bilder von
dem Grauhörnchen, dem Landschaftspark und den Gärten von Wimpole Hall und dem Küchengarten

Tilbury Fort – für 500 Jahre ein Wachtposten für London

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Zwischen uns und dem nächsten Ziel lag einerseits die Themse und andererseits London. Der Fluss war das kleinere der beiden Hindernisse, denn wir konnten einfach durch den Tunnel am Dartford Crossing unter ihm hindurch fahren. Die Stadt oder vielmehr der Verkehr, der sich rund um die Stadt auf der Autobahn mehr oder weniger zügig vorwärts bewegte, war da schon mehr Grund sich Sorgen zu machen. Zunächst hatten wir aber wieder Glück. Wir konnten zügig bis zur Mautstation vor dem Tunnel fahren und auch im Tunnel ging es flüssig weiter. Der Stau wartete dahinter an der Ausfahrt auf uns, wo wir eigentlich die Autobahn verlassen wollten. Da ging gar nichts vorwärts. Nachdem wir nach 20 Minuten ungefähr eineinhalb Autolängen zurückgelegt hatten, entschlossen wir uns, bis zur nächsten Ausfahrt weiterzufahren und über Landstraßen zum Themseufer zurückzukehren. Dort wollten wir ein Fort aus dem 17. Jh. besichtigen. Ein Plan der sich als gut herausstellte, denn an der nächsten Ausfahrt wollten offenbar nur wenige Autos die Autobahn verlassen und auch auf den Landstraßen gab es nur wenig Verkehr. Nur kurz vor unserem Ziel hatten wir dann ein bisschen Mühe, die Hinweisschilder zu entdecken, die uns den Weg zu unserem Ziel, dem Tilbury Fort, wiesen.

Tilbury Fort

Heinrich VIII. ließ 1539 im Rahmen seines nationalen Programms für den Bau von Befestigungsanlagen entlang der englischen Küste, bei dem auch Deal Castle errichtet wurde, die erste Festung am nördlichen Ufer der Themse in West Tilbury errichten. Es handelte sich um eine kleine Befestigungsanlage, ein sogenanntes Blockhaus, mit einem D-förmigen Grundriss, das man das „Einsiedelei-Bollwerk“ nannte, weil es auf dem Gelände einer Einsiedelei lag, die 1536 aufgelöst worden war. Dem Tilbury Blockhaus lag gegenüber auf dem südlichen Themseufer zwei ähnliche Festungen in Milton und Gravesend, so dass ein die Themse hinauflaufendes feindliches Schiff unter Kreuzfeuer genommen werden konnte. Es gab insgesamt fünf solcher Blockhäuser. Wenige Kilometer weiter flussaufwärts lagen zwei weitere, eines am südlichen Themse Ufer in East Tilbury und eines gegenüber am nördlichen Ufer in Higham. Sie bildeten zwei Verteidigungslinien, die zusammen die Aufgabe hatten, London vor Angriffen vom Meer aus zu beschützen und bewachten jeweils eine Fährpassage über die Themse. Jedes Blockhaus hatte einen gedrungenen Turm, mit dicken Mauern, die unten mit massiven Steinen errichtet worden waren, deren Brüstungen aber aus Ziegelsteinen gebaut wurden. Diese wurden bis ins 19. Jh. im Festungsbau verwendet, da Ziegelsteine im Falle eines Treffers bei den Verteidiger weniger Verletzungen verursachen. Im Gegensatz zu aus Felsen gehauen Steinen entstehen keine gefährlichen Splitter. Im Erdgeschoss dieser Türme stand eine Kanone, die durch eine Schießscharte auf den Fluss feuern konnte. Auf dessen Dach war ein zweites durch eine Brüstung geschütztes Geschütz aufgestellt. Die Garnison bestand in Friedenszeiten aus neun Männern: einen Kapitän, seinen Stellvertretern, drei einfache Soldaten und vier Kanonieren.

Tilbury Fort

Nachdem 1553 Eduard IV. gestorben war und seine katholische Schwester Maria gekrönt wurde, schien die Gefahr eines Angriffs vom Kontinent zunächst gebannt. Die Waffen wurden aus den Forts entfernt und die Soldaten zogen ab. Nur fünf Jahre später bestieg Elisabeth I. den Thron und die Forts wurden wieder gebraucht, doch sie waren in einem schlechten Zustand. West Tilbury und Gravesend wurden repariert und wieder bewaffnet, die anderen drei Blockhäuser aber wurden abgerissen. Als 1588 die spanische Armada England bedrohte, wurden unter der Leitung des italienischen Festungsingenieurs Frederico Genebelli eilig zusätzliche Befestigungswälle aufgeschüttet und Palisaden errichtet, um die kleine Festung auch gegen Angriffe vom Land aus zu schützen. Ein Wald von Schiffsmasten und ein Gewirr von Ketten und Tauen, die kreuz und quer über die Themse gespannt und auf Leichtern, die vor Gravesend am südlichen Themseufer ankerten, befestigt waren, sollten den Feind daran hindern, die Themse hinaufzusegeln.

Tilbury Fort

Während die englische Flotte unter dem Befehl des Lord High Admirals Charles Howard, 1. Earl of Nottingham, auslief und die englischen „Staatspiraten“ John Hawkins, Richard Grenville, Martin Frobisher und Sir Francis Drake mit ihren Geschwadern sich daran machten gegen die Spanischen Galeonen zu kämpfen, versammelte Elisabeth I. im August 1588 ihre behelfsmäßige Armee in West Tilbury. Es war eine Art letztes Aufgebot, die im Falle einer erfolgreichen Landung der Spanier, sich ihnen entgegen stellen sollte. Hier hielt sie ihre vielleicht berühmteste Rede. Elisabeth kam zusammen mit ihrem General-leutnant, Robert Dudley, 1. Earl von Leicester, am 8. August dort an. Sie hatte sich sorgfältig auf ihren Auftritt vor den Truppen vorbereitet. Sie ritt auf einem Schimmel, trug ein Kleid aus weißem Samt, einen silbernen Brustharnisch und hielt einen silbernen, goldgefassten Feldherrenstab in der rechten Hand. Eine jungfräuliche Kriegerkönigin, die ihren Soldaten beistehen wollte. Ihre Rede ist ein rhetorisches Meisterwerk, sie sprach ihren Zuhörern Mut zu und erschuf gleichzeitig ein Bild ihrer Beziehung zu England, das ihr auch half, sich gegen ihre Widersachern im eigenen Land, die ihre Rechtmäßigkeit als Königin Englands anzweifelten, zu behaupten.

