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Belton House, England, Geschichte, Grantham, Lincolnshire, Reise
Ein neuer schöner Urlaubstag begann mit blauem Himmel und Sonne, wir brachen früh auf, denn für diesen Tag hatten wir uns einiges vorgenommen. Es ging weiter Richtung Norden und wieder stand als erstes Ziel des Tages ein herrschaftliches Landhaus auf unserem Urlaubsprogramm. Diesmal mussten wir uns allerdings gezwungener Maßen auf einen Spaziergang durch die Gärten beschränken, denn das Innere des Hauses hätten wir erst um 14:00 besichtigen können und so lange wollten wir nicht warten.
Der Parkplatz von Belton House liegt direkt neben einer großen Wiese, von der aus man einen guten Blick auf das Herrenhaus hat, das als das vollständigste Beispiel eines englischen Country Houses aus der Zeit Karl II. gilt. Also kletterten wir schnell aus dem Auto und bewunderten die prachtvolle Aussicht. Belton House wurde zwischen 1685 und 1688 von Sir John Brownlow und seiner Frau errichtet. Sie verfügten über einen großen Landbesitz in der Gegend und ein beachtliches Vermögen und hätten sich durchaus ein prachtvolles Barock Schloss leisten können, stattdessen entschieden sie sich für eine im Vergleich dazu bescheidenere Variante in einem Baustil, der sich zur Zeit der Restauration des Königtums speziell in England entwickelt hatte. Die symmetrische Südfassade des Hauses beeindruckt auch heute noch die Besucher mit ihrer zurückhaltenden Eleganz.
Neben dem Haus entstand 1877 ein Gebäudeflügel, der das Haus mit dem bereits existierenden Verwaltungsgebäude des Landbesitzes verbindet. Durch ein Tor gelangt man zu den ehemaligen Ställen und dem Brauhaus. In diesen Gebäuden sind heute, der National Trust Laden und ein Restaurant untergebracht. Von hier aus ging es weiter zu den Gärten. Wir hatten vor vier Jahren schon einmal in Belton House besichtigt und freuten uns schon durch die Gärten und Park-anlagen zu spazieren.
Als Richard Brownlow (1553-1638) als Sohn eines erfolgreichen Londoner Anwalts geboren wurde, saß Maria I., die Katholische, auf dem englischen Thron. Als er fünf Jahre alt war, wurde Elisabeth I. zur englischen Königin gekrönt. Richard trat in die Fußstapfen seines Vaters und studierte das Recht. Das war eine kluge Entscheidung, denn in der zweiten Hälfte des 16. Jh. nahm die Nachfrage nach Juristen ständig zu und so verdiente Richard Brownlow bald gut und er legte sein Geld klug an hauptsächlich in Landbesitz. Besonders hatte es ihm das Landgut in Belton drei Kilometer nördlich von Grantham angetan. Nach längeren Verhandlungen gelang es ihm 1619, es endlich zu kaufen. Da hieß der englische König schon seit 16 Jahren Jakob I. und gehörte dem Haus Stuart an. Richard lebte nicht in Belton und besuchte seinen Besitz auch nur selten. Mit 72 Jahren konnte er am Ende seines für die damalige Zeit sehr langen Lebens noch erleben, wie Jabobs Sohn, Karl I., den Thron bestieg.
1641 sollte dieser König die Söhne Richards, John (15941679), der Belton 1553 geerbt hatte, und seinen jüngeren Bruder, William, in den Ritterstand erheben. Da hatte sich Karl I. schon mit dem englischen Parlament angelegt und nur ein Jahr später begann der Bürgerkrieg in England, der für den König keinen guten Ausgang nahm. Das Leben der Brownlows wurde aber durch die politischen Wirren in England nur wenig beeinflusst. Sir John Brownlow, wie er sich jetzt nennen durfte, hatte die Familientradition beibehalten und war Anwalt geworden. Er lebte mit seiner Frau zurückgezogen und bescheiden auf dem Lande. Wie sein Vater kaufte er Land, er züchtete recht erfolgreich Schafe und vergrößerte sein ererbtes Vermögen. Karl I. wurde im Januar 1649 geköpft und Oliver Cromwell regierte als Lordprotektor England, Schottland und Irland. Sir John und seine Frau hatten andere Probleme, sie machten sich ernsthaft Gedanken darüber, wer sie einmal beerben sollte. Sie hatten keine Kinder und Sir John fasste den Plan seinen Besitz unter seinen Neffen aufzuteilen. Doch Sir John überlebte sie alle. Oliver Cromwell war bereits Geschichte und der Sohn des geköpften Königs, Karl II., hatte 1660 wieder den englischen Thron bestiegen, als Sir John Brownslow 1668 seine Großnichte Alice adoptierte, eine Tochter seiner Schwester, als deren Vater gestorben war. Schließlich gab es außer ihm nur noch zwei männliche Familienmitglieder, die den Namen Brownlow trugen, die beiden Enkel seines Bruders William, der ältere hieß wie er John, der jüngere wie sein Großvater William. In Sorge, dass die Familie aussterben könnte, nahm er den ältesten Großneffen unter seine Fittiche, sorgte für seine Ausbildung und verheiratete ihn 1676 mit seiner Adoptivtochter Alice, als die beiden Brautleute gerade 16 Jahre alt waren. Drei Jahre später starb er.
