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Zwischen uns und dem nächsten Ziel lag einerseits die Themse und andererseits London. Der Fluss war das kleinere der beiden Hindernisse, denn wir konnten einfach durch den Tunnel am Dartford Crossing unter ihm hindurch fahren. Die Stadt oder vielmehr der Verkehr, der sich rund um die Stadt auf der Autobahn mehr oder weniger zügig vorwärts bewegte, war da schon mehr Grund sich Sorgen zu machen. Zunächst hatten wir aber wieder Glück. Wir konnten zügig bis zur Mautstation vor dem Tunnel fahren und auch im Tunnel ging es flüssig weiter. Der Stau wartete dahinter an der Ausfahrt auf uns, wo wir eigentlich die Autobahn verlassen wollten. Da ging gar nichts vorwärts. Nachdem wir nach 20 Minuten ungefähr eineinhalb Autolängen zurückgelegt hatten, entschlossen wir uns, bis zur nächsten Ausfahrt weiterzufahren und über Landstraßen zum Themseufer zurückzukehren. Dort wollten wir ein Fort aus dem 17. Jh. besichtigen. Ein Plan der sich als gut herausstellte, denn an der nächsten Ausfahrt wollten offenbar nur wenige Autos die Autobahn verlassen und auch auf den Landstraßen gab es nur wenig Verkehr. Nur kurz vor unserem Ziel hatten wir dann ein bisschen Mühe, die Hinweisschilder zu entdecken, die uns den Weg zu unserem Ziel, dem Tilbury Fort, wiesen.

Tilbury Fort

Heinrich VIII. ließ 1539 im Rahmen seines nationalen Programms für den Bau von Befestigungsanlagen entlang der englischen Küste, bei dem auch Deal Castle errichtet wurde, die erste Festung am nördlichen Ufer der Themse in West Tilbury errichten. Es handelte sich um eine kleine Befestigungsanlage, ein sogenanntes Blockhaus, mit einem D-förmigen Grundriss, das man das „Einsiedelei-Bollwerk“ nannte, weil es auf dem Gelände einer Einsiedelei lag, die 1536 aufgelöst worden war. Dem Tilbury Blockhaus lag gegenüber auf dem südlichen Themseufer zwei ähnliche Festungen in Milton und Gravesend, so dass ein die Themse hinauflaufendes feindliches Schiff unter Kreuzfeuer genommen werden konnte. Es gab insgesamt fünf solcher Blockhäuser. Wenige Kilometer weiter flussaufwärts lagen zwei weitere, eines am südlichen Themse Ufer in East Tilbury und eines gegenüber am nördlichen Ufer in Higham. Sie bildeten zwei Verteidigungslinien, die zusammen die Aufgabe hatten, London vor Angriffen vom Meer aus zu beschützen und bewachten jeweils eine Fährpassage über die Themse. Jedes Blockhaus hatte einen gedrungenen Turm, mit dicken Mauern, die unten mit massiven Steinen errichtet worden waren, deren Brüstungen aber aus Ziegelsteinen gebaut wurden. Diese wurden bis ins 19. Jh. im Festungsbau verwendet, da Ziegelsteine im Falle eines Treffers bei den Verteidiger weniger Verletzungen verursachen. Im Gegensatz zu aus Felsen gehauen Steinen entstehen keine gefährlichen Splitter. Im Erdgeschoss dieser Türme stand eine Kanone, die durch eine Schießscharte auf den Fluss feuern konnte. Auf dessen Dach war ein zweites durch eine Brüstung geschütztes Geschütz aufgestellt. Die Garnison bestand in Friedenszeiten aus neun Männern: einen Kapitän, seinen Stellvertretern, drei einfache Soldaten und vier Kanonieren.

Tilbury Fort

Nachdem 1553 Eduard IV. gestorben war und seine katholische Schwester Maria gekrönt wurde, schien die Gefahr eines Angriffs vom Kontinent zunächst gebannt. Die Waffen wurden aus den Forts entfernt und die Soldaten zogen ab. Nur fünf Jahre später bestieg Elisabeth I. den Thron und die Forts wurden wieder gebraucht, doch sie waren in einem schlechten Zustand. West Tilbury und Gravesend wurden repariert und wieder bewaffnet, die anderen drei Blockhäuser aber wurden abgerissen. Als 1588 die spanische Armada England bedrohte, wurden unter der Leitung des italienischen Festungsingenieurs Frederico Genebelli eilig zusätzliche Befestigungswälle aufgeschüttet und Palisaden errichtet, um die kleine Festung auch gegen Angriffe vom Land aus zu schützen. Ein Wald von Schiffsmasten und ein Gewirr von Ketten und Tauen, die kreuz und quer über die Themse gespannt und auf Leichtern, die vor Gravesend am südlichen Themseufer ankerten, befestigt waren, sollten den Feind daran hindern, die Themse hinaufzusegeln.