Elisabeth I. von England, das Armada Portrait, Woburn Abbey, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Elizabeth_I_(Armada_Portrait).jpg

„Ich versichere euch aber, dass ich mein Leben nicht in Misstrauen gegen mein treu ergebenes Volk hinbringen will. Mag ein Tyrann sich fürchten. Ich habe mich immer so verhalten, dass ich nach Gott meine Hauptkräfte und meinen Schutz in die treuen Herzen und den guten Willen meiner Untertanen gelegt habe. Daher bin ich jetzt, wie ihr seht, nicht zu meinem Vergnügen, zu meiner Zerstreuung zu euch gekommen, sondern mit dem Entschluss, inmitten des Schlachtgetümmels unter euch zu leben oder zu sterben. Meine Ehre und mein Blut für meinen Gott, mein Königreich und mein Volk zu geben, und sei es im Staub.“

Denen die einer Frau nicht zutrauen, die Aufgabe eines Souveräns zu bewältigen, erwidert sie:
„Ich weiß, dass ich zwar den Leib eines schwachen kraftlosen Weibes, dafür aber Herz und Mark eines Königs, noch dazu eines Königs von England habe, und ich kann nur darüber lachen, dass Parma oder Spanien oder irgend ein Herrscher Europas es wagt, die Grenzen meines Reiches überschreiten zu wollen. Deshalb will ich lieber selber zu den Waffen greifen, als dass durch mich Unehre über mein Land komme. So will ich denn euer General, euer Richter und der Lohner jeder einzelnen Tapferkeit auf dem Schlachtfeld sein.“

Tilbury Fort

Als sie diese Rede hielt, war die Armada bereits geschlagen, aber das wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Wenige Tage später konnte Elisabeth das Lager verlassen, ohne dass es zu Kampfhandlungen gekommen war. Die Gefahr einer Invasion war gebannt und die Königin konnte im Triumphzug in London einziehen. Nicht nur der äußere Feind war geschlagen, auch im Innern hatte sie ihre Position gefestigt.

Tilbury Fort

In den folgenden Jahren wurden die Befestigungsanlagen nur wenig beachtet. Bis 1660 hatte England kein stehendes Heer. Die Garnisonen in den Forts wurden von Männern aus mittleren Rängen kommandiert, die hofften dadurch einen gesellschaftlichen Aufstieg zu erreichen. Sie mussten eine Petition bei der Regierung einreichen, wenn sie Geld für den Sold der Soldaten oder notwendige Reparaturen benötigten. So war das Fort in Tilbury bald in einem sehr schlechten Zustand. Der Kommandant John Talbot beschwerte sich 1636 darüber, dass die äußeren Verteidigungswälle bei Flut unter Wasser standen und Tiere und Fährpassagiere regelmäßig in das Fort eindrangen. Im englischen Bürgerkrieg Mitte des 17. Jh. wurde das Blockhaus von der Miliz der Stadt London kontrolliert. 1649 wurde es zu einem Kontrollpunkt für Schiffe, hier mussten sie die Namen ihrer Besatzung registrieren lassen und ihre Loyalität zum Parlament beschwören. Doch seine Garnison, die nun aus einem Gouverneur, zwei Offizieren, vier Unteroffizieren, einem Trommler, einem Geschützführer, 16 Kanonieren und 44 Soldaten bestand, musste nie kämpfen.

Tilbury Fort

Von dem Blockhaus aus der Tudorzeit ist heute fast nichts mehr übriggeblieben. Mit dem Bau des heutigen Forts wurde 1670 in der Zeit Karl II. begonnen. Wir stellten unser Auto auf dem Parkplatz am Ufer der Themse ab, neben dem beeindruckenden Eingangstor, dem Watergate, das 1682 fertig gestellt wurde. Es bildete den Hauptzugang zu der Festung und ist deshalb besonders prächtig geschmückt, um jeden Besucher zu beeindrucken. Ein zweiter Zugang lag an der Landseite des Forts. Als erstes gelangten wir ins Wachhaus, wo sich heute der Museumsladen befindet und man die die Eintrittskarten kaufen kann. Wir erhielten einen Audioguide, der im Eintrittspreis von £4.20 enthalten ist. Das Tilbury Fort gehört zu den über 400 Sehenswürdigkeiten des English Heritage, eine britische Behörde, die sich um die Erhaltung und Pflege von archäologisch und historisch bedeutsamen Stätten in Großbritannien kümmert. Auch hier kann man eine Jahresmitgliedschaft erwerben. Für £77 können zwei Erwachsene und bis zu sechs Kinder dann kostenlos ein Jahr lang alle Sehenswürdigkeiten des English Heritage besuchen. Da wir aber die meisten von ihnen schon auf früheren Reisen durch Großbritannien besucht hatten, verzichteten wir dieses Jahr darauf Mitglied zu werden.

Tilbury Fort

Die Gebäude im Innern des Forts gruppieren sich um den Parade Platz, den wir betraten, als wir das Eingangsgebäude verließen. Ein Teil der Kasernen wurde in der Mitte des 20. Jh. abgerissen, aber es ist noch genug stehen geblieben, um einen Eindruck davon zu ermitteln, wie es hier früher ausgesehen hat. Wir hörten der Einführung unseres Audioführers in die Geschichte der Festung zu, dabei entstand einige Verwirrung, wohin wir uns als nächstes wenden sollten, da die Besichtigungsreihenfolge des Audioguides nicht mit der Nummerierung auf dem Plan auf den aufgestellten Informationstafeln übereinstimmte. So dauerte es zu Beginn ein bisschen, bis wir die richtige Stelle gefunden hatten, über die uns gerade die Stimme, die aus den Kopfhörern kam, etwas berichtete. Vieles wurde aus der Sicht von Soldaten geschildert, die im Laufe der Zeit im Tilbury Fort stationiert waren. Eigentlich ganz spannend und interessant, wenn da nicht das Problem gewesen wäre, alles auch richtig den realen Gebäuden zuzuordnen.

Karl II. von England bei seiner Krönung von Wright, Royal Collection, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Charles_II_of_England_in_Coronation_robes.jpg

Nachdem Karl II. an seinem 30. Geburtstag am 23. Mai 1660 als der neue König in einer umjubelten Prozession in London eingezogen war, war eine seiner ersten Maßnahmen die Aufstellung eines kleinen stehenden Heeres. Feste Garnisonen zogen in die Festungen an wichtigen strategischen Orten ein und er beauftragte den Festungsbaumeister Sir Bertram de Gomme, die Küstenbefestigungen zu besuchen, ihren Zustand zu beurteilen und Modernisierungsmaßnahmen vorzuschlagen.

Tilbury Fort

De Gomme wurde 1620 in Terneuzen in den Niederlanden geboren und diente schon Karl I. als Ingenieur und General-Quartiermeister. Nach der Niederlage der Royalisten in England kehrte er auf den Kontinent zurück und arbeitete als ziviler Ingenieur in den Niederlanden, bis Karl II. 1660 den englischen Thron bestieg. Karl ernannte ihn zu seinem General-Festungsbaumeister, Surveyor-General of Fortifications. In diesem Amt diente de Gomme bis zu seinem Tod 1685. In dieser Zeit entwarf und leitete er den Bau vieler Festungen in Großbritannien, die unter anderem der Sicherung der Ankerplätze in Portsmouth und Plymouth, an der Themse und am Medway dienten. Tilbury Fort ist vielleicht sein bester Entwurf, das vollständigste Beispiel eines Artillerie Forts mit vorgelagerten Bastionen und kunstvoll ausgeführten äußeren Verteidigungsanlagen in England. Sein Design entspricht dem der Festungen und Stadtbesfestigungen, die in den Niederlanden in dieser Zeit gebaut wurden.