Der zweite Sir John Brownlow (16591697) brach mit der Tradition des einfachen Landlebens. Er kaufte für sich und seine Frau ein neues Haus in London und gab sein Debut in der feinen Gesellschaft. Schnell fasste er den Entschluss, dass er einen seiner gesellschaftlichen Position angemessenen Landsitz benötigte. Er beauftragte vermutlich William Winde, einen angesagten Architekten dieser Zeit, einen Plan zu zeichnen, der sich eng am Beispiel von Clarendon House orientierte, das 1667 fertig gestellt worden war. Dieses große Londoner Stadthaus war eines der am meisten bewunderten Bauwerke seiner Zeit wegen seiner eleganten Symmetrie und seinem selbstbewussten und vernünftigen Design. Allerdings überdauerte Clarendon House nur wenige Jahre, 1683 wurde es bereits wieder abgerissen. Sein Erbauer Lord Clarendon war in Ungnade gefallen und hatte aus dem Land fliehen müssen. Ein Investor, der es gekauft hatte, errichtete auf dem Grundstück gleich mehrer Straßenzüge mit Stadthäusern. John und Alice Brownslow beauftragten einige der besten Handwerker der Zeit, die unter der Leitung von William Stanton 1685 damit begannen, Belton House zu bauen, in dem Jahr als Karl II. ohne legitimen Erbe starb und dessen Bruder Jakob II. König von England und Schottland wurde.
Clarendon House in London von William Skillman, http://en.wikipedia.org/wiki/File:ClarendonHouseSKILLMAN,_W._after_SPILBURGH_J.jpg
Das späte 17. Jh. war in England eine Zeit, in der sich nach der Restauration der Monarchie ein ganz neuer, eigener Stil in der Architektur und Kunst entwickelte. Die Royalisten kehrten aus dem Exil zurück, junge, wohlhabende Männer, die ihre Grand Tour durch Europa absolviert hatten, und mit neuen Ideen nach England kamen. Eine Reihe von Architekten wie Roger Pratt, der Clarendon House entworfen hatte, John Wenn und Sir Christopher Wren bauten neue große Bauwerke in einem von der Renaissance inspirierten Stil. Existierende Häuser wurden umgebaut und dem neuen Stil angepasst. Belton House ist ein Musterbeispiel dieses Stils, nach dessen Plan viele andere Country Häuser in England entstanden. Sein Grundriss hat die Form eines H, eine Form, die in England seit der Zeit Elisabeth I. meist für Herrenhäuser genutzt wurde. Neu war, dass es nicht nur die Tiefe eines Raumes hatte, sondern zwei Räume hintereinander lagen. Dadurch wurden die Häuser kompakter und benötigten kleinere Dachflächen, was die Baukosten senkte. Die Räume waren leichter zu heizen und zu beleuchten und, da sie mit einander verbunden waren, entstand mehr Privatsphäre für die Bewohner.
Ein richtiges Herrenhaus braucht auch die richtige Kulisse. Das wusste auch der junge Sir John Brownlow und so begann er damit, die Landschaft rund um sein zukünftiges Domizil umzugestalten, als gerade die ersten Steine des Hauses gemauert wurden. 1685 ließ er nicht weniger als 21.400 Eschen und 9.500 Eichen anpflanzen. Hinzukamen 614 Obstbäume, 260 Zitronenbäumchen, 2000 Rosenstöcke und 100 Stachelbeerbüsche. Als sein Haus fertig war, lagen in seinem Norden, Süden und Osten kunstvolle Parterres, lange, mit Statuen geschmückte Wege, ein langes Wasserbecken der Great Pond flankiert von Anpflanzung von Bäumen, durch die Wege geometrische Muster zogen. 1690 erhielt er die Erlaubnis, ein Gebiet von vier km² mit einer Mauer einzuschließen und in dem Park eine Herde Damhirsche zu halten. Auch heute kann man noch einen Eindruck davon bekommen, wie die Gärten einmal ausgesehen haben. Immer noch liegen hinter dem Haus im Norden formal gestaltete Parterres mit Springbrunnen und Buchsbaumornamenten, auch wenn die heutigen Gärten im 19. und 20. Jh. entstanden sind. Der größte Teil ist als Landschaftspark gestaltet, durch den man lange Spaziergänge unternehmen kann.