Tilbury Fort

Während die englische Flotte unter dem Befehl des Lord High Admirals Charles Howard, 1. Earl of Nottingham, auslief und die englischen „Staatspiraten“ John Hawkins, Richard Grenville, Martin Frobisher und Sir Francis Drake mit ihren Geschwadern sich daran machten gegen die Spanischen Galeonen zu kämpfen, versammelte Elisabeth I. im August 1588 ihre behelfsmäßige Armee in West Tilbury. Es war eine Art letztes Aufgebot, die im Falle einer erfolgreichen Landung der Spanier, sich ihnen entgegen stellen sollte. Hier hielt sie ihre vielleicht berühmteste Rede. Elisabeth kam zusammen mit ihrem General-leutnant, Robert Dudley, 1. Earl von Leicester, am 8. August dort an. Sie hatte sich sorgfältig auf ihren Auftritt vor den Truppen vorbereitet. Sie ritt auf einem Schimmel, trug ein Kleid aus weißem Samt, einen silbernen Brustharnisch und hielt einen silbernen, goldgefassten Feldherrenstab in der rechten Hand. Eine jungfräuliche Kriegerkönigin, die ihren Soldaten beistehen wollte. Ihre Rede ist ein rhetorisches Meisterwerk, sie sprach ihren Zuhörern Mut zu und erschuf gleichzeitig ein Bild ihrer Beziehung zu England, das ihr auch half, sich gegen ihre Widersachern im eigenen Land, die ihre Rechtmäßigkeit als Königin Englands anzweifelten, zu behaupten.

Elisabeth I. von England, das Armada Portrait, Woburn Abbey, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Elizabeth_I_(Armada_Portrait).jpg

„Ich versichere euch aber, dass ich mein Leben nicht in Misstrauen gegen mein treu ergebenes Volk hinbringen will. Mag ein Tyrann sich fürchten. Ich habe mich immer so verhalten, dass ich nach Gott meine Hauptkräfte und meinen Schutz in die treuen Herzen und den guten Willen meiner Untertanen gelegt habe. Daher bin ich jetzt, wie ihr seht, nicht zu meinem Vergnügen, zu meiner Zerstreuung zu euch gekommen, sondern mit dem Entschluss, inmitten des Schlachtgetümmels unter euch zu leben oder zu sterben. Meine Ehre und mein Blut für meinen Gott, mein Königreich und mein Volk zu geben, und sei es im Staub.“

Denen die einer Frau nicht zutrauen, die Aufgabe eines Souveräns zu bewältigen, erwidert sie:
„Ich weiß, dass ich zwar den Leib eines schwachen kraftlosen Weibes, dafür aber Herz und Mark eines Königs, noch dazu eines Königs von England habe, und ich kann nur darüber lachen, dass Parma oder Spanien oder irgend ein Herrscher Europas es wagt, die Grenzen meines Reiches überschreiten zu wollen. Deshalb will ich lieber selber zu den Waffen greifen, als dass durch mich Unehre über mein Land komme. So will ich denn euer General, euer Richter und der Lohner jeder einzelnen Tapferkeit auf dem Schlachtfeld sein.“

Tilbury Fort

Als sie diese Rede hielt, war die Armada bereits geschlagen, aber das wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Wenige Tage später konnte Elisabeth das Lager verlassen, ohne dass es zu Kampfhandlungen gekommen war. Die Gefahr einer Invasion war gebannt und die Königin konnte im Triumphzug in London einziehen. Nicht nur der äußere Feind war geschlagen, auch im Innern hatte sie ihre Position gefestigt.