Schlacht im Medway, Jan van Leyden, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Medway-Sheerness1667.jpg&filetimestamp=20080312093702

1661 zeichnete de Gomme einen ersten Entwurf für ein neues Fort in Tilbury, der aber nicht verwirklicht wurde. Erst als zwei für die Briten demütigenden Ereignisse eintraten, wurde die Dringlichkeit besserer Verteidigungsanlagen an der Themse offensichtlich. Am 9. Juni 1667 drang ein Geschwader der niederländischen Flotte in die Themse Mündung ein und griff dort Befestigungen und Depots an, ohne dass sich ihnen ein nennenswerter Widerstand entgegengestellt hätte. Sie konnten bis Lower Hope vordringen, was nur wenige Meilen von Tilbury entfernt liegt. Kurz danach lief die Flotte der Holländer in den Medway ein, steckte einen Teil der englischen Flotte in Chatham in Brand und kaperte das englische Flagschiff die „Royal Charles“. Die beiden Angriffe sollten Druck auf Karl II. ausüben, einen Friedensvertrag mit den Niederlanden zu unterschreiben, um den militärischen Konflikt zwischen den beiden Ländern, der 1665 begonnen hatte, zu beenden. Erst eine weitere Drohgebärde der Niederländer, die mit ihrer Flotte noch einmal in die Themse bis Gravesend eindrangen und die Bevölkerung von London in Angst und Schrecken versetzten, überzeugte den englischen König schließlich. Am 31. Juli 1667 wurde der Friedensvertrag in Breda unterzeichnet.

Tilbury Fort

Tilbury wurde 1667 erneut vermessen und Sir Bertram de Gomme entwarf 1670 ein Fort mit einem fünfeckigen Grundriss mit fünf Bastionen, von denen aber nur vier gebaut wurde. Am Ende des Jahres 1670 begann man mit dem Bau des neuen Forts in Tilbury. Es sollte 15 lange Jahre dauern, bis es vollendet war. Bis zu 265 Arbeiter und Handwerker arbeiteten auf der Baustelle und sieben Offiziere überwachten die Arbeiten, führten Vermessungen durch, kontrollierten das Lager und bezahlten Arbeiter und Lieferanten. Nachdem man den größten Teil des alten Forts eingeebnet hatte, hoben die Arbeiter neue Gräben aus und errichteten neue Wälle. Es war eine unangenehme, dreckige Arbeit auf sumpfigen Untergrund. Alle Gebäude und Mauern, die aus Ziegelsteinen errichtet wurden, benötigten feste Fundamente, für die Tausende von Holzpfählen in die Erde getrieben werden mussten. 1680 wurde das Fort bewaffnet und als de Gomme 1685 starb, war sein Meisterwerk fast fertig gestellt. Sein Nachfolger Sir Martin Beckman führte nur einige Modifizierungen durch. So ließ er Artillerieplattformen aus Stein errichten, nachdem er bei einer Inspektion 1694 festgestellt hatte, dass die ursprünglich aus Holz errichteten bereits verrottet waren.

Um 1700 war Tilbury Fort eine der mächtigsten Festungen der britischen Insel. Zwei breite mit dem Wasser der Themse gefüllte sternförmige Gräben umgaben das eigentliche Fort, die man nur über hölzerne Zugbrücken überqueren konnte. Deren Anblick erinnert auch heute noch die Besucher daran, dass der Planer dieses Forts ein Niederländer war. Diese wurden durch zwei Redouten, vorgelagerte Befestigungen, auf dreieckigen Inseln innerhalb des Grabens geschützt. Der Landstreifen zwischen den Gräben war mit einem Erdwall gesichert, hinter dem Infanterie sich verschanzen konnte, um eine Annäherung an das Fort von der Landseite her abzuwehren. Der Schriftsteller Daniel Defoe, der zu Beginn des 18. Jh. eine Reise durch Englands Osten unternahm beschreibt 1722 Tilbury Fort: „In dem Boden dieser Sümpfe und nahe am Rande des Flusses, steht die starke Festung Tilbury, genannt Tilbury Fort, die man mit Recht als den Schlüssel der Themse und damit als den Schlüssel von London ansehen kann.„ Er berichtet, dass in Tilbury in dieser 106 Kanonen standen.

Tilbury Fort

Im 18. und frühen 19. Jh. gab es viele kriegerische Auseinandersetzungen, in die England verwickelt war. Doch sie fanden auf dem Kontinent oder in den Kolonien statt oder wurden auf der See ausgefochten. Trotzdem blieb die Angst vor Invasionen. So gab es in Tilbury bis zum Beginn des 20. Jh. eine feste Garnison. 1716 wurden an einer Ecke des Paradeplatzes zwei große Magazine errichtet, in denen große Mengen von Schießpulver gelagert wurden, das als Nachschub für die kämpfenden Truppen des wachsenden britischen Weltreiches diente. Auch der Turm des Blockhauses aus der Zeit Heinrich VIII. wurde als Pulvermagazin genutzt. Es gab eine Böttcherei, in der Pulverfässer hergestellt wurden. Die beiden Schießpulvermagazine im Norden des Parade Platzes kann man heute noch besichtigen. Sie hatten ursprünglich hohe Giebeldächer, die im 19. Jh. in flache leicht tonnenförmige Dächer umgewandelt wurden, damit sie aus der Entfernung weniger gut sichtbar waren. Eine Mauer umgibt sie von außen, die die restlichen Gebäude und die Soldaten im Fort bei einer Explosion schützen sollten. Im Innern findet man kein einziges Stück aus Eisen, die Fußbodenbretter sind mit hölzernen Stiften befestigt. Dies sollte verhindern, dass ein versehentlich entstandener Funken, das Pulver entzünden konnte. In jedem der beiden Magazine konnten 3600 Fässer gelagert werden, die jedes 45 kg Pulver enthielten. Heute befindet sich in einem der Magazine eine interessante, informative Ausstellung über die Geschichte des Forts. Zwischen den beiden Magazinen liegt der zweite Eingang zum Fort auf der Landseite.

Tilbury Fort

Hier konnten wir auf die Befestigungsmauer klettern und einen Blick auf die äußeren Befestigungsanlagen von Tilbury Fort werfen. Die Holzbrücken, die wir von oben anschauen konnten, sind exakte Nachbauten der Original Brücken. Leider war das Tor geschlossen und so konnten wir uns die Brücken nicht aus der Nähe anschauen.

Tilbury Fort Tilbury Fort

Tilbury Fort Tilbury Fort

Als Mitte des 18. Jh. die Rebellion der Jakobiten, die James Francis Edward Stewart, den Sohn des abgesetzten englischen Königs Jakob II., zur englischen und schottischen Krone verhelfen wollten, gescheitert war, wurde Tilbury Fort für kurze Zeit zum Gefängnis für einige der Jakobitischen Soldaten. Nach der Schlacht von Cullodden 1746, segelten Schiffe mit 303 schottischen Gefangenen von Inverness los in Richtung Tilbury. Die Bedingungen auf den zu kleinen Transportschiffen waren so schlecht, das nur 268 Gefangene am 11. August 1746 lebend in Essex ankamen. Sie wurden in den Pulvermagazinen eingesperrt und auch hier erging es ihnen nicht gut. Innerhalb eines Monats starben weitere 45 Männer. Die restlichen wurden im Frühjahr 1747 nach London gebracht und vor Gericht gestellt. Einige wurden hingerichtet, doch die meisten wurden nach Barbados und Antigua gebracht, wo sie als Sklaven in Zuckerplantagen arbeiten mussten. Nur wenige wurden freigelassen. Heute erinnert ein Gedenkstein in Tilbury an die Gefangenen.