Anders als die meisten Herrenhäuser gab es in Belton neben dem zentralen Salon keine weiteren Prunkräume, die nur dann genutzt wurden, wenn hohe Gäste zu Besuch waren. Das hatte vermutlich seinen Grund darin, dass die Brownlows nur zum Landadel (der Gentry) und nicht zur Aristokratie gehörten und nicht damit gerechnet hatten, dass der englische König sie besuchte. Die wechselten in dieser Zeit ohnehin recht schnell. Als Belton House 1688 fertig gestellt wurde, arbeitete gerade eine Gruppe protestantischer Adliger daran, den König Jakob II. abzusetzen. Sie verhandelten mit Wilhelm III. von Oranien, dem Statthalter der Niederlande, dass er nach England überzusetzen und das Land von seinem katholischen König befreien solle. Im November landete Wilhelm in Torbay in Südwestengland und die Glorious Revolution begann. Die war ein Jahr später schon wieder beendet und Wilhelm wurde zusammen mit seiner Frau Mary, einer Tochter Jakob II., gekrönt.
Portrait König Wilhelm III. von Sir Godfrey Kneller(1646 – 1723, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:King_William_III_of_England,_(1650-1702).jpg
Am 29. Oktober 1695 geschah dann das, womit Sir John Brownlow nicht gerechnet hatte. Er durfte den neuen König, Wilhelm III., in Belton begrüßen. Dem König hat es trotz der fehlenden Repräsentationsräume in Belton gut gefallen. Er schlief im besten Schlafzimmer des Hauses in ersten Stock direkt über dem Salon, von dem aus man über eine Treppe direkt zum großen Speisezimmer des Hauses gelangte. Zurück in London schickte der König seinem Gastgeber eine Einladung, um ihn noch einmal zu ehren und ihm für seine Liebenswürdigkeit zu danken. Nach seinem Chronisten Abraham de la Pryme hatte der König in Belton soviel getrunken, dass er beschwippst war und am nächsten Tag, als sie in Lincoln waren, nichts außer einer Milchspeise essen konnte.
1697 war Sir John Brownlow ein etwas übergewichtiger, selbstgefälliger Mann in den besten Jahren, der in seinem Leben all das gemacht hatte, was von einem wohlhabenden Landedelmann erwartet wurde. Er hatte sich ein angemessenes, großartiges neues Heim errichtet, hatte das Amt des High Sheriff des Lincolnshire innegehabt und war Mitglied des Parlaments für Grantham gewesen. Er stand eigentlich noch am Anfang eines gesellschaftlichen Aufstiegs. Er konnte durchaus damit rechnen, die Peerswürde verliehen zu bekommen. Er hatte eine glänzende Zukunft vor sich. Umso unverständlicher ist die Tatsache, dass er sich im Juli 1697 im Haus seines Onkels erschossen hat. Bis heute ist der Grund seines Selbstmordes unbekannt.
Seine Frau blieb bis zu ihrem Tod 1721 in Belton und sorgte dafür, dass ihre vier Töchter gute Partien machten. Die älteste Jane heiratete den zukünftigen Duke von Ankaster, ihre Schwester Alice den zukünftigen Baron Guilford und die dritte Tochter Elizabeth den zukünftigen Earl von Exeter. Die jüngste Tochter Eleanor vermählte sie 1712 mit dem Neffen ihres Mannes, dem Sohn seines jüngeren Bruders William. Und das hatte vermutlich u. a. den Grund, dass dieser nach dem Tod seines Vaters Belton geerbt hatte und dadurch 1702 der 3. Sir John Brownlow von Belton geworden war, im selben Jahr als Königin Anne den englischen Thron bestieg.