Tilbury Fort

In den folgenden Jahren wurden die Befestigungsanlagen nur wenig beachtet. Bis 1660 hatte England kein stehendes Heer. Die Garnisonen in den Forts wurden von Männern aus mittleren Rängen kommandiert, die hofften dadurch einen gesellschaftlichen Aufstieg zu erreichen. Sie mussten eine Petition bei der Regierung einreichen, wenn sie Geld für den Sold der Soldaten oder notwendige Reparaturen benötigten. So war das Fort in Tilbury bald in einem sehr schlechten Zustand. Der Kommandant John Talbot beschwerte sich 1636 darüber, dass die äußeren Verteidigungswälle bei Flut unter Wasser standen und Tiere und Fährpassagiere regelmäßig in das Fort eindrangen. Im englischen Bürgerkrieg Mitte des 17. Jh. wurde das Blockhaus von der Miliz der Stadt London kontrolliert. 1649 wurde es zu einem Kontrollpunkt für Schiffe, hier mussten sie die Namen ihrer Besatzung registrieren lassen und ihre Loyalität zum Parlament beschwören. Doch seine Garnison, die nun aus einem Gouverneur, zwei Offizieren, vier Unteroffizieren, einem Trommler, einem Geschützführer, 16 Kanonieren und 44 Soldaten bestand, musste nie kämpfen.

Tilbury Fort

Von dem Blockhaus aus der Tudorzeit ist heute fast nichts mehr übriggeblieben. Mit dem Bau des heutigen Forts wurde 1670 in der Zeit Karl II. begonnen. Wir stellten unser Auto auf dem Parkplatz am Ufer der Themse ab, neben dem beeindruckenden Eingangstor, dem Watergate, das 1682 fertig gestellt wurde. Es bildete den Hauptzugang zu der Festung und ist deshalb besonders prächtig geschmückt, um jeden Besucher zu beeindrucken. Ein zweiter Zugang lag an der Landseite des Forts. Als erstes gelangten wir ins Wachhaus, wo sich heute der Museumsladen befindet und man die die Eintrittskarten kaufen kann. Wir erhielten einen Audioguide, der im Eintrittspreis von £4.20 enthalten ist. Das Tilbury Fort gehört zu den über 400 Sehenswürdigkeiten des English Heritage, eine britische Behörde, die sich um die Erhaltung und Pflege von archäologisch und historisch bedeutsamen Stätten in Großbritannien kümmert. Auch hier kann man eine Jahresmitgliedschaft erwerben. Für £77 können zwei Erwachsene und bis zu sechs Kinder dann kostenlos ein Jahr lang alle Sehenswürdigkeiten des English Heritage besuchen. Da wir aber die meisten von ihnen schon auf früheren Reisen durch Großbritannien besucht hatten, verzichteten wir dieses Jahr darauf Mitglied zu werden.

Tilbury Fort

Die Gebäude im Innern des Forts gruppieren sich um den Parade Platz, den wir betraten, als wir das Eingangsgebäude verließen. Ein Teil der Kasernen wurde in der Mitte des 20. Jh. abgerissen, aber es ist noch genug stehen geblieben, um einen Eindruck davon zu ermitteln, wie es hier früher ausgesehen hat. Wir hörten der Einführung unseres Audioführers in die Geschichte der Festung zu, dabei entstand einige Verwirrung, wohin wir uns als nächstes wenden sollten, da die Besichtigungsreihenfolge des Audioguides nicht mit der Nummerierung auf dem Plan auf den aufgestellten Informationstafeln übereinstimmte. So dauerte es zu Beginn ein bisschen, bis wir die richtige Stelle gefunden hatten, über die uns gerade die Stimme, die aus den Kopfhörern kam, etwas berichtete. Vieles wurde aus der Sicht von Soldaten geschildert, die im Laufe der Zeit im Tilbury Fort stationiert waren. Eigentlich ganz spannend und interessant, wenn da nicht das Problem gewesen wäre, alles auch richtig den realen Gebäuden zuzuordnen.

Karl II. von England bei seiner Krönung von Wright, Royal Collection, http://en.wikipedia.org/wiki/File:Charles_II_of_England_in_Coronation_robes.jpg

Nachdem Karl II. an seinem 30. Geburtstag am 23. Mai 1660 als der neue König in einer umjubelten Prozession in London eingezogen war, war eine seiner ersten Maßnahmen die Aufstellung eines kleinen stehenden Heeres. Feste Garnisonen zogen in die Festungen an wichtigen strategischen Orten ein und er beauftragte den Festungsbaumeister Sir Bertram de Gomme, die Küstenbefestigungen zu besuchen, ihren Zustand zu beurteilen und Modernisierungsmaßnahmen vorzuschlagen.