Tilbury Fort

Zwischen 1680 und 1920 bestand die Garnison im Tilbury Fort aus 100 bis 300 Soldaten, meist Infanterie- oder Artilleriesoldaten, deren Alltag eine Mischung aus Routine und Langeweile war. Wiederholte Wachtdienste, Artilleriedrill und Exerzierübungen hielten die Disziplin aufrecht, die für den Einsatz im Kampf bei Rauch, Verwirrung und Ängsten notwendig war. Doch ganz so ernst wurde die Disziplin in Friedenszeiten nicht immer genommen und die Langeweile führte zu Glücksspiel, Schlägereien und Trunkenheit. So gab es harte Strafen für ungebührliches Verhalten, die Soldaten wurden ausgepeitscht oder in der Zelle des Wachhauses eingesperrt. Im 19. Jh. war Tilbury Fort fortschrittlich genug, um über eine separate Kantine, einen Sportplatz und Gemüsegärten außerhalb der Mauern des Forts zu verfügen. Aber die restliche Unterbringung der Soldaten war primitiv. Sie lebten eng zusammengequetscht in Schlafräumen, zwei Mann mussten sich ein Bett teilen. Die Körperpflege fand im Freien statt, mit kaltem Wasser aus dem Pumpen auf dem Exzerzierplatz. Die Räume in den Kasernen waren stickig, es roch nach Essen, ungewaschenen Menschen, schmutzigen Füßen, Pfeifenrauch und dem Urin Eimer, der als Nachttopf diente, und der Qualm der Kohlenöfen erfüllte die Luft. 1857 wurde eine Kommission ins Leben gerufen, die sich mit den schlechten Lebensbedingungen der Soldaten in den britischen Kasernen befasste. Nach 1880 trat eine Besserung ein, in Tilbury gab Wohnungen für Ehepaare, ordentliche, saubere Toiletten und Waschräume und Räume, die für die Freizeitgestaltung genutzt werden konnten.

Tilbury Fort

Unser Rundgang führte uns nun zur Nord-Ost Bastion, wo wir die unterirdischen Magazine besichtigen konnten, die zwischen 1868 und 1871 entstanden sind. Hier wurden die Granaten und die restliche Munition in separaten Räumen für Artilleriestellungen darüber gelagert. Die Soldaten mussten sich umziehen, bevor sie die Magazine betreten durften. Es gab spezielle Kleidung ohne Ösen oder Knöpfe aus Metall und Schuhe ohne Nägel oder ähnliches, um jegliches Risiko einer Explosion zu vermeiden. Die Lampen, die die Räume, in die kein Tageslicht fiel, erhellten, waren in einer Vertiefung in der Mauer untergebracht, die mit einer Glasscheibe geschützt waren.

Tilbury Fort

Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Waffentechnik immer weiter und obwohl um 1860 neue moderne Forts flussabwärts gebaut wurden, wurde auch Tilbury Fort weiterhin genutzt und so wurden auch hier die Waffen modernisiert. Die modernsten Waffen, die wir auf unserem Rundgang sehen konnten, wurden zu Beginn des 20. Jh. entlang der Flussseite im Südosten des Forts aufgestellt, Schnellfeuerkanonen, die Torpedoboote abwehren sollten. Auch hier gab es unterirdische Munitionsmagazine. Der Turm aus der Zeit Heinrich VIII, der sich einst hier befand, wurde bereits um 1867 abgerissen.

Tilbury Fort

Ein einziges Mal in seiner langen Geschichte konnte man in Tilbury einen militärischen Erfolg verbuchen, als es während des I. Weltkrieges gelang mit einer der ersten Luftabwehrwaffen, einer „Screaming Lizzie“, einen deutschen Zeppelin abzuschießen. Meist wurde das Fort nur genutzt, um Soldaten für kurze Zeit unterzubringen, die sich auf ihren Kriegseinsatz auf dem Kontinent vorbereiteten. 1914 mussten hier über 300 Soldaten auf sehr engem Raum einige Zeit verbringen. Einige mussten in den Magazinen schlafen, was aber immer noch besser war, als wie viele andere in der Nachbarschaft des Forts die Nacht in Zelten zu verbringen.

Tilbury Fort

Während des II. Weltkrieges wurde in der Kapelle und im Wachhaus des Forts bis 1940 ein Kontrollzentrum untergebracht, dass die Koordination der Luftabwehrstellungen entlang der Themse gegen die Angriffe der deutschen Luftwaffe übernahm. Danach spielte das Fort keine militärische Rolle mehr. Durch Bombenangriffe wurden die Kaserne der Soldaten aus dem 18. Jh. zerstört. 1950 übergab das Militär die Gebäude dem Ministerium für öffentliche Gebäude und Arbeit. In den 1970er Jahren wurde es restauriert, die Gräben wiederhergestellt und die Repliken der Holzbrücken gebaut. Seit 1982 kann es von zahlenden Besuchern besichtigt werden.

Tilbury Fort

Bevor wir zurück zu unserem Auto gingen schauten wir uns noch die ehemaligen Offizierswohnungen an. Sie sind im Laufe der Zeit mehrfach geändert worden. Heute sehen sie in etwa so wie Ende des 18. Jh. Im Innern waren sie ursprünglich in abgeschlossene Apartments eingeteilt. Ein Fähnrich konnte mit mindestens zwei Räumen rechnen, Offiziere in höheren Rängen hatten entsprechend mehr Räume. 1849 lebten hier sieben Offiziere und die Gebäude beherbergten zusätzlich eine Messe und Küchenräume. 14 Räume wurden für die Lagerver-waltung genutzt, zwei dienten als Büros und acht Räume standen dem kommandierenden Offizier zur Verfügung. In einer ehemaligen Offizierswohnung konnten wir eine Ausstellung mit Erinnerungsstücken aus der militärischen Geschichte des Forts und seiner Soldaten anschauen.

Tilbury Fort

Heute liegt das Fort nicht weit entfernt von den Tilbury Docks, in Sichtweite von Gewerbegebieten und Kraftwerken, aber immer noch umgeben von grünen Weiden, auf denen Pferde grasten. Roter Mohn blühte auf den mit Gras bewachsenen Wällen. Ein idyllischer Ort in mitten einer geschäftigen Umgebung. Man kann von seinen Wällen den Schiffen auf der Themse zuschauen und an die kriegerischen Zeiten denken, denen das Fort seine Geschichte verdankt. Trotz diesen ist hier meistens ein sehr friedlicher Ort gewesen.

Tilbury Fort

Es wurde für uns Zeit weiterzufahren, denn wir wollten an diesem Tag noch bis Cambridge kommen. Während wir weiter nach Norden rollten, zog sich der Himmel zu und, als wir in Cambridge auf dem Campingplatz des Camping and Caravanning Clubs standen, war der Himmel bedrohlich dunkel geworden. Während die tief stehende Sonne für eine dramatische Beleuchtung sorgte, kümmerte sich mein Mann, um unser Abendessen. Es war noch genug von den indischem Curry vom Vortag übrig und so konnten wir bald gesättigt die je nach Lichtverhältnissen wechselnde Szenerie bewundern, die die Bäume rund um den Campingplatz boten. Es gab eine heftige Regenschauer und dann verzogen sich die Wolken langsam wieder. Bevor es dunkel wurde, sah es ganz so aus, als ob es am nächsten Tag wieder schönes Urlaubswetter geben würde. Wir hatten also allen Grund uns auf unseren nächsten Urlaubstag zu freuen.