Belton House 1725 von Philippe Mercier mit Sir John Brownlow III (16901754), Lord Tyrconnel (links) und seiner Frau, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Belton_Tyreconnelfamily.jpg
Dieser Sir John Brownlow (16901754) hatte große Ambitionen. Er wollte gerne eine wichtige Rolle in der Politik spielen, doch ihm fehlten die Fähigkeiten dazu. Er hatte eine außerordentliche hohe Meinung von seiner eigenen Bedeutung eine Ansicht die weder von seiner Familie, noch seinen Adelskollegen geteilt wurde. Ein Zeitgenosse, der es gut mit ihm meinte, schrieb über ihn, er habe einen guten Geschmack und gut ausgewähltes Wissen. Und dieser gute Geschmack und seine gute Bildung wurden seine wichtigste Hinterlassenschaft für Belton. Doch bevor er hier wirken konnte, hatte er schon einen großen Teil seines Erbes ausgegeben. Er lebte zunächst mit seiner Frau im Stadthaus in London und auf dem Landsitz Bruton in Somerset, den er von seinem Vater geerbt hatte. Eigentlich hatten er und seine Frau ein gutes Einkommen, wenn auch der Landbesitz seines Vaters mit Schulden belastet war und dieser es versäumt hatte, seine Hinterlassenschaft testamentarisch zu regeln. Aber der neue Sir John Brownlow konnte im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht gut mit Geld umgehen. Er hatte eine Neigung zu einem prahlerischen Lebensstil, der den Finanzen der Familie nicht gut tat. Das führte schließlich dazu, dass sie das Haus in London aufgeben und mit sechs Dienern und einem Hund, Brill, nach Bruton ziehen mussten. Als Eleanors Mutter 1721 starb, nahmen die beiden Belton in Besitz und begannen sofort damit ihren Landbesitz im Lincolnshire zu konsolidieren, indem sie Land zurück kauften, das Eleanors Schwestern geerbt hatten. Trotz dieser Bemühungen war das Landgut in Belton nur noch ein Schatten dessen, was es einmal zu Zeiten des ersten Sir Johns gewesen war. Das Einkommen, das die Familie damit erwirtschaftete, war auf die Hälfte dessen gesunken, was dieser einmal verdient hatte. Es reichte aber aus um das Paar in die Lage zu versetzen, ihrer Liebe zur Kunst nachzugehen. Seit 1714 hatte Großbritannien wieder einen neuen König, Georg I. aus dem Haus Hannover und der wurde bald 1727 – von seinem Sohn, Georg II., abgelöst. Dieser hatte keine hohe Meinung von dem Baronet von Belton. Er fand, dass er ihm an Klugheit und Prinzipien mangele, und nannte ihn eine Welpe, die niemals zweimal mit der gleichen Seite abstimmt. Sir John Brownlow war befreundet mit Georgs Sohn, dem Prinz of Wales, Friedrich Ludwig von Hannover, der seinerseits keine gute Meinung von seinem Vater hatte. Er starb neun Jahre vor Georg II. und bestieg so nie den englischen Thron. Friedrich Ludwig inspirierte Sir John Brownlow, viele Künstler zu fördern, zu denen der Dichter Alexander Pope, der Bildhauer Henry Cheere und viele Maler gehörten, deren Portraits die Wände der königlichen Schlösser schmückten.
Im Garten ließ er ein beheizbares Gewächshaus errichten, in dem Melonen angepflanzt wurden und man versuchte Ananas zu züchten. Er schuf die Wildnis im Westen des Hauses mit pittoresken Ruinen und wilden Wasserfällen, die es heute noch gibt. Das große Becken wurde zugeschüttet und durch einen langen, breiten Weg ersetzt. Diese Veränderung war allerdings nicht planmäßig entstanden, sondern wurde durch einen Unfall verursacht. Im Mai 1751 hatte man versehentlich die Schleuse, über die das Wasser aus dem großen Becken abfloss, geschlossen. Das Becken brach und das Wasser überschwemmte einen großen Teil des Gartens, eine breite Spur der Zerstörung hinterlassend. Mauern wurden eingerissen und der gesamte Küchengarten mit seiner Ernte wurde zerstört.
Als seine Frau Eleanor 1730 kinderlos starb, suchte Sir John Brownslow mit Eifer eine neue Frau, die ihm einen Erben schenken konnte. Doch zunächst holte er sich einen Korb. Er warb um Mary Delany, eine Künstlerin, deren Papiermosaike heute in vielen Museen zu bewundern sind. Doch auch sie hatte keine große Meinung von ihm, obwohl er ein so gewaltiges Vermögen und einen Titel hatte und ein gutherziger Mensch war konnte sie Geld ohne Wert nicht in Versuchung führen. Sie schrieb: Er hatte einwandfrei den Charakter, sich närrisch zu verhalten und ich würde mich selbst für ein ganzes Empire nicht an einen solchen Charakter binden. 1732 fand er dann doch noch eine Frau, die ihn mehr zu schätzen wusste. Er heiratete sehr zum Ärger Verwandtschaft, die seinen Besitz erben wollte – Elizabeth Cartwright, aber auch diese Ehe blieb kinderlos. So war es wieder ein Neffe der Belton House erben sollte.