Tilbury Fort

De Gomme wurde 1620 in Terneuzen in den Niederlanden geboren und diente schon Karl I. als Ingenieur und General-Quartiermeister. Nach der Niederlage der Royalisten in England kehrte er auf den Kontinent zurück und arbeitete als ziviler Ingenieur in den Niederlanden, bis Karl II. 1660 den englischen Thron bestieg. Karl ernannte ihn zu seinem General-Festungsbaumeister, Surveyor-General of Fortifications. In diesem Amt diente de Gomme bis zu seinem Tod 1685. In dieser Zeit entwarf und leitete er den Bau vieler Festungen in Großbritannien, die unter anderem der Sicherung der Ankerplätze in Portsmouth und Plymouth, an der Themse und am Medway dienten. Tilbury Fort ist vielleicht sein bester Entwurf, das vollständigste Beispiel eines Artillerie Forts mit vorgelagerten Bastionen und kunstvoll ausgeführten äußeren Verteidigungsanlagen in England. Sein Design entspricht dem der Festungen und Stadtbesfestigungen, die in den Niederlanden in dieser Zeit gebaut wurden.

Schlacht im Medway, Jan van Leyden, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Medway-Sheerness1667.jpg&filetimestamp=20080312093702

1661 zeichnete de Gomme einen ersten Entwurf für ein neues Fort in Tilbury, der aber nicht verwirklicht wurde. Erst als zwei für die Briten demütigenden Ereignisse eintraten, wurde die Dringlichkeit besserer Verteidigungsanlagen an der Themse offensichtlich. Am 9. Juni 1667 drang ein Geschwader der niederländischen Flotte in die Themse Mündung ein und griff dort Befestigungen und Depots an, ohne dass sich ihnen ein nennenswerter Widerstand entgegengestellt hätte. Sie konnten bis Lower Hope vordringen, was nur wenige Meilen von Tilbury entfernt liegt. Kurz danach lief die Flotte der Holländer in den Medway ein, steckte einen Teil der englischen Flotte in Chatham in Brand und kaperte das englische Flagschiff die „Royal Charles“. Die beiden Angriffe sollten Druck auf Karl II. ausüben, einen Friedensvertrag mit den Niederlanden zu unterschreiben, um den militärischen Konflikt zwischen den beiden Ländern, der 1665 begonnen hatte, zu beenden. Erst eine weitere Drohgebärde der Niederländer, die mit ihrer Flotte noch einmal in die Themse bis Gravesend eindrangen und die Bevölkerung von London in Angst und Schrecken versetzten, überzeugte den englischen König schließlich. Am 31. Juli 1667 wurde der Friedensvertrag in Breda unterzeichnet.

Tilbury Fort

Tilbury wurde 1667 erneut vermessen und Sir Bertram de Gomme entwarf 1670 ein Fort mit einem fünfeckigen Grundriss mit fünf Bastionen, von denen aber nur vier gebaut wurde. Am Ende des Jahres 1670 begann man mit dem Bau des neuen Forts in Tilbury. Es sollte 15 lange Jahre dauern, bis es vollendet war. Bis zu 265 Arbeiter und Handwerker arbeiteten auf der Baustelle und sieben Offiziere überwachten die Arbeiten, führten Vermessungen durch, kontrollierten das Lager und bezahlten Arbeiter und Lieferanten. Nachdem man den größten Teil des alten Forts eingeebnet hatte, hoben die Arbeiter neue Gräben aus und errichteten neue Wälle. Es war eine unangenehme, dreckige Arbeit auf sumpfigen Untergrund. Alle Gebäude und Mauern, die aus Ziegelsteinen errichtet wurden, benötigten feste Fundamente, für die Tausende von Holzpfählen in die Erde getrieben werden mussten. 1680 wurde das Fort bewaffnet und als de Gomme 1685 starb, war sein Meisterwerk fast fertig gestellt. Sein Nachfolger Sir Martin Beckman führte nur einige Modifizierungen durch. So ließ er Artillerieplattformen aus Stein errichten, nachdem er bei einer Inspektion 1694 festgestellt hatte, dass die ursprünglich aus Holz errichteten bereits verrottet waren.

