Schlagwörter
Cambridgeshire, England, Houghton Mill, National Trust, Reise, Wassermühle
Wir rollten auf kleinen Straßen unserem nächsten Etappenziel des Tages entgegen. Es war nicht weit und wir hatten keine Eile. So genossen wir während der Fahrt das schöne Wetter und die grüne, flache Landschaft. Bald konnten wir unser Auto wieder auf einem Parkplatz abstellen, um nun wirklich eine Wassermühle besichtigen zu können. Direkt daneben entdeckten wir auch einen schönen Campingplatz am Ufer des Great Ouse, den wir uns für unseren nächsten Urlaub im Osten Englands vorgemerkt haben.
Die Houghton Mill ist die einzige funktionierende Wassermühle, die an dem Great Ouse übrig geblieben sind. Früher säumten zahlreiche Mühlen den viertlängsten Fluss Englands. Er ist rund 240 Kilometer lang und der wichtigste Wasserweg East Anglias. Die heutigen Mühlengebäude stammen vermutlich aus dem 17. Jh., sie wurden in 19. Jh. verändert und erweitert. Direkt vor der Mühle liegt ein kleines Haus, in dem man die Eintrittskarten kaufen kann und wir unseren Mitgliedsausweis vorzeigten, denn auch diese Mühle gehört dem National Trust. Stühle und Tische standen draußen am Flussufer und zahlreiche Gäste saßen in der Sonne und verspeisten ihren Mittagsimbiss, den sie im kleinen Museumsrestaurant erstanden hatten. Sofort hatten wir Lust uns dazuzugesellen und bei einer Tasse Kaffee eine Pause einzulegen. Gleichzeitig waren wir aber auch recht neugierig, was uns im Innern der Mühle erwarten würde.
Seit dem Jahr 974 gab es an diesem Ort immer eine Mühle. Damals legte man bereits das Sumpfland am Ufer des Flusses trocken und machte es urbar. Das Wasser, das, wenn es über die Ufer trat, eine Gefahr darstellte, wurde immer mehr als eine Energie Quelle entdeckt, Mühlen entstanden entlang der Flüsse überall in England, so auch am Great Ouse. Die Flüsse wurden für den Transport genutzt, sie füllten Wassergräben um Häuser gegen Angriffe zu schützen und sie halfen fruchtbare Äcker zu schaffen. Wassermühlen sind die ältesten vom Menschen genutzten Maschinen, die nicht durch Muskelkraft angetrieben wurden. Die ersten Mahlmühlen, die mit Wasserkraft angetrieben wurden, gab es im 3. Jh. v. Chr. in China. Auch in Ägypten, Persien und Griechenland gab es schon in der Antike Wassermühlen. Die erste beurkundete Wassermühle in Großbritannien entstand im 8. Jh.. 300 Jahre später, 1086, waren im Domesday Book 5.624 Wassermühlen aufgelistet. Die Wasserkraft war bis zur Einführung der Dampfmaschine während der Industriellen Revolution die Haupt-energiequelle. Allein in England gab es Ende des 17. Jh. rund 20.000 arbeitende Wassermühlen.
Ursprünglich lag die Mühle 650 m weiter flussabwärts. Sie wurde nach einem Brand im 17. Jh. an der heutigen Stelle neu errichtet. Im Mittelalter gehörten Dorf und Mühle einer großen Benediktiner Abtei in Ramsey, rund 16 Kilometer von Houghton entfernt. Alle Dorfbewohner arbeiteten für die Abtei, die meisten auf den Feldern und in den Ställen. In der Mühle wurde das Getreide der Abtei gemahlen, um es zu verkaufen oder in der Abtei als Nahrungsmittel der Mönche zu nutzen. Die Dorfbewohner mussten ihr Getreide ebenfalls in der Mühle der Abtei mahlen lassen, unter Androhung von empfindlichen Geldstrafen, wenn sie eine andere Mühle nutzten. Die Abtei behielt dann als Lohn für die Nutzung der Mühle einen festgesetzten Anteil des Mehls, normalerweise ein Siebzehntel, das sogenannte Mahlgeld (multure).
Um 1500 kam zu Streitigkeiten zwischen der Abtei und dem Dorf, als die Wasser-zuführung zur Mühle durch Ablagerungen gehemmt wurde und der Abt den Fluss stauen und umleiten ließ, um die Mühle mit ausreichendem Wasser zu versorgen. Als Folge wurde das Dorf überflutet. Daraufhin zerstörten die aufgebrachten Dorfbewohner mit großer Gewalt und Macht die Stautore der Mühle. 15 Jahre später erhielten sie die Erlaubnis bei einer Flut, die Schleusentore zu öffnen und jede Absperrung des Flusses zu entfernen, die seinen natürlichen Lauf behinderte.