Doch zunächst erbte bei seinem Tod 1754 Haus und die Hälfte seines Vermögens Sir Johns Schwester, Anne, die auch gleich nach dem Tod ihres Bruders mit ihrer Familie dort hinzog und ihrem ältesten Sohn, Sir John Cust (1718-1770), ihr Haus in Grantham überließ. Dieser hatte mehr Erfolg in der Politik als sein Onkel, der die politische Karriere seines Neffen gefördert hatte. 1743 war er für Grantham ins Unterhaus gewählt worden und 1751 hatte er ein Amt am Hof des Königs erhalten. Seinen größten Erfolg konnte der Onkel allerdings nicht mehr erleben. 1761 wurde er zum Speaker of the House of Commons, zum Präsidenten des Unterhauses, gewählt. Ein Jahr früher war der König Georg II. gestorben und sein Enkel, der nächste Georg, war ihm auf dem Thron gefolgt. 1766 musste dann auch Anne Cust anerkennen, dass ihr Sohn einen Landsitz benötigte, der seiner gesellschaftlichen Stellung entsprach und überließ ihm zum Ärger seiner Brüder und Schwestern Belton House und zog wieder nach Grantham. Speaker Cust spielte mit dem Gedanken, sich aus der Politik zurückzuziehen und auf seinem Landgut das ruhige Leben eines Landedelmanns zu führen, aber er entschied sich dann doch dagegen und ließ sich 1768 erneut zum Speaker wählen.
Sir John Cust, 3. Baron Brownlow (1718-1770, http://en.wikipedia.org/wiki/File:SirJohnCust.jpg
Ausgerechnet in dem Jahr als es im Unterhaus besonders turbulent zuging. Der Whig Abgeordnete John Wilkes, der aufgrund seiner radikalen Ansichten, die er in seiner regierungskritischen Wochenzeitschrift The North Briton geäußert hatte, 1763 Gefahr gelaufen war, verhaftet zu werden und sich dieser Verhaftung durch eine Flucht nach England entzogen hatte, war wieder nach England zurück gekehrt und erneut ins Unterhaus gewählt worden. Er war in Abwesenheit wegen skandalöser, pietätloser und obszöner Verleundung verurteilt worden, aber man hatte ihn zunächst ungeschoren gelassen. Nach seiner Wahl wurde er verhaftet und ins Gefängnis Kings Bench gebracht. Das brachte seine Anhänger auf den Plan, bis zu 15.000 Menschen demonstrierten vor seinem Gefängnis und forderten seine Freilassung. Da man Ausschreitungen befürchtete, lösten Truppen die Proteste auf. Dabei gingen sie nicht zimperlich vor, sie feuerten einfach in Menge sieben Menschen starben bei dem Massaker auf dem St. Georges Field. Wilkes verzichtete schließlich auf seine parlamentarische Immunität und wurde zu zwei Jahren Haft und 1000 Pfund Strafe verurteilt, ein Urteil, mit dem er nicht gerechnet hatte. Er hatte gehofft, begnadigt zu werden. Im Februar 1769 wurde er erneut aus dem Parlament ausgeschlossen, aber schon im gleichen Monat erneut gewählt. Der gleiche Vorgang wiederholte sich im März und April. Schließlich erklärte das Unterhaus, den unterlegenen Kandidaten zum Sieger der Wahl. Nachdem im April 1770 Wilkes seine Strafe abgesessen hatte, wurde er erneut ins Parlament gewählt und setzte sich dort u. a. für die Pressefreiheit ein. Speaker Cust hatte nicht viel Zeit in seinem Country House und dem Parkland rundherum etwas zu verändern, denn er starb 1770 mit 51 Jahren. Die Inschrift auf seinem Grabdenkmal schreibt seinen recht frühen Tod den ungewöhnlichen Strapazen seines Amtes zu, die hervorgerufen wurden, durch die außerordentliche Zunahme der nationalen Aufgaben.