Um 1700 war Tilbury Fort eine der mächtigsten Festungen der britischen Insel. Zwei breite mit dem Wasser der Themse gefüllte sternförmige Gräben umgaben das eigentliche Fort, die man nur über hölzerne Zugbrücken überqueren konnte. Deren Anblick erinnert auch heute noch die Besucher daran, dass der Planer dieses Forts ein Niederländer war. Diese wurden durch zwei Redouten, vorgelagerte Befestigungen, auf dreieckigen Inseln innerhalb des Grabens geschützt. Der Landstreifen zwischen den Gräben war mit einem Erdwall gesichert, hinter dem Infanterie sich verschanzen konnte, um eine Annäherung an das Fort von der Landseite her abzuwehren. Der Schriftsteller Daniel Defoe, der zu Beginn des 18. Jh. eine Reise durch Englands Osten unternahm beschreibt 1722 Tilbury Fort: „In dem Boden dieser Sümpfe und nahe am Rande des Flusses, steht die starke Festung Tilbury, genannt Tilbury Fort, die man mit Recht als den Schlüssel der Themse und damit als den Schlüssel von London ansehen kann.„ Er berichtet, dass in Tilbury in dieser 106 Kanonen standen.

Tilbury Fort

Im 18. und frühen 19. Jh. gab es viele kriegerische Auseinandersetzungen, in die England verwickelt war. Doch sie fanden auf dem Kontinent oder in den Kolonien statt oder wurden auf der See ausgefochten. Trotzdem blieb die Angst vor Invasionen. So gab es in Tilbury bis zum Beginn des 20. Jh. eine feste Garnison. 1716 wurden an einer Ecke des Paradeplatzes zwei große Magazine errichtet, in denen große Mengen von Schießpulver gelagert wurden, das als Nachschub für die kämpfenden Truppen des wachsenden britischen Weltreiches diente. Auch der Turm des Blockhauses aus der Zeit Heinrich VIII. wurde als Pulvermagazin genutzt. Es gab eine Böttcherei, in der Pulverfässer hergestellt wurden. Die beiden Schießpulvermagazine im Norden des Parade Platzes kann man heute noch besichtigen. Sie hatten ursprünglich hohe Giebeldächer, die im 19. Jh. in flache leicht tonnenförmige Dächer umgewandelt wurden, damit sie aus der Entfernung weniger gut sichtbar waren. Eine Mauer umgibt sie von außen, die die restlichen Gebäude und die Soldaten im Fort bei einer Explosion schützen sollten. Im Innern findet man kein einziges Stück aus Eisen, die Fußbodenbretter sind mit hölzernen Stiften befestigt. Dies sollte verhindern, dass ein versehentlich entstandener Funken, das Pulver entzünden konnte. In jedem der beiden Magazine konnten 3600 Fässer gelagert werden, die jedes 45 kg Pulver enthielten. Heute befindet sich in einem der Magazine eine interessante, informative Ausstellung über die Geschichte des Forts. Zwischen den beiden Magazinen liegt der zweite Eingang zum Fort auf der Landseite.

Tilbury Fort

Hier konnten wir auf die Befestigungsmauer klettern und einen Blick auf die äußeren Befestigungsanlagen von Tilbury Fort werfen. Die Holzbrücken, die wir von oben anschauen konnten, sind exakte Nachbauten der Original Brücken. Leider war das Tor geschlossen und so konnten wir uns die Brücken nicht aus der Nähe anschauen.

Tilbury Fort Tilbury Fort

Tilbury Fort Tilbury Fort

Als Mitte des 18. Jh. die Rebellion der Jakobiten, die James Francis Edward Stewart, den Sohn des abgesetzten englischen Königs Jakob II., zur englischen und schottischen Krone verhelfen wollten, gescheitert war, wurde Tilbury Fort für kurze Zeit zum Gefängnis für einige der Jakobitischen Soldaten. Nach der Schlacht von Cullodden 1746, segelten Schiffe mit 303 schottischen Gefangenen von Inverness los in Richtung Tilbury. Die Bedingungen auf den zu kleinen Transportschiffen waren so schlecht, das nur 268 Gefangene am 11. August 1746 lebend in Essex ankamen. Sie wurden in den Pulvermagazinen eingesperrt und auch hier erging es ihnen nicht gut. Innerhalb eines Monats starben weitere 45 Männer. Die restlichen wurden im Frühjahr 1747 nach London gebracht und vor Gericht gestellt. Einige wurden hingerichtet, doch die meisten wurden nach Barbados und Antigua gebracht, wo sie als Sklaven in Zuckerplantagen arbeiten mussten. Nur wenige wurden freigelassen. Heute erinnert ein Gedenkstein in Tilbury an die Gefangenen.