Am Abend bei Cambridge

Die Informationen habe ich hier gefunden:

In der Publikation: Tilbury Fort, von English Heritage, London 2004

http://www.english-heritage.org.uk/daysout/properties/tilbury-fort/
http://en.wikipedia.org/wiki/Tilbury_Fort
http://tudorhistory.org/primary/tilbury.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Tilbury-Rede
http://www.historyhouse.co.uk/articles/defoe.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Englisch-Niederl%C3%A4ndischer_Krieg_(1665%E2%80%931667)
http://www.fortified-places.com/tilbury.html
http://en.wikipedia.org/wiki/Bernard_de_Gomme

Mehr Bilder vom Tilbury Fort:
http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/72157625247647271/show/

Ightham Mote – 650 Jahre Geschichte und Geschichten

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Auch der zweite Urlaubsmorgen begann mit Sonnenschein, obwohl Regen vorhergesagt worden war. Wir waren zwar nicht so ganz sicher, ob wir dieses Wetter wirklich verdient hatten, aber wir freuten uns sehr darüber und rollten nach einem Frühstück mit Spiegelei und Kaffee – schließlich waren wir ja in Großbritannien – unternehmungslustig los Richtung Norden. Auf dem Weg zum ersten Tagesziel warnte uns eine Tafel vor einem Stau auf der Slip Road, die uns von der einen Autobahn auf die andere bringen sollte, aber auch diese Vorhersage stellte sich als falsch heraus. Wir kamen ohne störende Zwangspausen an unserem ersten Tagesziel an. An diesem Montag schienen wir wirklich Glück zu haben.

Ightham Mote

Wir waren ein bisschen zu früh, denn das von einem Wassergraben umgebene Herrenhaus Ightham Mote mit seinen Gärten hatte erst ab 10:30 geöffnet. So stellten wir unser Auto auf dem besonders schönen Parkplatz – umgeben von einer Backsteinmauer im ehemaligen Küchengarten – unter einem Baum und vertieften uns noch ein bisschen in unsere Urlaubslektüre. Ightham Mote gehört dem National Trust, einer gemeinnützigen Organisation, der in England, Wales und Nordirland 200 historische Gebäude und Gärten, 47 industrielle Bauwerke und Mühlen, 49 Kirchen und Kapellen, einige Pubs,19 Schlösser, 2.480 km² Land und annähernd 960 Kilometer Küstenlinie gehören. Damit ist er einer der größten Landbesitzer des Vereinigten Königreiches. Jeder kann Mitglied werden und als Mitglied kann man die Sehenswürdigkeiten, die dem Trust gehören, kostenlos besuchen. Der Jahresbeitrag kostet 2010 für zwei Personen, die in einem Haushalt leben, £79.50. Und da die Eintrittspreise in England recht hoch sind, lohnt sich die Mitgliedschaft bei einer dreiwöchigen Rundreise durch England und Schottland in jedem Fall, denn man kann als Mitglied des National Trusts auch die Häuser und Gärten der Partner Organisation National Trust of Scotland kostenlos besichtigen. Wir sind in jedem Urlaub, den wir in Großbritannien verbracht haben Mitglied geworden, und so war uns die Prozedur vertraut, die wir erledigten, als die Tür des Eingangsgebäudes von Ightham Mote endlich geöffnet hatte. Danach stand einer Besichtigung des mittelalterlichen Hauses und der Gärten nichts mehr im Wege.

Ightham Mote

Haus, Gärten und Park liegen in einem Tal des Greensand Ridge, umgeben von einem dichten Kranz hoher Bäume. Der Parkplatz liegt oben auf einem Bergrücken und so brachte uns ein steiler Pfad abwärts und nun erst konnten wir einen Blick auf die Fachwerkbauten werfen, die zwischen den Bäumen auftauchten, wie für die Besucher effektvoll in Szene gesetzt. Ightham Mote ist eines der ältesten und am besten erhaltenen mittelalterlichen Herrenhäuser in England. Seit über 650 Jahren trotzt es Unwettern, Kriegen und Aufständen. Dabei haben ihm seine abgeschiedene Lage und die bescheidenen Ambitionen seiner zahlreichen Besitzer geholfen, die Jahrhunderte zumindest äußerlich unbeschadet und scheinbar unverändert zu überstehen. Die wechselnden Hausherren haben ihren Bedürfnissen entsprechend neue Teile hinzugefügt und alte umgebaut, dabei blieb aber der ursprüngliche Charakter des Anwesens erhalten. Sie machten das Haus innen komfortabel, achteten aber darauf, dass es von außen weiterhin, wie ein Haus aus dem Mittelalter wirkte.

Ightham Mote

Die ersten Gebäude wurden um 1320 errichtet, sie standen im Westen des nahezu quadratischen Grundstücks, das von Beginn an, von einem Wassergraben umgeben war. Vermutlich lagen hier auch die Unterkünfte für die Maurer und Zimmerleute, die an der östlichen Seite des Quadrats das herrschaftliche Gutshaus mit einer zentralen großen Halle errichteten, deren Entstehung auf das Jahr 1330 datiert wird. Im Westen lag auch der Zugang zu der Anlage, eine Brücke führte zu einem Torhaus, durch das die Besucher schritten, bevor sie dem Edelmann von Ightham Mote ihre Aufwartung machten. Man kennt den Namen des Bauherrn nicht, aber es muss ein wohlhabender Mann gewesen sein. Einer der ersten Besitzer war Sir Thomas Crane, der von 1360 bis 1374 hier lebte. Sein Grab kann man in der Kirche des im Norden liegenden Dorfes Ightham besuchen. Es wird von der lebensgroßen Statue eines Ritters in einer Rüstung geschmückt. In einer solchen könnte Sir Thomas am 26. August 1346 zusammen mit dem schwarzen Prinzen in Crécy gekämpft haben, wo den Engländern ein vernichtender Sieg über die Franzosen glückte.

Bild: John Gilbert (1817–97), Heinrich V. in der Schlacht von Azincourt http://en.wikipedia.org/wiki/File:King_Henry_V_at_the_Battle_of_Agincourt,_1415.png

Im 15. Jh. war das Quadrat bereits wie heute rundherum mit Gebäuden bebaut, die einen großen offenen Hof umgaben. Nun gab es zwei Brücken über den Graben, eine im Süden, eine im Westen. 1399 war das Anwesen in den Besitz von Sir Nicholas Haute gelangt. Er besaß noch andere Güter in Herfordshire und Cambridgeshire, die ihm wohl besser gefielen als Ightham, weil von ihm keine Spuren einer Bautätigkeit übrig geblieben sind. 1415 hob er in Kent eine Kompanie Bogenschützen für Heinrich V. aus, die für dessen Invasion in Frankreich bestimmt waren, an der er vermutlich teilnahm. Sir Nicholas starb kurz darauf, vielleicht während der Schlacht von Azincourt im Oktober 1415.

Elizabeth Woodville (1437–92) , http://en.wikipedia.org/wiki/File:ElizabethWoodville.JPG

Sein Sohn William, der auch in Frankreich kämpfte, erbte Ightham. Er heiratete 1429 in Calais Joan Woodville, die Tante Elizabeth Woodvilles, die später die Frau Edward IV. werden sollte. Dadurch stieg das Ansehen der Familie beachtlich. Doch die Nähe zum Könighaus brachte es auch mit sich, dass William und seine Nachkommen auf verschiedenen Seiten in die Kämpfe der Rosenkriege verwickelt waren. William unterstützte 1450 die Rebellion des Jack Cade, dem sich viele Bauern und Handwerker angeschlossen hatten, aber auch einige Soldaten und Seeleute, die nach dem Ende des Hundertjährigen Krieges eine neue Aufgabe suchten. Auch einige Grundbesitzer gehörten zu der Rebellenarmee, die nach London marschierte mit dem Ziel den in ihren Augen unfähigen König Heinrich VI. zu stürzen. William Haute hatte Glück, dass sein Cousin, Lord Rivers, der die Rebellion niederschlug, sich für ihn einsetzte, und er so beim König nicht in Ungnade fiel.