John Wilkes auf einem satirischen Stich von William Hogarth, http://en.wikipedia.org/wiki/File:William_Hogarth_-_John_Wilkes,_Esq.png
Sein Sohn, Sir Brownlow Cust (17441807), war derjenige der das Haus dem Geschmack des 18. Jh. anpasste und auch im Garten einige Veränderungen durchführte. Er hatte zweimal hintereinander recht wohlhabende Frauen geheiratet, die erste starb nach nur zwei Jahren Ehe, und konnte es sich so leisten, sein altmodisches Heim zu modernisieren. 1776 war er zum Baron ernannt worden und hatte damit das erreicht, was sich sein Großonkel so sehnlich gewünscht hatte. 1778 beauftragte also Lord Brownlow den bekannten Landschaftsarchitekten William Emmes einen Plan für die Umgestaltung seines Parks zu entwerfen. Von diesem Plan wurden allerdings nur einige Details umgesetzt. So entstand im Norden des Hauses ein Pleasure Ground Rasenflächen mit einzelnen Bäumen – für den eine der formalen Parterres geopfert wurde und die formalen Anpflanzung aus dem 17. Jh. entlang des langen Weges, der das Wasserbecken ersetzt hatte, wurden ausgedünnt, um den Wald natürlicher zu gestalten.
Der 2. Baron Brownlow wurde sein ältester Sohn, John (17791853), der 1815 von Georg III. zum Earl ernannt wurde. Wie viele junge Männer seiner Klasse, die in den Jahren direkt nach der französischen Revolution aufgewachsen waren, hatten die Ereignisse in Frankreich und die Aussicht auf Aufstände zuhause seinen Glauben an die Bedeutung der bestehenden sozialen Hierarchie und seine Ablehnung Reformen gegenüber bestärkt. Als man 1831 im Parlament begann Reformgesetze zu diskutieren, die ein Jahr später zu einer Neuordnung der Wahlbezirke in Großbritannien führte kleine, ländliche Wahlbezirke mit nur wenigen Wahlberechtigten wurden aufgegeben und in den wachsenden Industriezentren in Städten wie Manchester und Birmingham wurden neue geschaffen befürchtete er, dass Aufständische Belton angreifen könnten. Er stellte eine Miliz aus Mitgliedern seines Haushaltes auf, ließ sie drillen und teilte Wachen ein. Doch es fand nie ein Angriff statt.
Wie sein Vater vor ihm ließ er Belton seinen Vorstellungen gemäß modernisieren und auch den Garten ließ er neu gestalten. So entstand 1810 der heutige Italienische Garten in dem Stil der Zeit, als das Haus gebaut wurde, mit einem Springbrunnen im Zentrum einer formalen Terrasse mit exakt beschnittenen Buchs- und Eibenskulpturen und Beeten mit bunten Blumen. In hohen Pflanzkübeln wuchsen bei unserem Besuch Fuchsien, deren rote Glöckchen leise im Wind schaukelten und ein Gärtner versorgte sie mit Wasser. Dahinter wurde um 1820 die Orangerie fertig gestellt, in der heute ein kleiner Dschungel aus exotischen Pflanzen mit leuchtenden Blüten und filigranen Farnwedeln die Besucher erfreut. Weiße Bänke neben einem leise plätschernden Brunnen luden uns zu einer Rast ein.
Diese grüne Oase hat einige Jahre nach ihrer Fertigstellung auch wieder königlicher Besuch genießen können. Die dritte Frau des ersten Earls, Emma Sophia Edgcumbe, die dieser 1828 geheiratet hatte, wurde zwei Jahre nach der Hochzeit Hofdame von Queen Adelaide, der Frau Wilhelm IV., der seinen Bruder, Georg IV., 1830 auf dem Thron abgelöst hatte. Zwischen den beiden Frauen entwickelte sich eine enge Beziehung, die auch nach dem Tod des Königs 1837 fortbestand. Nun sollte Königin Viktoria 64 Jahre über das Vereinigte Königreich und die zahlreichen Kolonien herrschen. Adelaide reiste als Witwe viel und kam 1841 zu einem längeren Aufenthalt nach Belton.