Tilbury Fort

Zwischen 1680 und 1920 bestand die Garnison im Tilbury Fort aus 100 bis 300 Soldaten, meist Infanterie- oder Artilleriesoldaten, deren Alltag eine Mischung aus Routine und Langeweile war. Wiederholte Wachtdienste, Artilleriedrill und Exerzierübungen hielten die Disziplin aufrecht, die für den Einsatz im Kampf bei Rauch, Verwirrung und Ängsten notwendig war. Doch ganz so ernst wurde die Disziplin in Friedenszeiten nicht immer genommen und die Langeweile führte zu Glücksspiel, Schlägereien und Trunkenheit. So gab es harte Strafen für ungebührliches Verhalten, die Soldaten wurden ausgepeitscht oder in der Zelle des Wachhauses eingesperrt. Im 19. Jh. war Tilbury Fort fortschrittlich genug, um über eine separate Kantine, einen Sportplatz und Gemüsegärten außerhalb der Mauern des Forts zu verfügen. Aber die restliche Unterbringung der Soldaten war primitiv. Sie lebten eng zusammengequetscht in Schlafräumen, zwei Mann mussten sich ein Bett teilen. Die Körperpflege fand im Freien statt, mit kaltem Wasser aus dem Pumpen auf dem Exzerzierplatz. Die Räume in den Kasernen waren stickig, es roch nach Essen, ungewaschenen Menschen, schmutzigen Füßen, Pfeifenrauch und dem Urin Eimer, der als Nachttopf diente, und der Qualm der Kohlenöfen erfüllte die Luft. 1857 wurde eine Kommission ins Leben gerufen, die sich mit den schlechten Lebensbedingungen der Soldaten in den britischen Kasernen befasste. Nach 1880 trat eine Besserung ein, in Tilbury gab Wohnungen für Ehepaare, ordentliche, saubere Toiletten und Waschräume und Räume, die für die Freizeitgestaltung genutzt werden konnten.

Tilbury Fort

Unser Rundgang führte uns nun zur Nord-Ost Bastion, wo wir die unterirdischen Magazine besichtigen konnten, die zwischen 1868 und 1871 entstanden sind. Hier wurden die Granaten und die restliche Munition in separaten Räumen für Artilleriestellungen darüber gelagert. Die Soldaten mussten sich umziehen, bevor sie die Magazine betreten durften. Es gab spezielle Kleidung ohne Ösen oder Knöpfe aus Metall und Schuhe ohne Nägel oder ähnliches, um jegliches Risiko einer Explosion zu vermeiden. Die Lampen, die die Räume, in die kein Tageslicht fiel, erhellten, waren in einer Vertiefung in der Mauer untergebracht, die mit einer Glasscheibe geschützt waren.

Tilbury Fort

Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Waffentechnik immer weiter und obwohl um 1860 neue moderne Forts flussabwärts gebaut wurden, wurde auch Tilbury Fort weiterhin genutzt und so wurden auch hier die Waffen modernisiert. Die modernsten Waffen, die wir auf unserem Rundgang sehen konnten, wurden zu Beginn des 20. Jh. entlang der Flussseite im Südosten des Forts aufgestellt, Schnellfeuerkanonen, die Torpedoboote abwehren sollten. Auch hier gab es unterirdische Munitionsmagazine. Der Turm aus der Zeit Heinrich VIII, der sich einst hier befand, wurde bereits um 1867 abgerissen.

Tilbury Fort

Ein einziges Mal in seiner langen Geschichte konnte man in Tilbury einen militärischen Erfolg verbuchen, als es während des I. Weltkrieges gelang mit einer der ersten Luftabwehrwaffen, einer „Screaming Lizzie“, einen deutschen Zeppelin abzuschießen. Meist wurde das Fort nur genutzt, um Soldaten für kurze Zeit unterzubringen, die sich auf ihren Kriegseinsatz auf dem Kontinent vorbereiteten. 1914 mussten hier über 300 Soldaten auf sehr engem Raum einige Zeit verbringen. Einige mussten in den Magazinen schlafen, was aber immer noch besser war, als wie viele andere in der Nachbarschaft des Forts die Nacht in Zelten zu verbringen.