Aber es gab noch andere Gründe, die für Streit zwischen den Dorfbewohnern und der Abtei sorgten. Chaucers erzählte in seinen Canterbury Tales von unehrlichen Müllern, die ihre Kunden beim Mahlgeld betrogen, indem sie beim Prüfen der Qualität des Korns sich einen Teil des Mehls stahlen. Trotz des Verbotes versuchten die Dorfbewohner das Mahlgeld zu vermeiden, indem sie ihr Korn selber mahlten oder es zu einer Mühle brachten, die eine geringere Bezahlung forderte. 1310 musste Richard Plombe aus Houghton zur Strafe sechs Pence bezahlen, weil er sein Korn in der falschen Mühle hatte mahlen lassen. Das war eine harte Strafe, weil der normale Tageslohn nur ein oder zwei Pence betrug.
Nach der Auflösung der Klöster durch Heinrich VIII. im 16. Jh. gelangte die Mühle in den Besitz des Königs. 1625 verkaufte Karl I. Houghton Mill an Robert Bernard und 1651 wurde sie Teil des Brampton Park Gutes. Sie blieb mehr als 250 Jahre im Besitz dieser Familie. Erst 1918 wurde sie verkauft.
Neugierig begannen wir die Besichtigung der Mühle. Man kann bis ins obere Stockwerk hinauf klettern und sich die riesigen Zahnräder anschauen, die die Bewegungen der Wasserräder auf die Mahlsteine übertragen. Die Mühle ist voll funktionsfähig und auch heute noch wird hier regelmäßig Mehl gemahlen. Jeden Sonntag finden Vorführungen statt. Man kann das Mehl von der Mühle kaufen. Stolz weist man in Houghton daraufhin, dass das Getreide von der Wimpole Home Farm stammt und das Mehl ohne künstliches Bleichen hergestellt und nicht durch zusätzliche Maßnahmen noch feiner gemahlen wird, wie es bei industriell hergestelltem Mehl häufig der Fall ist. Dabei werden wertvolle Inhaltsstoffe zerstört. In Houghton wird Vollkorn Mehl hergestellt. Große Tafeln auf den verschiedenen Stockwerken informieren über die Geschichte der Mühle und ihre Müller.
Wir kletterten zunächst in den zweiten Stock, den sogenannten Sichterboden. Früher wurde hier das Getreide gelagert. Auf jedem Stockwerk gab es Freiwillige des National Trust, die den Besuchern erklärten, wie hier früher Getreide gemahlen wurde. Ganz oben war ein besonders junger Mann, ein Schüler, der in seiner Freizeit sehr fachkundig erklärte, welche Arbeiten in der Mühle einst erledigt werden mussten.
Foto: Southdevonian, Potto Brown (17971871), http://en.wikipedia.org/wiki/File:PottoBrownstatue.JPG
Von 1797 an arbeiteten vier Generationen der Brown Familie für einen Zeitraum von beinahe 100 Jahren in der Houghton Mill als Müller. Während dieses Zeitraumes wurde die Mühle ständig vergrößert, ihre Produktivität wuchs und der Wohlstand der Menschen, die sie betrieben. Viele Arbeitsplätze für die Bewohner des Dorfes entstanden. 1797 wurde William Brown der Müller in Houghton. Im selben Jahr war sein Sohn Potto geboren worden, der 1822 zusammen mit einem Partner, Joseph Goodman, seinem Vater als Müller nachfolgte. Unter der Leitung der beiden Männer machte die Mühle große wirtschaftliche Fortschritte. Potto musste den Besitzern der Mühle eine jährliche Miete von £325 bezahlen, dies war ein geringer Betrag im Vergleich zu den Einnahmen, die er und sein Partner hatten. Von 1852 an betrieben Potto und seine beiden Söhne Bateman und George die Mühle gemeinsam. Ihr Wohlstand wuchs, so konnten sie 1854 in St. Ives und 1862 in Godmanchester weitere Mühlen errichten, die mit einer Dampfmaschine betrieben wurden. Die Browns führten die neueste Mühlentechnologie aus Frankreich ein und konnten sich vor Gericht erfolgreich dagegen wehren, eine Gebühr bezahlen zu müssen, weil ihr Belüftungssystem der Mahlsteine angeblich Copyright verletzt hätte. 1862 zog sich Potto aus dem Betrieb zurück und überließ seinen Söhnen die Arbeit. Er lebte bis zu seinem Tod 1871 im Müllerhaus. Potto war ein sehr angesehener Bürger des Dorfes, dessen unter- nehmerischer Erfolg bewundert wurde. Er kümmerte sich auch um die Dorfgemeinschaft und ließ um 1830 in Houghton eine neue Schule errichten und um 1840 eine Kapelle und eine Wasserpumpe auf dem Dorfplatz bauen. Er stellte den Dorfbewohner Schrebergärten zur Verfügung und unterstützte aktiv die Abstinenzbewegung, die den totalen Verzicht auf Alkohol propagierte, und setzte sich für religiöse Toleranz ein.