Der nächste Erbe des Anwesens, John Egerton-Cust (18421867), konnte sich nur wenige Jahre an seinem Erbe erfreuen. Er starb mit 25 Jahren ohne einen Nachkommen. Sein Bruder, Adelbert (18441921), übernahm die Aufgabe Belton noch einmal umzugestalten. Er war ein sehr charismatischer, äußerst gutaussehender Mann, der eine Partnerin gewählt hatte, die nicht besser zu ihm hätte passen können. Seine Frau Adelaide war die Tochter des Earls of Shrewsbury und sie und ihre beiden Schwestern wurden 1893 als das Salz der Erde beschrieben. Lord und Lady Brownlow gehörten zu einer idealistischen Gruppe von Aristokraten und Intellektuellen, die die Souls, die Seelen, genannt wurden und zu der auch einige bedeutende Politiker der Zeit gehörten. Sie trafen sich in den Salons ihrer Country Houses um abseits der oft sehr heftig geführten politischen Auseinandersetzungen am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in einer ruhigen Atmosphäre über politische Themen und soziale Probleme und deren Lösung zu diskutieren. Auf dem englischen Thron war 1901 Eduard VII. für nur neun Jahre seiner Mutter auf dem Thron gefolgt. Sein Sohn und Nachfolger, Georg V., hatte den Thron danach immerhin 26 Jahre inne. Obwohl die Brownlows meist in London oder auf ihrem Landsitz Ashbridge lebten, ließen sie in Belton, die wohl weitreichendsten Veränderungen durchführen, seit das Haus errichtet wurde. Ihnen verdanken wir es, dass Belton wieder den Stil der Zeit repräsentiert, in dem es ursprünglich errichtet wurde. Die Veränderungen am Äußeren des Hauses wurden wieder entfernt und auch im Innern wurden einige Räume wieder im Stil der Zeit Karl II. dekoriert. Hinter dem Haus wurde ein Holländischer Garten angelegt, der sich an einem alten Plan des Gartens aus dem Jahr 1717 orientierte. Auch heute noch schmücken Statuen und dekorative Urnen zwischen Kugeln aus gelben und grünen Eiben den zentralen Weg, vorbei an Parterres, die mit geometrischen Kiesmustern gestaltet sind und in denen heute Lavendel und Tagetes blühen.
Die Countess Brownlow (1879) von Frederic Leighton, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Leighton_Brownlow.jpg
Dahinter liegt der Landschaftspark. Ein Wasserlauf, von einem See ausgehend, durchzieht eine große leicht hüglige Rasenfläche. Gänse mit halbwüchsigen Jungen futterten eifrig Gras und zogen die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich, die langsam auf den geschwungenen Wegen und über das Gras spazierten. Zwischen Sträuchern und Bäumen hatten wir stets wechselnde Ansichten auf das Haus.
Als der 3. Earl Brownlow 1921 starb, verbrachte sein Cousin und Erbe, Adelbert Salusbury Cockayne Cust (18671927), gerade mit seiner Familie einen Urlaub in Südfrankreich und es dauerte einige Tage, bis es dem britischen Konsul in Frankreich gelang, ihn zu erreichen und über seine Erbschaft zu informieren. Der neue Baron Brownlow und seine Frau Maude hatten bisher ihren Lebendstandard aus seinem Armeesold finanziert und waren den Lebenstil nicht gewöhnt, der ihnen die Erbschaft versprach, auch wenn sie am Ende nicht so groß war, wie sie sie vielleicht erwartet hatten. Der Wert des Landbesitzes und die Erträge daraus waren dabei zu sinken, Belton war verpfändet und um den Zahlungsverpflichtungen, die durch die Erbschaft entstanden waren, nachkommen zu können, musste einiges verkauft und die Zahl der Bediensteten reduziert werden.
Wir genossen unseren Spaziergang durch den Park und konnten uns danach im Untergeschoss des Hauses noch die Küche und einen Teil der Räume anschauen, wo einst die Angestellten für das Wohl ihrer Herrschaft sorgten, die in den Stockwerken darüber sich ihres Lebens erfreuten. Die Räume wurden gerade wieder hergerichtet und waren noch recht kahl, mit nur wenigen Möbeln. So brauchten wir etwas Phantasie, um uns vorzustellen, wie es einmal hier ausgesehen hat. Ein alter Küchenherd steht noch in der Küche, auf dem wohl manche Mahlzeit gekocht worden ist, als in den 1930 er Jahren in Belton eine Liebespaar zu Gast war, das in die Weltgeschichte eingegangen ist.
Als Peregrin Albert Cust 1927 Belton erbte, hatte sein Vater nicht nur die Grundschuld von Belton tilgen, sondern auch seine eigenen Zahlungs-verpflichtungen bezahlen können. Und noch einmal sollten das Haus und sein Besitzer eine wichtige Rolle in der britischen Geschichte spielen. Der 6. Baron Brownlow war in den 1930ern ein Kammerherr und enger Freund des Prince of Wales, Eduard. Er und seine Frau Kitty waren häufig Gäste in Fort Belevedere, dem Landsitz des späteren englischen Königs Eduard VIII. im Windsor Great Park, und der Prinz of Wales und Wallis Simpson weilten oft am Wochenende in Belton. Als Eduard 1936 König wurde, wurde Perry Brownlow einer seiner engsten Berater. So war er der erste Ansprechpartner der Unterstützer des neuen Königs, als das Gerücht die Runde machte, Eduard habe die Absicht, Mrs. Simpson zu heiraten. Sie versuchten ihn dazu zu bringen, Druck auf die geschiedene Amerikanerin auszuüben, den König und England zu verlassen. Doch Brownlow fürchtete, dass der König der geliebten Frau folgen würde, was die Abdankung, die alle verhindern wollten, nur beschleunigt hätte. Also versuchte er stattdessen Wallis Simpson zu überreden, nach Belton zu kommen. Dort wäre sie in der Nähe des Königs gewesen, hätte ihm moralische Unterstützung geben und ein übereiltes Handeln verhindern können. Doch es sollte anders kommen.