Ightham Mote

Sein Sohn Richard Haute, kämpfte im Oktober 1483 an der Seite seiner Cousins aus der Familie Woodville gegen Richard III. Nach dem überraschenden Tod seines Bruders Eduard IV. am 9. April 1483, hatte Richard die günstige Gelegenheit genutzt, die beiden Söhne Eduards, den erst zwölf Jahre alten Thronfolger Eduard V, und seinen Bruder Richard, der neun Jahre alt war, in den Tower gebracht und sich selbst durch das Parlament zum rechtmäßigen König erklären lassen. Die beiden Kinder verschwanden im Laufe des Spätsommers, vermutlich wurden sie ermordet. Was genau geschehen ist und wer den Befehl dazu gab, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Richard III. ließ die Verwandten Elizabeth Woodvilles aus den Hofämtern entfernen. Und diejenigen, die sich zusammen mit ihnen gegen ihn wehrten, bekamen den Zorn des neuen Königs zu spüren. Richard Hautes Besitz wurde konfisziert, als die Rebellion seiner Cousins scheiterte. Er erhielt seinen Besitz aber im März 1485 wieder vom König zurück.

Ightham Mote

Richard Haute und sein Sohn Edward ließen die Gebäude im Nord- und Südflügel, die die letzten Lücken rund um den Hof schlossen, und die Häuser im Westen außerhalb des Wassergrabens errichten und modernisierten die Küche und die angrenzenden Räume im Süden der Halle. Das Anwesen hatte nun eine beachtliche Größe erreicht. Das Haus hatte um die 70 Zimmer, bot einigen Komfort, zum Beispiel große Schlafzimmer im Turm und verfügte über fünf Treppen, die die zwei – teilweise sogar drei – Stockwerke miteinander verbanden. Ob Edwards aufwändige Baumaßnahmen daran schuld waren oder der Ärger, den sein Vater in der Vergangenheit bei der Krone verursacht hatte, 1518 geriet er in finanzielle Schwierigkeiten. Er musste das Gut verpfänden und ein Jahr später verkaufen.

Ightham Mote

Im 16. Jh. wurden weiter Gebäudeteile hinzugefügt, die Große Halle erhielt hohe Fenster und im Westflügel wurde über dem Hauptzugang der Anlage ein Turm errichtet, der der Schokoladenseite des Anwesens ein repräsentatives Aussehen verlieh. Damals gehörte das Haus den Clements. Sir Richard Clement wurde 1478 als jüngerer Sohn einer Landadelsfamilie aus Sussex geboren. Da er keinen eigenen Landbesitz hatte, trat er in die Dienste König Heinrich VII. und wurde ein Page im Schlafzimmer des Königs. Als Heinrich VIII. seinen Vater beerbte, gelang es Sir Richard einen unbedeutenden Posten am Hof zu erlangen. Schließlich heiratete er eine reiche Witwe, mit deren Geld er Ightham Mote kaufte. Seine Verbundenheit mit dem König drückte er dadurch aus, dass er Fenster und Holzvertäfelung in Haus, mit den Wappen Heinrich VIII. und seiner einer ersten Frau Katharina von Aragon schmücken ließ. Als Sir Richard Clement 1538 starb und in der Dorfkirche Ighthams beerdigt wurde, war diese Königin bereits Geschichte und ihre beiden Nachfolgerinnen auch und der englische König, war auf der Suche nach seiner vierten Frau.

Ightham Mote

In den folgenden Jahrhunderten wurden die Gebäude nur noch modifiziert und letzte Baulücken geschlossen. 1592 kaufte Sir William Selby I Ightham Mote für £ 4.000. Fast 300 Jahre sollten nun die Selbys hier leben. Im 17. Jh. ersetzten sie Fachwerk durch Stein im ersten Stock des Westflügels, bauten eine neue Treppe, die die Halle mit den Räumen im ersten Stock verband, fügten ein oder zwei Räume zu diesem Gebäudeteil hinzu und ließen einen Kamin im Stil Jakob I. im Salon einbauen. Es gab neue Fenster und für die Küche neue Kamine. Man weiß nur wenig davon, wie ihr Leben in Ightham in dieser Zeit ausgesehen hat. Nichts wird berichtet von den Menschen, die in den Mauern des Herrenhauses geboren wurden, die hier gestorben sind. Keine Briefe oder Tagebücher erzählen vom Liebesglück und –kummer, Glücks- oder Unfällen, Auslandsreisen oder Besuchern und von dem Alltag der Menschen. Dabei waren die Selbys keine unbedeutenden Leute. Sir William Selby hatte als er 1612 als Junggeselle starb eine lange militärische Karriere hinter sich gebracht, die begonnen hatte, als er mit 13 Jahren an den Kriegen Heinrich VIII. gegen die Schotten teilnahm.

Ightham Mote

Sein Erbe war sein Neffe, der auch William hieß. Dessen größte Stunde kam, als er 1602 Jakob IV. von Schottland die Schlüssel von Berwick-upon-Tweed überreichen konnte, als dieser auf dem Weg nach London war, um als Jakob I. auch englischer König zu werden. 1604 heiratete Sir William Dorothy Bonham, die als er 1638 mit 88 Jahren starb, Ightham Mote erbte. Sie überlebte ihn um drei Jahre. Ihre Grabfigur in der Kirche von Ightham zeigt sie als Witwe und da sie berühmt war für ihre mit bunter Wolle und Seide gestickten Tapisserien, schmücken einige Reproduktionen ihrer Werke den farbigen Putz hinter ihrem Grabmal. Eines davon zeigt ihre Version des Gunpowder Plots und vielleicht hat dieses Bild zu der Legende geführt, die sie zu einer der Protagonisten in der Aufdeckung dieser Verschwörung machte.

Bild: Crispijn van de Passe the Elder, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Gunpowder_Plot_conspirators.jpg

1605 plante Robert Catesby zusammen mit dem Sprengstoffexperten Guy Fawkes und einigen anderen katholischen Mitverschwörern den protestantischen König von England Jakob I., seine Familie, die Regierung und alle Parlamentarier bei der Parlamentseröffnung am 5. November in die Luft zu sprengen. Rund 2,5 Tonnen Schießpulver wurden dazu in den Kellern des Parlamentsgebäudes deponiert. Ziel der Verschwörer war es Jakobs katholische Tochter Elisabeth von Böhmen zur Königin krönen zu lassen. Der katholische Lord Monteagle, ein Cousin von Dorothy Selby, erhielt am 26. Oktober 1605 einen geheimnisvollen Brief von einem anonymen Verfasser, der ihm empfahl, wenn er sein Leben retten wolle, unter einem Vorwand nicht an der Parlamentseröffnung teilzunehmen, da das Haus „einen schrecklichen Schlag erhalten“ werde. Monteagle zeigte den Brief Robert Cecil, dem Earl of Salisbury, einem Mitglied der Regierung. Als Folge wurden Guy Fawkes und das Schießpulver am Morgen des 5. November entdeckt. Unter Folter gestand er seine Verbrechen und nannte die Namen seiner Mitverschwörer, die sofort verhaftet wurden. Der Attentatsversuch war gescheitert. Bis heute feiert man in Großbritannien die Verhinderung des Attentats mit einem Straßenumzug in der Guy Fawkes Night am 5. November, bei dem eine Guy-Fawkes-Puppe verbrannt wird und Feuerwerke entzündet werden. Sie wird auch Bonfire Night oder Fireworks Night genannt.