Mitte des 19. Jh. war eine Mühle kein angenehmer Arbeitsplatz. Es ist bei so einer Besichtigung heute gar nicht so leicht, sich das vorzu- stellen. Denn nun ist die große Mühle auf einer kleinen Insel im Fluss ein recht idyllischer Ort. Man kann durch die Fenster hinaus auf den Fluss blicken, den Anglern zuschauen, Enten und Schwäne beobachten. Dazu hatten die 18 Arbeiter, die um 1850 in der Mühle schuften mussten keine Zeit. Sie waren zwischen 15 und 59 Jahre alt und bekamen um die 10 Schilling Lohn in einer Woche (das sind 50 Pence). Ihre Arbeit begann morgens um fünf und endete um 7 Uhr am Abend. Die Arbeiter hatten dann 12 Stunden mit zwei Stunden Pause gearbeitet. Es war staubig, laut und recht dunkel in der Mühle. Denn nur wenig Licht kam durch die Fenster ins Innere des Mühlengebäudes. Die riesigen Zahnräder waren ständig in Bewegung, die Mühlsteine zerrieben die Getreidekörner, die Luft war voller Mehlstaub. Müller erkrankten früher oft an Asthma, das durch den Mehlstaub hervorgerufen wurde. Deshalb führte Potto Brown sein Belüftungssystem ein, dadurch wurde der Mehlstaub in der Luft reduziert und seine Arbeiter blieben gesund.
Der letzte Müller der Houghton Mill hieß Arthur Chopping. Er lebte im Müllerhaus neben der Mühle mit seiner Frau, seinen zehn Töchtern und seinem Sohn von 1915 bis 1930. Der dreizehnköpfigen Familie standen drei Schlafzimmer zur Verfügung. Man kann sich leicht vorstellen, dass es oft recht turbulent im Zuhause des Müllers zuging.
1928 wurde der Betrieb der Mühle eingestellt und in der Folgezeit wurden immer wieder die Gebäude beschädigt. Schließlich gründete 1933 eine Gruppe von Ortsansässigen das Houghton Mill Restoration Committee mit dem Ziel die Mühle für die Nachwelt zu erhalten. Sie sammelten Geld und ließen erste Reparaturmaßnahmen durchführen. 1934 wurde eine Jugendherberge in der Mühle eingerichtet. Als der Mietvertrag mit der Jugendherbergsorganisation 1988 endete, machte der National Trust die Mühle für die Öffentlichkeit zugänglich.
Viel von der Technik im Innern der Mühle blieb erhalten. Und so konnten wir uns mit Hilfe der Informationstafeln die Arbeitsabläufe in einer Getreidemühle gut vorstellen. Auch die Bauweise der Wasserräder wurde anschaulich mit Bildern vorgestellt. In der Mitte des 19. Jh. wurde die Mühle mit zehn Paaren von Mühlsteinen betrieben, die mit drei unabhängigen Wasserrädern angetrieben wurden. Heute wird das Mehl mit einem Paar von Mühlsteinen gemahlen, die von einem Wasserrad angetrieben werden, das 1999 wieder eingesetzt wurde.
Abbildung von Daniel M. Short, unterschlächtiges Wasserrad, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Undershot_water_wheel_schematic.svg
Je nach der Fließgeschwindigkeit der Flüsse, die die Wasserräder antreiben, werden unterschlächtige oder oberschlächtige Wasserräder genutzt. Bei unterschlächtigen Wasserrädern fließt das Wasser unter dem Rad in einer Führung, dem sogenannten Kropf durch, die verhindert, dass das Wasser unterhalb und seitlich der Schaufeln abfließt, ohne das Rad anzutreiben. Das Wasser trifft auf die Schaufeln des Rades und treibt so das Rad an. Sie werden bei langsam fließenden, flachen Gewässern verwendet. Mit ihnen kann man einen Wirkungsgrad von bis zu 70 % erreichen.