Am 16. November 1936 hatte Eduard VIII. den britischen Premierminister Stanley Baldwin offiziell davon in Kenntnis gesetzt, dass er Wallis Simpson heiraten wolle. Die britische Presse verhielt sich zunächst ruhig – etwas man sich heutzutage kaum noch vorstellen kann – erst am 3. Dezember 1936 wurde in Krise in der Presse gelüftet. Der Premierminister verlautbarte, dass die Regierung die Heirat des Königs mit der geschiedenen Amerikanerin nicht billigen würde. Der König zog sich nach Fort Belverdere zurück und Wallis Simpson und Perry Brownlow reisten nicht nach Belton, sondern nach Cannes. Perry Brownlow überzeugte Wallis, auf den König zu verzichten. Am 7. Dezember 1936 beschloss man, eine Erklärung abzugeben, dass sie den König aufgeben wollte. Perry Brownlow beriet Wallis beim Wortlaut und las die Erklärung der wartenden Presse vor. Doch die endgültige Entscheidung lag beim König. Eduard wollte nicht auf die Liebe seines Lebens verzichten. Er dankte am 10. Dezember 1936 ab. Für Perry Brownlow war diese Entscheidung das Ende seiner Karriere am Hofe. Er lehnte die Abdankung des Königs ab und weigerte sich an der Hochzeit vom Herzog von Windsor, wie Eduard nun genannt wurde, mit seiner Herzogin teilzunehmen. Etwas was ihm Eduard und Wallis nie verzeihen sollten. Und auch der neue König Georg VI. und seine Frau Elizabeth dankten ihm sein Verhalten nicht. Der Baron Brownlow erfuhr aus den Court Circular, den Hofnachrichten, dass er als Kammerherr des Königs ersetzt worden war. Als er telefonisch im Buckingham Palace nachfragte, wie es zu dieser Meldung gekommen sei, teilte man ihm kurz mit, dass man seinen Rücktritt akzeptiert habe. Sein Name sollte nie mehr wieder in den Hofnachrichten auftauchen. Als Perry im Juli 1978 mit 79 Jahren starb, war Georg VI. auch schon wieder Geschichte und seine Tochter Elizabeth II. war schon 26 Jahre die englische Königin. Er vererbte Belton House an seinem Sohn Edward, der in dem turbulenten Jahr 1936 geboren wurde. Der musste bald erkennen, dass er den Familienbesitz nicht erhalten konnte, obwohl das Haus in den 1960 er Jahren restauriert worden war. Er übergab es 1984 dem National Trust, der seitdem dafür sorgt, dass es für die vielen Besucher, die es jedes Jahr besuchen, in altem Glanz erstrahlt.
Damit die Besucher sich länger in Belton House aufhalten und auch eine längere Anreise nicht scheuen, hat in den ehemaligen Ställen ein schönes Restaurant errichtet. Wir setzten uns an einen Tisch draußen im Hof und genossen in der Sonne einen leckeren Imbiss, bevor wir uns auf den Weg zu unserem nächsten Tagesziel machten – einem Ziel, das uns von einem ganz anderen Kapitel der britischen Geschichte erzählen sollte.
Die Informationen habe ich hier gefunden:
im Führer des National Trust Belton House von Adrian Tinniswood
und :
http://www.nationaltrust.org.uk/main/w-beltonhouse
http://en.wikipedia.org/wiki/Belton_House
http://en.wikipedia.org/wiki/Clarendon_House
http://en.wikipedia.org/wiki/John_Wilkes
http://www.bbc.co.uk/dna/h2g2/A424072
http://en.wikipedia.org/wiki/Peregrine_Cust,_6th_Baron_Brownlow
http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/2701463.stm
http://www.bbc.co.uk/archive/edward_viii/
http://en.wikipedia.org/wiki/Edward_VIII_abdication_crisis
http://de.wikipedia.org/wiki/Abdankung_Eduards_VIII.
Mehr Bilder von unserem Besuch in Belton House:
http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/72157626208881154/show/