Ightham Mote

Eine Legende erzählt nun, dass Dorothy Selby, selbst auch eine strenge Katholikin, den Brief, der zum Scheitern des Komplotts geführt hat, geschrieben habe. Die Verschwörer hätten sie später für ihren Verrat bestraft. Sie hätten sie in einem kleinen Raum im Turm von Ightham Mote bei lebendigem Leib eingemauert. 1872 sollen Arbeiter, als sie bei Reparaturarbeiten im Haus eine Wandvertäfelung entfernten, diesen Raum gefunden haben und in ihm das Skelett einer Frau auf einem Stuhl. Obwohl man bis heute den Absender des Briefes nicht kennt, ist man sich sicher, dass nicht Dorothy Selby ihn geschrieben hat. Und auch die Geschichte von ihrem Tod stimmt nicht. Sie starb 1641, 36 Jahre nach der Verschwörung, an einer Infektion, die sie sich durch einen Stich mit einer verunreinigten Sticknadel zugezogen hatte.

Ightham Mote

Nach Dorothys Tod erbte ein Neffe ihres Mannes Ightham Mote und nach ihm folgten mehrere Generation der Familie, die Besitzer hießen oft John oder William und sorgten mit kleinen Umbaumaßnahmen dafür, dass es im Innern des Hauses immer wohnlicher wurde. Der Salon erhielt ein Venezianisches Fenster, das für mehr Licht sorgte. Die letzte in der Reihe der Selbys, der Ightham Mote gehörte, war von 1867- 1889 die Tochter von Prideaux John Selby, Marianne.

Ightham Mote

Das Haus steckte in einer Art Dornröschenschlaf, aus dem es aufgeweckt wurde, als es von 1887 bis 1990 an den Amerikanischen General William Jackson Palmer vermietet wurde. Er hatte im amerikanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Union gekämpft und war im Zivilleben ein Ingenieur und Industrieller, der einen bedeutenden Anteil am Ausbau des Eisenbahnnetzes in den Vereinigten Staaten hatte. Er hatte 1871 Colorado Springs gegründet, einer der beliebtesten Ferienorte in den Rocky Mountains. Der lebenslustige Mann und seine Frau Queenie luden ihre zahlreichen Freunde und Bekannten nach Ightham ein, zu denen die Maler Edward Burne-Jones und John Singer Sargent und der Schriftsteller Henry James gehörten. Er schreibt über das Haus: „Der flinke, blaue Wassergraben fließt um es herum, sein Hof ist ein unberührtes Stück aus dem 14. Jahrhundert und sein alter Garten und die Parkanlagen müssen im Sommer entzückend sein. Ich schlief in einem Zimmer mit einem Geist und einem Kerker, aber glücklicherweise blieb der erstere in letzterem.“

Ightham Mote

Nach dem Tod der letzten Selby Erbin wurde das Haus 1889 von Sir Thomas Colyer-Ferguson erworben. Er war ein Nachkomme des Leibarztes von Queen Viktoria, ein wohlhabender Mann, dem neben Ightham Mote noch mehrere andere Häuser gehörten, die er alle im Laufe eines Jahres für einige Zeit bewohnte. Als er älter wurde, verbrachte er aber die meiste Zeit des Jahres in Ightham Mote. Er ließ notwendige Reparaturen durchführen und trug dadurch einen großen Anteil dazu bei, dass es das Haus heute noch gibt. Er verwandelte eine alte Rumpelkammer in ein Billardzimmer, modernisierte die Küche, ließ Badezimmer einrichten und eine erste Zentralheizung. Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Gebäude mit einer Wasserver- und entsorgung versehen und ein Generator sorgte für elektrischen Strom. Es gab zwölf Angestellte im Haus, die für das Wohl der großen Familie sorgten, und acht Gärtner pflegten den Park und die Gärten. Der Hausherr legte großen Wert auf ein stilvolles Leben. Sein Abendessen nahm er im Speisezimmer an einem festlich gedeckten Tisch ein und trug dabei abwechselnd eine Smoking Jacke in Blau oder Braun.

Ightham Mote

Er starb 1951 und sein Sohn Max, der den Besitz erbte, fand sich in einer schwierigen Situation. Er hatte ein Haus geerbt, dessen Instandsetzung und Unterhalt ihn ein Vermögen gekostet hätten, das er nicht hatte. Ihm blieb keine Wahl, er musste das Haus mit allem was darin war verkaufen. Eine Sache, die sich als gar nicht so leicht herausstellte. Zwei Bauernhöfe, die zu dem Gut gehörten und ein Großteil der Innenausstattung fanden schnell Käufer, aber niemand wollte das Haus selbst kaufen, mit seinen 15 Schlafzimmern, drei Bädern und der alten Halle. Man machte den Vorschlag es in Wohnungen aufzuteilen oder abzureißen. Doch James wollte dies nicht tun. Er liebte das Haus, kannte seinen historischen Wert und wollte es der Nachwelt erhalten. Einige Privatleute aus der Umgebung kamen ihm zur Hilfe. Sie zahlten £5.500, damit es nicht abgerissen wurde. Doch sie hatten keine Ahnung, was nun mit Ightham Mote geschehen sollte, und ob sie ihr Geld jemals zurück bekommen würden.

Ightham Mote

Zwei Jahre stand das Haus leer, als in den USA Charles Henry Robinson zufällig eine der Anzeige einer alten Ausgabe von Country Life las, in der es zum Verkauf angeboten wurde. Er kannte das Haus, denn er hatte es als junger Mann entdeckt, als eine Fahrradtour durch Südengland unternommen hatte. Er wusste sofort, als er es erblickte: Dies war sein Traumhaus. Doch seitdem waren Jahrzehnte vergangen. Er reiste sofort nach England, schaute sich das Haus an und war eigentlich bereit es zu erwerben. Doch auf dem Heimweg an Bord der Queen Mary kamen ihm die ersten Zweifel, war es nicht eine ziemlich extravagante Idee, ein mittelalterliches Haus in England zu kaufen. Er schrieb einen Brief nach England, in dem er den Kauf absagte, schickte ihn aber nicht ab. Zurück in Amerika überzeugte ihn schließlich sein Bruder, seinen Jugendtraum zu erfüllen und Ightham Mote zu erwerben. Nachdem es ihm gehörte ließ er viele notwendigen Reparaturen durchführen, füllte es mit Möbeln aus dem 17. Jh., die er jahrelang gesammelt hatte. Er lebte hier 14 Wochen im Jahr und seine Neffen kommen immer noch jedes Jahr nach Ightham Mote, um einige Zeit in einem der Cottages in ehemaligen Stalltrakt zu wohnen. 1965 gab er bekannt, dass er es – da er Junggeselle war – dem National Trust vererben wollte, mit allem was im Haus war. Charles Henry Robinson starb 1985 im Alter von 93 Jahren. Zusätzlich erhielt der National Trust bei seinem Tod £68.000, die für den Erhalt des Hauses verwendet werden sollten. Die Urne mit Asche Charles Henry Robinsons ist in der Mauer der Crypta des Hauses eingemauert worden und eine Plakette erinnert heute an den Mann, der sich seinen Traum erfüllte und den Menschen – nicht nur in England – ein einzigartiges Haus erhalten hat.