Tilbury Fort

Während des II. Weltkrieges wurde in der Kapelle und im Wachhaus des Forts bis 1940 ein Kontrollzentrum untergebracht, dass die Koordination der Luftabwehrstellungen entlang der Themse gegen die Angriffe der deutschen Luftwaffe übernahm. Danach spielte das Fort keine militärische Rolle mehr. Durch Bombenangriffe wurden die Kaserne der Soldaten aus dem 18. Jh. zerstört. 1950 übergab das Militär die Gebäude dem Ministerium für öffentliche Gebäude und Arbeit. In den 1970er Jahren wurde es restauriert, die Gräben wiederhergestellt und die Repliken der Holzbrücken gebaut. Seit 1982 kann es von zahlenden Besuchern besichtigt werden.

Tilbury Fort

Bevor wir zurück zu unserem Auto gingen schauten wir uns noch die ehemaligen Offizierswohnungen an. Sie sind im Laufe der Zeit mehrfach geändert worden. Heute sehen sie in etwa so wie Ende des 18. Jh. Im Innern waren sie ursprünglich in abgeschlossene Apartments eingeteilt. Ein Fähnrich konnte mit mindestens zwei Räumen rechnen, Offiziere in höheren Rängen hatten entsprechend mehr Räume. 1849 lebten hier sieben Offiziere und die Gebäude beherbergten zusätzlich eine Messe und Küchenräume. 14 Räume wurden für die Lagerver-waltung genutzt, zwei dienten als Büros und acht Räume standen dem kommandierenden Offizier zur Verfügung. In einer ehemaligen Offizierswohnung konnten wir eine Ausstellung mit Erinnerungsstücken aus der militärischen Geschichte des Forts und seiner Soldaten anschauen.

Tilbury Fort

Heute liegt das Fort nicht weit entfernt von den Tilbury Docks, in Sichtweite von Gewerbegebieten und Kraftwerken, aber immer noch umgeben von grünen Weiden, auf denen Pferde grasten. Roter Mohn blühte auf den mit Gras bewachsenen Wällen. Ein idyllischer Ort in mitten einer geschäftigen Umgebung. Man kann von seinen Wällen den Schiffen auf der Themse zuschauen und an die kriegerischen Zeiten denken, denen das Fort seine Geschichte verdankt. Trotz diesen ist hier meistens ein sehr friedlicher Ort gewesen.

Tilbury Fort

Es wurde für uns Zeit weiterzufahren, denn wir wollten an diesem Tag noch bis Cambridge kommen. Während wir weiter nach Norden rollten, zog sich der Himmel zu und, als wir in Cambridge auf dem Campingplatz des Camping and Caravanning Clubs standen, war der Himmel bedrohlich dunkel geworden. Während die tief stehende Sonne für eine dramatische Beleuchtung sorgte, kümmerte sich mein Mann, um unser Abendessen. Es war noch genug von den indischem Curry vom Vortag übrig und so konnten wir bald gesättigt die je nach Lichtverhältnissen wechselnde Szenerie bewundern, die die Bäume rund um den Campingplatz boten. Es gab eine heftige Regenschauer und dann verzogen sich die Wolken langsam wieder. Bevor es dunkel wurde, sah es ganz so aus, als ob es am nächsten Tag wieder schönes Urlaubswetter geben würde. Wir hatten also allen Grund uns auf unseren nächsten Urlaubstag zu freuen.

Am Abend bei Cambridge

Die Informationen habe ich hier gefunden:

In der Publikation: Tilbury Fort, von English Heritage, London 2004

http://www.english-heritage.org.uk/daysout/properties/tilbury-fort/
http://en.wikipedia.org/wiki/Tilbury_Fort
http://tudorhistory.org/primary/tilbury.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Tilbury-Rede
http://www.historyhouse.co.uk/articles/defoe.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Englisch-Niederl%C3%A4ndischer_Krieg_(1665%E2%80%931667)
http://www.fortified-places.com/tilbury.html
http://en.wikipedia.org/wiki/Bernard_de_Gomme

Mehr Bilder vom Tilbury Fort:
http://www.flickr.com/photos/ullij/sets/72157625247647271/show/