Abbildung von Daniel M. Short, oberschlächtiges Wasserrad, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Overshot_water_wheel_schematic.svg
Beim oberschlächtigen Wasserrad strömt das Wasser durch eine Rinne oder ein Rohr von oben in die wasserdichten Zellen des Rades. Man nennt diese Räder deshalb auch Zellenräder. Das Rad wird durch die Gewichtskraft des aufgenommenen Wassers und durch seine kinetische Energie in Bewegung versetzt. Solche Wasserräder werden an schnell fließenden Flüssen in bergigem Gebiet genutzt. Sie arbeiten etwas effektiver und erreichen Wirkungsgrade von bis zu 80%.
Abbildung von Daniel M. Short, mittelschlächtiges Wasserrad, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Breastshot_water_wheel_schematic.png
In Houghton wurden mittelschlächtige Wasserräder genutzt. Bei ihnen trifft das Wasser etwa auf der Höhe der Nabe des Rades auf die Zellen oder Schaufeln. (Beide Bauweisen sind möglich.) Sie sind ähnlich wie oberschlächtige Räder gebaut, drehen aber in die entgegen gesetzte Richtung. Moderne mittel-schlächtige Wasserräder können einen Wirkungsgrad von 85 % erreichen, damit kommen sie nahe an den Wirkungsgrad von Turbinen heran.
Das Wasserrad dreht die Hauptwelle mit dem Kammrad, deren senkrechte Bewegung durch ein Winkelgetriebegetriebe schließlich in eine waagerechte Position umgeleitet und auf den Mahlgang übertragen wird. Als wir uns die Zahnräder in der Mühle anschauten konnten wir feststellen, dass immer wieder Zähne aus Eisen auf Zähne aus Holz treffen. Diese Kombination wurde gewählt, weil so der Lärm reduziert wurde und keine Funken entstehen konnten, die die Mühle hätten in Brand setzen können.
Die Säcke mit dem Getreide, die an der Mühle angeliefert wurden, wurden mit einer Winde, die an dem hervorragenden Giebel der Mühle angebracht war, nach oben auf den Sichterboden der Mühle transportiert. Dort wurde das Getreide gereinigt und gelagert. Von dort fiel es durch rechteckige Öffnungen im Boden über Rutschen, in das darunterliegende Stockwerk, den Steinboden, wo sich der Mahlgang befand. Der Mahlgang besteht aus zwei aufeinander liegenden Mühlsteinen, von denen sich nur der oberste dreht. Man nennt ihn deshalb auch Läuferstein. Das Getreide fiel dann zunächst in einen Trichter und gelangte dann durch das Steinauge des Läufersteins zwischen die Mahlflächen und kam als Mehl, Grieß oder Kleie wieder heraus. Kleie sind die nicht verdaulichen Teile des Getreides, Grieß die nur grobgemahlenen Getreidekörner, die erneut in den Malgang geschickt werden müssen. Kleie und Gries wurden im Mehlbeutel, einem feinmaschigen Sieb, im Mehlkasten vom Mehl getrennt. Das Mehl gelangte direkt in einen unter dem Mehlkasten befestigten Sack, der im Erdgeschoss der Mühle in Empfang genommen werden konnte, wenn er voll war.
Die Besichtigung, die uns viel Freude gemacht hatte, beendeten wir mit einem kurzen Spaziergang, den Fluss entlang. Doch dann ging es zügig weiter, denn unser nächstes Tagesziel lockte uns ganz besonders.
Die Informationen habe ich hier gefunden:
Im Kurzführer Houghton Mill des National Trust
http://www.nationaltrust.org.uk/main/w-vh/w-visits/w-findaplace/w-houghtonmill.htm
http://en.wikipedia.org/wiki/Houghton_Mill
http://en.wikipedia.org/wiki/River_Great_Ouse
http://de.wikipedia.org/wiki/Wasserm%C3%BChle
http://www.planet-wissen.de/kultur_medien/architektur/muehlen/index.jsp
http://de.wikipedia.org/wiki/Oberschl%C3%A4chtiges_Wasserrad#Oberschl.C3.A4chtiges_Wasserrad
http://www.deutsche-muehlen.de/
http://en.wikipedia.org/wiki/Mill_machinery
http://en.wikipedia.org/wiki/Potto_Brown
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