Ightham Mote

Als erstes sahen wir die Ostfront Ightham Motes und die gegenüber außerhalb des vom Wassergraben umgebenen Vierecks liegende viktorianische Remise mit den Ställen, in denen heute der National Trust Laden und die Waschräume untergebracht sind. Hier liegen die ältesten Gebäudeteile, aber gleichzeitig bietet sich hier auch die uneinheitlichste Ansicht des Hauses. Man kann gut erkennen, dass im Laufe von sechs Jahrhunderten die Bauherren – ohne den Rat eines Architekten einzuholen, der auf einen geschlossenen Gesamteindruck geachtet hätte – Gebäudeteile neu errichtet und alte verändert haben. Doch gerade das macht heute den Reiz der Gebäude aus. An der linken Ecke der Front ragen sieben Kamine in den Himmel, die im 17. Jh. errichtet, später wieder teilweise abgebrochen und im 20. Jh., als das Haus dem Amerikaner Charles Henry Robinson gehörte, wieder restauriert wurden. Hier liegt schon immer die Küche des Hauses. Daneben folgen Fachwerkwände, die teilweise auf Steinfundamenten in den Wassergraben hineingebaut sind. Dies ist der Arbeitsbereich hinter der Großen Halle und hier führt eine Brücke zur „Hintertür“ des Gebäudes. Ein Fenster unten über der Wasserfläche markiert die Krypta aus dem 14. Jh., darüber berichten Fenster in verschiedenen Baustilen -unregelmäßig in der Front des aus kleinen Steinen errichten Gebäudeteils verteilt – vom wechselnden Geschmack der Bauherrn.

Ightham Mote

Wir folgten außen dem Wassergraben an der Südfront des Hauses vorbei. Das obere Stockwerk mit seinen Fachwerkwänden wirkt, als ob es die Jahrhunderte unverändert überstanden hätte. Doch dieser Eindruck täuscht. Ursprünglich waren die Wände verputzt. Doch zu Beginn des 20. Jh. erschien den damaligen Besitzern, den Colyer Fergussons, diese Bauten zu kahl und so ließen sie das obere Stockwerk mit einer Fachwerkfassade im Stil der Zeit von Elisabeth I. versehen.

Ightham Mote

Im Westen gegenüber von dem Hauptzugang des Hauses konnten wir außerhalb des Wassergrabens hinter einer schönen formalen Gartenanlage einen weitern Fachwerkgebäudekomplex sehen, der aus dem 15. Jh. stammt. Ursprünglich stand hier auch ein vierflügliges Gebäude rund um einen Innenhof, indem die Stallungen untergebracht waren und das zu der Zeit Queen Viktorias die Quartiere der Bediensteten enthielt. Ein Feuer zerstörte große Teile und so ist heute nur noch eine Gebäudezeile übriggeblieben, in denen man u. a. auch Ferienwohnungen mieten kann.

Ightham Mote

Im Nordflügel des Hauses führt eine weitere Brücke über den Wassergraben und hier liegt heute auch der Zugang für die Besucher des Hauses. Doch wir wollten uns zuerst im Garten umschauen. Neben dem Haus gibt es einen kleinen Küchen-garten von einer Steinmauer und Hecken begrenzt. Hier blühte Rittersporn, Bohnenranken kletterten an lagen Stangen nach oben und zwischen niedrigen Buchsbaumhecken wuchsen Salat- und Kohlköpfe, Kräuter und Zwiebeln. Dahinter luden Bänke neben alten Obstbäumen über einem dicken grünen Rasenteppich zur Rast ein. Rund um das Haus leuchteten Blumen in allen Farben des Regenbogens in Rabatten, Rosen rankten an den alten Mauern hoch. Wir spazierten über makellose Rasenflächen, über die man schöne Blicke auf das Haus hatte hinüber zu einem See, an dessen Rand Wasserlilien wuchsen und hinter den man unter alten Bäumen lange Spaziergänge unternehmen konnte. Doch wir waren neugierig, was uns drinnen im Haus erwartete.

Ightham Mote

Also kehrten wir zum Haus zurück und spazierten über die Brücke in den gepflasterten Innenhof mit einem Brunnen im Zentrum und einem Taubenhaus in einer Ecke an der Wand. Auch hier gab es Bänke für eine Ruhepause und eine alte Hundehütte mit Fachwerkwänden erinnerte an Dido, den Bernadiner der Familie Colyer-Fergusson.

Ightham Mote

Drinnen erwartete uns eine Flut von Räumen, die in unterschiedlichen Stilen eingerichtet sind. Manche haben dunklen Holzpanelen an den Wänden und Ritterrüstungen stehen in den Ecken und man hat das Gefühl, dass seit Jahrhunderten die Zeit stehen geblieben ist, wie zum Beispiel die eindrucksvolle Große Halle. Andere sind angefüllt mit bequemen Sofas, chinesischen Tapeten schmücken die Wänden und viel Schnickschnack im Stil des 18.-19. Jh., steht auf Kaminsimsen und Kommoden. Zeitungen liegen auf kleinen Tischen und man glaubt, die Besitzer seien nur kurz aufgestanden und würden gleich wieder um die Ecke kommen. Unser Weg führte durch lange Korridore, die immer wieder andere Einblicke auf Lampen, Bilder und wappengeschmückte Fenster ermöglichten. Oben gab es eine Reihe von Schlafzimmern und das sogar recht moderne Badezimmer zu sehen, das Anfang de 20. Jh. eingerichtet wurde.

Ightham Mote Ightham Mote Ightham Mote

Im Erdgeschoss kann man auch die Räume der Dienstboten besichtigen. Der Arbeits- und Wohnbereich des Butlers nimmt dabei in einem viktorianischen Haushalt einen wichtigen Platz ein. Sein Schlafzimmer lag neben dem Anrichtezimmer, von hier aus führt eine besonders gesicherte Tür, zu der der Butler einen Schlüssel hatte, in den Tresor, wo das Familiensilber aufbewahrt wurde. Als letzten Raum schauten wir uns die wunderschöne weißgetäfelte Bibliothek an. Es war der Raum, in dem sich der letzte Besitzer des Hauses Charles Henry Robinson hauptsächlich aufgehalten hat. Die Einrichtung ist eine Sammlung aus Möbeln und anderen Objekten, die er sorgfältig in Antiquitätengeschäften gekauft hat. An den Wänden stehen in vielen weißen Regalen Bücher mit dunklen Lederrücken. Am liebsten hätte ich mir ein Buch ausgesucht mich auf einen der gemütlichen Sessel mit Überwürfen aus hellem geblümtem Stoff hingesetzt und darin gelesen.

Ightham Mote

Draußen schien die Sonne und wir machten noch einen kurzen Rundgang durch den Garten, widerstanden im National Trust Laden allen Versuchungen uns ein Andenken zu kaufen, obwohl uns viele Dinge, die man dort kaufen konnte, sehr gut gefielen und gönnten uns als Belohnung für diese Standhaftigkeit einen leckeren Imbiss im Restaurant, das oben neben dem Parkplatz liegt. Frisch gestärkt ging es dann weiter in Richtung unseres nächsten Ziels weiter im Norden.

Ightham Mote

Die Informationen habe ich hier gefunden:

In der Publikation des National Trusts: Ightham Mote, 2005

http://www.nationaltrust.org.uk/main/w-ighthammote

http://de.wikipedia.org/wiki/Jack_Cade
http://www.fantompowa.net/Flame/jack_cade_info.htm

http://www.richardiii.net/r3_cont_wood.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_III._(England)

http://thesouthofengland.blogspot.com/2010/08/ightham-mote-in-centre-of-gunpowder.html
http://www.gunpowder-plot.org/index.asp
http://www.britannia.com/history/kaboom.html
http://www.thisiskent.co.uk/news/Dame-Dorothy-did-stop-plot-blow-Parliament/article-496846-detail/article.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Gunpowder_Plot

Mehr Bilder von Ightham Mote: http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/72157625192523599/show/